von ak
In den westlichen Medien wird die Gülen-Bewegung gern als aufgeklärte Variante des Islam dargestellt. Dem ist nicht so, das bestätigen zahlreiche Analysen unabhängiger Journalisten, die nicht verdächtig sind, Erdogan-Anhänger zu sein.
Die Gülen-Bewegung steht in der Tradition der religiösen Reformbewegung Nurculuk, die auf den islamischen Führer Said Nursî zurückgeht. Sie fasste zunächst in Koranschulen Fuß, gründete ab den 80er Jahren aber auch Nachhilfeschulen für die zentrale Hochschulaufnahmeprüfung. Nach und nach baute Gülen ein Bildungsnetzwerk auf, das sich an die Kinder aus den Armenbezirken oder aus bescheidenen ländlichen Verhältnissen wandte. Die Gülen-Bruderschaft garantiert ihren Anhängern eine qualitativ gute Ausbildung, sie bleiben einander auch nach der Ausbildung noch in fachlicher Solidarität verbunden.
Gülens Bewegung mischte sich nie direkt in die Politik ein, legte aber Wert darauf, zu allen Regierungen gute Beziehungen zu pflegen. Ende der 80er Jahre zog Gülen großen Nutzen aus der Kampagne zur Liberalisierung des Bildungswesens, er konnte dadurch ein starkes Netz von Privatschulen aufbauen.
1986 gründete die Bruderschaft die später mit Abstand auflagenstärkste Tageszeitung der Türkei, Zaman. Mit der Zeit baute sie ein Medienimperium auf, zu dem vor der jüngsten Säuberung die Sonntagszeitung Today’s Zaman, die Nachrichtenagentur Cihan, die Zeitschrift Aksiyon, der Fernsehsender Samanyolu sowie die Journalistenschule World Media Academy gehörten. Er fasste Fuß in Militärakademien und Polizeischulen. Zu seinem Imperium gehörten auch Finanzinstitute, die seine Aktivitäten unterstützten. Bereits 1999 stand er unter Anklage, weil er versucht habe, die säkulare Ordnung zu stürzen; er musste sich daraufhin in die USA absetzen.
Als Erdogan 2003 Ministerpräsident wurde, brauchte er einen Bündnispartner. Er verband sich mit Gülen, um gemeinsam die republikanisch-laizistische Hegemonie im Staatsapparat zu bekämpfen und die Armee zu zähmen. Die Prozesse von 2007 bis 2010 gegen hochrangige Militärs (darunter der vormalige Generalstabschef) wegen angeblicher putschistischer Verschwörung beruhten fast ausschließlich auf gefälschten Beweisen, die von der gülenistischen Polizei in Umlauf gebracht worden war.
Anfang der 2010er Jahre kühlten sich die Beziehungen zwischen Erdogan und Gülen jedoch ab, da nach Erdogans Geschmack Gülens Bruderschaft zuviel Einfluss im Staatsapparat gewonnen hatte und zudem von den hohen Gewinnen profitierte, die das blühende öffentliche Bauwesen und das Netz der Privatschulen abwarf. Von 2014 an wurde aus dieser Gegnerschaft offene Feindschaft, als Gülens Bruderschaft Tonbandaufzeichnungen ins Internet stellte, die Erdogan und die ihm Nahestehenden kompromittierten; die Regierung antwortete darauf mit Säuberungsaktionen in der Justiz und der Polizei.
Gülens Bruderschaft wurde dadurch geschwächt. Die Nacht vom 15./16.Juli war offenkundig ein Höhepunkt und einstweiliger Schlussakt in dieser Auseinandersetzung. Die Bruderschaft hat den Kürzeren gezogen, weil sie nie über ihre eigenen Reihen hinaus über einen politischen Massenanhang verfügte. Die Politik des Appells an die Massen hat über das Kader-Netzwerk triumphiert.
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