An den Rand notiert
von Rolf Euler
Lieber Erich Kästner,
dies Jahr ist dein 125.Geburtstag und – leider auch – dein 50.Todestag. Wenn ich dir trotzdem schreibe, dann weil du natürlich weitaus lebendiger bist, als diese Daten vermuten ließen. Gratulationen sind daher zwar eher unangebracht, Mitdenken aber hoffentlich in deinem Sinne.
Deine Kinderbücher standen, obwohl deine Schriften nach 1933 verboten waren, und obwohl unsere Eltern diese damals sicher nicht lesen konnten, bei uns im Kinderzimmer, sie standen und stehen in den Regalen unserer Kinder und nun Enkel. Großmütter und Mütter lasen, bis wir es selber konnten, aus Emil und die Detektive, Pünktchen und Anton und Das doppelte Lottchen vor. Die Konferenz der Tiere fand auch immer Eingang ins Vorleseprogramm – heute so aktuell wie wir es damals niemals gedacht hätten.
Dazu kommt – ohne Lob geht es nicht – die große Zahl an Gedichten, die zu meiner Lieblingslektüre zählen, und die nicht unwesentlich zum Schreibverbot durch die Nazis beitrugen. Daran konnte der Riesenerfolg des Emil nichts ändern: Gedichte und Schriften flogen ins Feuer der SA-Studenten. Und du standest in Berlin dabei und machtest dich innerlich »sturmfest«, so sehr man damals ums Leben fürchten musste. Dein Kollege Erich Oser starb in Gestapohaft.
In diesen kriegerischen Zeiten kam erneut das Zitat aus deiner Rede auf der Hamburger PEN-Tagung 1958 in Erinnerung: »Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf.« Und als im Juli der gescheiterten Hitler-Attentäter gedacht wurde, fiel mir ein weiterer Satz aus deiner Rede auf: »Kein Volk und keine Elite darf die Hände in den Schoß legen und darauf hoffen, daß im Ernstfall, im ernstesten Falle, genügend Helden zur Stelle sein werden … Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird.«
Wir, die wir mit deinen Kinderbüchern Kinder sein konnten, mit deinen Gedichten und satirischen Schriften jung und zornig sein konnten, und mit deinen Gedanken alt werden können, müssen ein wenig mehr auf die Verbrechen dieser Zeit achten, da die Verbrechen aus deiner Zeit noch nicht mal verjährt sind. Wo es doch viele gibt, die ein Interesse haben, dass sie nicht nur verjähren, sondern vergessen würden.
Vor einigen Jahren hat dein Kollege im Geiste und im Dienste der Worte, Volker Braun, ebenfalls – wie du – den Büchner-Preis bekommen. Auch er hielt eine bemerkenswerte Rede, die er so beendete: »Ich schließe
fragend und zögernd, in Ihrer Mitte, für mich: Wie lange hält uns die Erde aus | Und was werden wir die Freiheit nennen?«
So gehen wir mit deinem und solchem Erbe in die nächste zögernde Fragerunde auf der Suche nach der »anderen Welt, die möglich ist«.
Lieber Erich Kästner, du schriebst uns – und vielen anderen – ins Poesiealbum:
Ja, die Bösen und Beschränkten
sind die meisten und die Stärkern.
Aber spiel nicht den Gekränkten.
Bleib am Leben, sie zu ärgern!
Bleib noch mal paar Jahre mit dabei!
Solidarische Grüße
Rolf Euler
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