Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2015
Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Bruno Kern. Wiesbaden: marixverlag, 2015
von Manuel Kellner

Bruno Kern ist promovierter Theologe und Philosoph, dazu radikaler Ökosozialist, der sich früher selber als Marxist verstanden hat und noch heute sehr viel von Marx und seinem Werk hält – wenn auch sehr viel weniger von den meisten seiner «Epigonen», also solchen, die sich auf sein Denken berufen und daraus eine «Weltanschauung» bzw. ein «System» machen.
So hat sich Bruno Kern auf einem Workshop im Rahmen des diesjährigen Klimacamps im rheinischen Braunkohlerevier vorgestellt, auf dem er sein neues Buch präsentiert hat. Und in der Tat: Ist es nicht grotesk, dass man sich dagegen verwahren muss, einem Menschen einen «-ismus» anzuhängen, der notorisch nie zufrieden war mit dem, was er zu Papier gebracht und sich in Selbstkritik geradezu verzehrt hat? Karl Marx hat auf den ersten Versuch einer sozialistischen Gruppe der Arbeiterbewegung (in Frankreich), sich selbst das Etikett «marxistisch» umzuhängen, ironisch reagiert: «Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin.»
Aber Bruno Kern führt natürlich inhaltliche Gesichtspunkte an, die ihn dazu veranlassen, das Werk von Karl Marx heute in wichtigen Teilen kritisch zu sehen, so sehr es in seinen Augen wichtig geblieben ist – vor allem in Hinblick auf die Kritik der kapitalistischen Produktionsweise und die historisch-materialistische Geschichtsauffassung.
So gibt es etwa im Kapital sehr radikal-ökologisch anmutende Passagen zum Umschlag der Produktivkräfte in Zerstörungskräfte, im Kommunistischen Manifest hingegen wird die ungeheure Entwicklung der Produktivkräfte unter der Ägide der Bourgeoisie gefeiert, weil Marx in ihr eine materielle Vorbedingung für die allseitige Emanzipation der Menschen sah. Bruno Kern stößt sich daran, und das ist mehr als verständlich in einer Lage, in der die Vernichtung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen als eine akute, fast schon unausweichliche Gefahr erscheint.
Die Qualität des Lesebuchs von Bruno Kern besteht schon in der – nach seinen eigenen Worten «kanonischen» – Auswahl der Texte. Er stellt den Anspruch, die wichtigsten Texte von Karl Marx vorzustellen, und das ist ihm sehr weitgehend gelungen. Allenfalls vermisse ich dessen Ansprache der Zentralbehörde an den Bund von 1851, in der er die Bilanz der (gescheiterten) deutschen Revolution von 1848 zieht. Denn da begründet Marx die Notwendigkeit der politischen Unabhängigkeit der Arbeiterklasse (d.h. all derer, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen) und der «Revolution in Permanenz», bis alle mehr oder weniger von der Ausbeutung anderer Menschen lebenden Klassen von der Macht verdrängt sind.
Im Detail gibt es viel zu diskutieren, z.B. über die Ausführungen des noch nicht kommunistischen Marx zu den Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz im rheinischen Landtag. Bruno Kern sieht hier eine hegelianische Überhöhung des idealen Staates und seiner allgemeingültigen Gesetze, während Marx dort in Wirklichkeit das alte Gewohnheitsrecht der Armen gegen die Eigentümer von Grund und Boden verteidigt. Solche Punkte gibt es in Kerns insgesamt sehr klugen Kommentaren viele, und ich wünsche mir viele weitere Gelegenheiten im Rahmen der sozialistischen Bildungsarbeit, zum Beispiel von SALZ, wo er ja auch aktiv ist, mit ihm darüber zu diskutieren.

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