Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2023

Soll ich, soll ich nicht…
von Jürgen Wagner

Panzerhaubitzen, Iris-T, MARS, Patriot, Gepard, Marder, Leopard… Die Liste der eingesetzten Waffen bezeichnet die Eskalationsschraube in diesem Krieg. Während Olaf Scholz noch versucht, sein Gesicht zu wahren, spielt die ukrainische Außenvertretung bravourös auf dem Klavier des innerwestlichen Kampfes darum, wer bei den taktischen Entscheidungen den Ton angibt.

Das Treffen der Regierungsvertreter in Ramstein am 20.1. hat die Lieferung weiterer Waffen an die Ukraine beschlossen – allerdings wurde eine Entscheidung über die Abgabe von Leopard-2-Kampfpanzern erst einmal vertagt. Auf der US-Base bei Ramstein in der Pfalz hatten sich am 26.April 2022 erstmal Vertreter:innen von über 40 Nationen zur »Ukraine-Kontaktgruppe« getroffen, mehrheitlich aus NATO- und EU-Mitgliedstaaten, aber auch aus Afrika und Asien. Das Treffen am 20.1. war das dritte dieser Art.
Dem Ramstein-Treffen war ein wochenlanges Tauziehen um einen Wechsel in der Waffenlieferungspolitik vorangegangen. Der wurde am 5.Januar 2023 vollzogen, als USA und Deutschland nahezu zeitgleich verkündeten, sich auf die Lieferung von Schützenpanzer verständigt zu haben. »Bislang hatte die Bundesregierung die Lieferung von Schützen- und Kampfpanzern mit dem Verweis abgelehnt, man wolle keine ›Alleingänge‹ unternehmen«, schrieb das Hamburger Abendblatt am 6.1. »Bei der Erklärung von Biden und Scholz handelt es sich um einen Wendepunkt in der Positionierung des Westens hin zu einer verstärkten Waffenlieferung Richtung Ukraine.«
Schnell stellte sich dann allerdings heraus, dass die versprochenen 40 Schützenpanzer so ohne weiteres überhaupt nicht verfügbar sind. Zwar habe die Industrie noch 60 Marder »auf Lager«, die müssten von Rheinmetall aber erst einmal instand gesetzt werden. Als die Idee zirkulierte, dann solle die Bundeswehr aus ihrem Bestand von 350 Mardern in Vorleistung gehen und sich die 40 Exemplare später von der Industrie holen, wurde bekannt, dass davon nicht einmal die Hälfte einsatzfähig ist. Da davon viele etwa für die NATO-Eingreiftruppe gebunden seien, war in dieser Angelegenheit erst einmal guter Rat teuer. Griechenland hat dann erklärt, auf 20 zugesagte Marder zugunsten der Ukraine zu verzichten, doch wo die restlichen 20 herkommen sollen, ist offen.
Mit der Ankündigung von Marder- und Bradley-Panzern wurde also inzwischen die Lieferung sämtlicher Panzertypen bis auf die schwerste Kategorie beschlossen, die Kampfpanzer: »In dieser Kategorie sind Fahrzeuge gelistet, die über starke Bewaffnungen verfügen und in die direkte Konfrontation gehen können. Mitunter wird auch von der sogenannten ›Duellfähigkeit‹ der Panzer gesprochen. Beispiele für Kampfpanzer sind unter anderem Leopard 2, M1 Abrams, Leclerc oder der britische Challenger 2.« (Merkur, 10.2.)

Eine neue Phase des Krieges gefordert
Auch hierfür waren die Grünen die treibende Kraft. Der stets an vorderster Front kämpfende grüne Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, »fordert die Lieferung zahlreicher europäischer Kampfpanzer an die Ukraine. Scholz müsse jetzt eine europäische Initiative starten zur Lieferung von Leopard-2-Panzern«, meldete das Handelsblatt am 6.1.
Auf die Idee, ein »Euro-Leopard« für die Ukraine, ist Hofreiter nicht von selbst gekommen. Sie stammt vom einflussreichen European Council on Foreign Relations (ECFR), der Anfang September 2022 den »Leopard-Plan« veröffentlichte. Er enthält so ziemlich genau die Dinge, die sich Hofreiter nun zu eigen gemacht hat: Es seien bei dreizehn europäischen Staaten rund 2000 Leopard-2-Panzer (zumeist in den Versionen 2A4 und 2A5) vorhanden, deshalb sei es möglich, eine Art Pool zu bilden, in den die einzelnen Länder ihre Panzer »spenden« könnten.
Als Motivation schlagen die ECFR-Autor:innen vor, den Ländern ihre »gespendeten« Panzer durch die neueste Leopard-Version zu ersetzen und dies über die Europäische Friedensfazilität finanzieren zu lassen: »Die Ukraine muss in eine neue Phase des Krieges eintreten, will sie das von Russland besetzte Territorium zurückerobern. Ein europäischer Plan zur Unterstützung mit Leopard-Panzern sollte im Zentrum dieser Bemühungen stehen.«

Kampf um Deutschlands Rolle
Deutschland spielt in der Frage der Waffenlieferungen – und der sich daraus ergebenden Konsequenzen für eine Eskalation des Krieges – eine Schlüsselrolle. »An Deutschland wird nicht nur die Frage nach eigenen Lieferungen des Kampfpanzers Leopard gestellt – Berlin müsste auch anderen Europäern grünes Licht für den Export geben«, schrieb Thomas Wiegold (Table Security, 10.1.2023).
Polen sei etwa bereit, Teile seiner 250 Leopard-2-Kampfpanzer an die Ukraine abzugeben. Auch aus anderen europäischen Ländern gäbe es Signale in eine ähnliche Richtung, dies sei aber davon abhängig, dass Deutschland einem Re-Export zustimme. Dies würde nur für wahrscheinlich gehalten, sollte auch Berlin selbst bereit sein, Leopard 2 an die Ukraine zu liefern. Noch am 9.Januar hatte Regierungssprecher Steffen Hebestreit betont: »Die Bundesregierung hat zum jetzigen Zeitpunkt kein Bestreben, ihrerseits Leopard-2-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern.«
Auf der anderen Seite hatte die britische Regierung durchblicken lassen, sie beabsichtige, bis zu 14 Kampfpanzer vom Typ Challenger 2 an die Ukraine abzugeben. Auch die Franzosen haben von der anderen Seite Druck ausgeübt. Politico berichtete vor dem Ramstein-Treffen, Frankreich dränge Deutschland massiv dazu, der Lieferung von Leopard 2 zuzustimmen, dies solle symbolträchtig im Vorfeld des deutsch-französischen Gipfels am 22.Januar 2023 anlässlich des 60.Jahrestags des Elysée-Vertrags vermeldet werden.
Polens Staatspräsident Andrzej Duda erklärte am 11.Januar, sein Land sei bereit, zunächst eine Kompanie (14 Panzer) als Teil einer internationalen Koalition zur Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine abzugeben.
Bereitwillig griff Anton Hofreiter diese Steilvorlage einmal mehr auf: »Kanzler Scholz steht jetzt in der Verantwortung, die Lieferung der Kampfpanzer mit den anderen westlichen Staats- und Regierungschefs zu koordinieren.«
Auch von seinem Parteikollegen, dem Bundestagsmitglied Robin Wagener, wurden Forderungen in eine ähnliche Richtung erhoben: »Die Ukraine braucht Panzer westlicher Bauart für die Verteidigung und Befreiung russisch besetzter Gebiete. Die Bereitschaft unserer polnischen Freunde zur Bildung einer europäischen Koalition für die Lieferung europäischer Kampfpanzer ist ein wichtiges Signal der Solidarität.« (Die Welt, 11.1.)

Im Zuge des Ramstein-Treffens erteilte der frischgebackene Verteidigungsminister Boris Pistorius jedoch erst einmal »nur« einen »Prüfauftrag«, um die Bestände nach »überzähligen« Panzern durchzuforsten und im Zweifelsfall nach einer Entscheidung schnell lieferfähig zu sein. Gleichzeitig verkündeten die USA neue Waffenlieferungen im Umfang von 2,5 Mrd. Dollar, in denen bspw. 59 weitere Bradley-Schützenpanzer enthalten sind.
Deutschland wiederum schnürte ein Paket im Wert von einer Mrd. Euro, wodurch der Gesamtwert seiner Zusagen auf 3,3 Mrd. Euro stieg – wichtige Komponenten sind hier unter anderem das Patriot-Luftabwehrsystem und ein weiteres Iris-T-Luftabwehrsystem.
Und auch in Sachen Kampfpanzer, die für eine »erfolgreiche« ukrainische Frühjahrsoffensive von elementarer Bedeutung sind, tat sich schlussendlich doch noch etwas: Außenministerin Annalena Baerbock erklärte am 22.1. in bezug auf den Export von Leopard-Panzern durch andere Länder: »Wir wurden bisher nicht gefragt und … wenn wir gefragt würden, würden wir dem nicht im Wege stehen.«

Der Autor ist Geschäftsführer der Informationsstelle Militarisierung in Tübingen.

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