Klarer Kompass statt Zweideutigkeiten
von Christine Buchholz
Während die Ampel-Regierung massive Kürzungen vorbereitet und aufrüstet, die Kriege um die Ukraine und in Gaza dramatisch eskalieren und die AfD an Einfluss gewinnt, ist die Partei Die LINKE als bundesweite Partei nicht imstande, polarisierend aufzutreten und offensiv Bewegungen und Kämpfe aufzubauen und zu initiieren.
Dabei leben wir in Zeiten, die keine Zweideutigkeiten erlauben: Eine Krise folgt der nächsten. Finanzmarktkrise, Corona, Klimakatastrophe und zunehmende Auseinandersetzungen und Kriege um den Zugang zu Rohstoffen, Märkten und Einflusssphären prägen diese Epoche. Der Kapitalismus ist mit der internationalen Jagd nach Profiten verantwortlich für Hunger, Wassermangel und Massenerkrankungen. Millionen von Menschen fliehen vor den Folgen des Klimawandels und vor Kriegen. Währenddessen machen die Industrienationen ihre Grenzen für diese Menschen dicht.
In Deutschland nehmen wir die Krise an drei Fronten wahr:
Die Folgen der Rezession für die Arbeiterklasse äußern sich in angekündigten Massenentlassungen, Sozialkürzungen und einer anhaltenden Teuerung der Lebensverhältnisse. Die Krisenfolgen werden auf die Masse der Bevölkerung abgewälzt, während die Anlagemöglichkeiten des Kapitals gerettet werden sollen.
Imperialistische Konflikte spitzen sich zu. Russland trägt seinen Teil bei mit permanenten Angriffen auf die Ukraine. NATO und EU eskalieren ihrerseits durch Waffenlieferungen und das Zulassen immer weiterreichender ukrainischer Angriffe auf russisches Staatsgebiet. Israels genozidaler Krieg gegen Gaza droht auch angesichts von Militär- und Siedlergewalt im Westjordanland sowie nach dem mutmaßlich israelischen Staatsterror gegen die Hisbollah-Miliz zu einem Flächenbrand zu werden.
In dieser Situation braucht es einen klaren Kompass: Deutschland, die EU und die NATO sind wesentliche Mächte in diesem imperialistischen Konkurrenzkampf. Es geht ihnen um die Ausdehnung ihres jeweiligen geopolitischen Einflusses. Die massive Aufrüstung, mit der die Regierung Kriegstüchtigkeit herstellen will, ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Damit und mit der bedingungslosen Solidarität mit dem kriegführenden Israel treibt die Bundesregierung die Eskalation der Konflikte mit voran.
Mit dem offenen Propagieren der »Remigration«, also der Deportation von Millionen Menschen, die nicht in das Weltbild der AfD passen, verschärft diese Partei den rassistischen Diskurs. Sie nutzt Anschläge wie die Attentate von Mannheim oder Solingen, um die Stimmung gegen Geflüchtete und Muslime weiter anzufachen.
Anstatt dem entgegenzutreten, hauen die etablierten Parteien der Ampel-Koalition, die CDU und auch das BSW in dieselbe Kerbe. Grenzschließungen, vermehrte Abschiebungen auch nach Afghanistan und Syrien, erweiterte Polizeibefugnisse sind die Maßnahmen der Ampelregierung. Die CDU fordert noch mehr Zurückweisungen an den Grenzen (Merz). Der CDU-Innenminister von Brandenburg, Stübgen, fordert gar die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, darin sekundiert durch Wolfgang Kubicki (FDP). Bei den Landtagswahlen in Sachsen,Thüringen und Brandenburg konnte man sehen, dass dieser Kurs die AfD nicht geschwächt, sondern gestärkt hat.
Die LINKE ist – bis auf einige Ausnahmen – als Gegenpol, der klare Positionen dagegen formuliert und den Widerstand auf die Straße trägt, kaum wahrnehmbar. Woher kommt die Angst anzuecken?
Die Gewichte in der Partei haben sich verschoben
Dass es widerstreitende Positionen und politische Traditionen in der Linken gab und gibt, ist nicht neu. Von Anfang an gab es ein Ringen um Herangehensweisen und Positionen. Es gab einerseits diejenigen, die die eigentliche Bestimmung der Linken in der Übernahme von Regierungsämtern auf allen Ebenen sahen und diesem Ziel sowohl die Politik als auch den praktischen Fokus unterordneten – den Reformerflügel. Das hat schon immer zu Konflikten geführt, denn während man den Kapitalismus verwaltet, kann man keine Oppositionskraft aufbauen.
Es gab andererseits diejenigen, deren Ziel die Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse war und für die die LINKE eine systemoppositionelle Partei, verwurzelt in sozialen Kämpfen und Bewegungen sein sollte. Dieser Flügel wurde lange Zeit verkörpert durch AKL, Teile der Sozialistischen Linken und viele Aktive in den Landes- und Kreisverbänden. Auch wenn es viele Schattierungen dazwischen gab und die Partei als Ganzes immer einen Kompromiss zwischen diesen Polen vertrat, war der linke Flügel lange Zeit prägend.
Seit ihrer Gründung im Nachklang der Protestbewegungen gegen Hartz IV, die Agenda 2010 sowie die Kriege in Afghanistan und Irak haben sich die Gewichte in der Partei jedoch verschoben. Der Reformerflügel hat seinen Einfluss ausgeweitet, während der linke Flügel auf Bundesebene paralysiert ist.
Einen Anteil daran hat das Zweckbündnis von Teilen der vor wenigen Jahren als »neuer linker Flügel« angetretenen Bewegungslinken mit Teilen der Reformer, die inzwischen bestenfalls als neues Zentrum mit starker Apparatverankerung agiert.
Am deutlichsten tritt diese Verschiebung an der Frage von Krieg und Frieden zu Tage. Waren die Reformer mit ihrer Forderung nach Aufweichung des prinzipiellen Neins zu Auslandseinsätzen jahrelang in der Defensive, hat es inzwischen keine Konsequenz mehr, wenn ein Teil der Europafraktion sich bei den Ukraine-Resolutionen der EU enthält oder sogar dafür stimmt, obwohl damit Waffenlieferungen befürwortet werden. Die Partei versinkt auf zentraler Ebene in Passivität, wenn es um Protest gegen den genozidalen Krieg Israels in Gaza geht.
Verparlamentarisierung
Angesichts des Niedergangs und der eklatanten Schwächen von Protestbewegungen wiegt eine Entwicklung besonders stark: die Verparlamentarismus und Verapparatisierung.
Das permanente Agieren im parlamentarischen Rahmen führt dazu, dass mehr und mehr Genoss:innen – Abgeordnete und ihre Mitarbeiter:innen – dort ihr zentrales Wirkungsfeld sehen. Die Entwicklung von Konzepten bekommt einen höheren Stellenwert als die Intervention in aktuelle Auseinandersetzungen und die Mobilisierung von Gegenmacht zum kapitalistischen Alltag.
In Zeiten starker gesellschaftlicher Bewegungen und Klassenkämpfe kann diese Tendenz zurückgedrängt werden. Momentan jedoch fehlen sowohl der Druck von außen als auch der Druck eines linken Flügels von innen.
Eine verheerende Wirkung auf den linken Parteiflügel hatte die so genannte »Migrationsdebatte«, die Sahra Wagenknecht nach der Bundestagswahl 2017 anfachte und die schließlich mit der Abspaltung des BSW endete.
Dadurch wurde nicht nur der Antikriegsflügel in der Partei massiv geschwächt. Gesellschaftlich hat Wagenknecht damit die Polarisierung nach rechts mit angefacht.
Allerdings führt der Weggang von Wagenknecht nicht dazu, dass die Partei als Ganzes stärker wahrgenommen wird als prägende Kraft im antifaschistischen und antirassistischen Kampf – einzelne Genoss:innen natürlich ausgenommen. Dies hängt sowohl mit der generellen Prioritätensetzung (parlamentarisches Wirken vs. Bewegungsaufbau), als auch mit politischen Schwächen zusammen, z.B. der Vorstellung, eine bessere Sozialpolitik sei entscheidend, um die AfD zu schwächen.
Diejenigen im linken Flügel der Partei, die als antikapitalistische Linke und revolutionäre Sozialist:innen seit Beginn die Partei und gesellschaftliche Kämpfe mit aufgebaut haben, müssen sich die Frage stellen, wie sie zum Aufbau realer Gegenmacht durch Beteiligung an Klassenkampf und Widerstand beitragen können – politisch und praktisch.
Es gibt einzelne Gruppen, die in diesem Sinne arbeiten. Insgesamt haben sich die Kräfteverhältnisse in der Linken aber so stark verschoben, dass die permanenten Kämpfe um Positionen und praktische Politik bereits viele aus dem linken Parteiflügel schon zum stillen Rückzug gebracht haben.
Diese Entwicklung ist dramatisch und schmerzhaft angesichts der Dynamik und Hoffnung, die der Aufbau der Linken in den ersten Jahren bedeutet hat und der viele Menschen zusammengebracht, geprägt und mobilisiert hat.
Die gesellschaftliche Polarisierung lässt keine Verzögerung mehr zu. Vor diesem Hintergrund ist der Parteitag der LINKEN zu bewerten und die Aufgabe derer, die in den aktuellen Krisen handlungsfähig sein und weiterhin eine grundsätzliche Alternative zu Kapitalismus und Krieg aufbauen wollen.
Christine Buchholz ist Mitglied von Sozialismus von unten. Sie war viele Jahre Mitglied im Parteivorstand der LINKEN und zwölf Jahre Mitglied des Bundestags.
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