von Angela Klein
In ihrer Ausgabe vom Oktober 2023 berichtete die SoZ über die mutmaßliche Urheberschaft der Sprengung der Nordstream-2-Pipeline. Der Spiegel hatte in seiner Ausgabe vom 28.August dem Sabotageakt einen ausführlichen Bericht gewidmet, mehr als zwei Dutzend Journalist:innen von Spiegel und ZDF hatten dazu sechs Monate lang recherchiert. Er beschrieb den Tathergang im wesentlichen so, wie es die US-Börsenzeitung Wall Street Journal am vergangenen 15.August auch tat. Die Recherchen bestätigten schon damals voll und ganz einen Bericht der Washington Post vom 6.Juni 2023, wonach »ein sechsköpfiges Team ukrainischer Spezialeinheiten beabsichtigte, das Erdgasprojekt zwischen Russland und Deutschland zu sabotieren«.
Die Benennung ukrainischer Urheber des Angriffs war deutlich besser fundiert und schien uns daher plausibler als die zuvor von Seymour Hersh und anderen geäußerte Vermutung, die USA hätten den Anschlag ausgeführt – wiewohl deren Beteiligung noch längst nicht ausgeschlossen ist und die Bestrebungen, alle Schuld auf die Ukraine und Polen abzuwälzen, eher vermuten lassen, dass da noch einiges im Busch ist.
Das Wall Street Journal hat nun Ross und Reiter genannt: In einer frühen Mainacht sei die Idee von betrunkenen ukrainischen Offizieren geboren worden; Geschäftsleute hätten das Geld gegeben und das Oberkommando der Armee (General Saluschnyi) habe sein Ok gegeben. Selenskyi habe den Plan ebenfalls gutgeheißen.
Der Hergang wird kaum noch in Frage gestellt. Im Gegenteil, es gibt eine Bestätigung des ex-BND-Chefs August Hanning, der in einem Interview mit der Welt am vergangenen 20.August gesagt hat: „Es waren Verabredungen zwischen den höchsten Spitzen der Ukraine und Polen, zwischen Selenskyi und Duda (dem polnischen Staatspräsidenten).“ Die Durchführung des Anschlags sei nur mit massiver logistischer Unterstützung aus Polen möglich gewesen, was eben eine solche Verabredung voraussetzte.
Hanning erklärte auch, seiner Einschätzung nach habe Polen kein Interesse am Erfolg der Ermittlungen, weil es ja an höchster Stelle beteiligt gewesen sei. Er schätzte die Folgeschäden auf 20-30 Mrd. Euro – „durch Staatsterrorismus, das muss man so deutlich sagen“. Es müsse Schadenersatz gefordert werden, auch von den Betreibern.
Von den Umweltschäden, die durch die von Wissenschaftlern geschätzten 10-50.000 Tonnen im Meer gelösten Methan entstehen, ganz zu schweigen. Sie kurbeln die Aktivität von Bakterien an, die dabei ihrer Umgebung Sauerstoff entziehen mit der Folge, dass Mikroorganismen zunehmen, die Schwefelwasserstoff produzieren. Es entstehen Todeszonen, in denen kein Leben mehr möglich ist.
Die Ermittlungen haben bisher den Namen des Mannes ergeben, der die Aktion anführte: Wolodymir Schurawlow, ein 44 Jahre alter ukrainischer Tauchlehrer. Wer alles an den Entscheidungen beteiligt war, werden die deutschen Stellen wohl nie herausfinden, sowohl die führenden polnischen als auch die ukrainischen Stellen streiten jede Beteiligung ab. Das ist aber auch nicht notwendig: Der Akt als solcher ist nicht nur völkerrechtswidrig, er ist eine Kriegserklärung. Und das von angeblich Verbündeten: Polens neuer Premier, Donald Tusk, postete nach Bekanntwerdung auf X: „An alle Initiatoren und Besitzer von Nordstream 2: Das einzige, was ihr heute tun solltet, ist, um Entschuldigung bitten und den Mund halten.“
Da sich die Tatsache als solche nicht mehr verleugnen lässt, überschlagen sich deutsche Medien darin, ihn einfach zu rechtfertigen. Den Vogel schoß die Faz ab: „Sollte der ukrainische Präsident oder ein anderer Befehlshaber sie in Auftrag gegeben haben, so kann man darin auch eine völkerrechtlich zulässige Verteidigungshandlung sehen.“ Im übrigen hätten alle Verbündeten die Pflicht, „darauf zu achten, dass auch ein Verteidigungskrieg ein rechtmäßiger bleibt, indem er nur mit erlaubten Mitteln und auf zulässige Weise geführt wird“. Die Ukraine gebe „wenig Anlass zur Sorge, was die Auswahl der Ziele, die Behandlung von Kriegsgefangenen und auch die Verfolgung von Kriegsverbrechen sowie die internationale Beobachtung angeht“. „In solchen extremen Lagen erweist sich der Wert der westlichen Wertegemeinschaft.“
Wieweit wollen die Herrschaften es denn noch treiben, dass sie eine Kloake sauberes Trinkwasser nennen, wie es ihnen gerade in den Kram passt? Zu einer Kriegserklärung der NATO gegen Russland würde sehr viel weniger reichen.
So wie die Dinge stehen, ist nicht davon auszugehen, dass eine deutsche Bundesregierung manns genug ist, der ukrainischen und polnischen Regierung die rote Karte zu zeigen. Es ist ihre größtmögliche außenpolitische Blamage, die nur die Unterwürfigkeit deutscher Außenpolitik zeigt: Kein anderes Land der Welt würde sich das gefallen lassen.
Eines wird damit aber mit ziemlicher Sicherheit erreicht: die Entlegitimierung jeglicher militärischen Hilfe an die Ukraine. Mit welchem Recht fordert ein Staat Milliarden an Unterstützung, der dem Verbündeten die Energiezufuhr abschneidet? Jedenfalls sollte das manchem die Augen öffnen, wie unterstützenswert ein Krieg ist, der mit solchen Mitteln geführt wird. Mit nationaler Selbstbestimmung hat das nichts zu tun.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.