Vergesellschaftung auf dem Acker und in der Tierindustrie
von Paula Breitenbach
Die Landwirtschaft trägt erheblich zum Biodiversitätsverlust und zur Klimakatastrophe bei, zu Bodendegradation, Wasserverschmutzung und der Übernutzung von Ressourcen, aber auch zu unmenschlichen Arbeitsbedingungen und Ausbeutung. All das wurzelt in den ökonomischen Rahmenbedingungen.
Der unaufhaltsame Wachstums- und Verwertungszwang und die permanente Konkurrenz prägen die alltägliche Praxis in der Landwirtschaft. Immer mehr kleine und mittlere Betriebe können dem finanziellen Druck nicht weiter standhalten. In Deutschland schlossen zwischen 2010 und 2022 durchschnittlich 278 Betriebe pro Monat ihre Tore. Zwischen 2005 und 2020 stellten fast 40 Prozent der Höfe in der EU ihren Betrieb ein.
Immer mehr Fläche konzentriert sich in immer weniger Händen: »3 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe gehören 50 Prozent des europäischen Agrarlandes.« Auch der Verkauf von Boden als Spekulationsobjekt an außerlandwirtschaftliche Investoren schreitet voran.
Es braucht lokale und globale Veränderungen, um unsere Lebensgrundlagen – Boden, Wasser, Saatgut – zu erhalten, die Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft an die Klimakatastrophe zu erhöhen und die bedarfsgerechte Ernährung von Menschen sicherzustellen. Die Probleme können nicht bearbeitet werden, solange Bodennutzung und Landwirtschaft als Ganzes den ökonomischen Zwängen unterworfen sind.
Wie kann’s anders gehen und wer macht’s?
Vergesellschaftung bietet einen Ausweg. Jenny Stupka definiert sie treffend als die »Verschiebung der Verfügungsmacht (von privatem in Gemeineigentum), eine Verwandlung der Verfügungsweise (von Marktmechanismen in demokratische Strukturen) und eine Aneignung des Verfügungszwecks (von Profit- zu Bedürfnisorientierung).«
Vergesellschaftung zielt darauf ab, den Zugang und die Nutzung von Ressourcen sozial gerecht und ökologisch nachhaltig zu machen. Auch kleine und mittelgroße Betriebe profitieren davon, wenn demokratische Prozesse ihnen die Möglichkeit geben, aktiv an Entscheidungen teilzunehmen und ihre Interessen zu vertreten. Darüber hinaus kann die Vergesellschaftung der Ressource Boden durch faire Pachtpreise den Zugang zu weiteren Flächen ermöglichen und vor Spekulation schützen.
Zu einer sinnvollen Vergesellschaftung gehört der Einstieg in eine ökologisch nachhaltige Bewirtschaftungsweise. Boden zum Beispiel regeneriert sich – wenn man ihn denn lässt. Der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit ist existenziell für die Ernährungssicherheit.
In einem vergesellschafteten Agrarsektor können Nahrung und landwirtschaftliche Produktionsmittel bedarfsgerecht, ökologisch, innerhalb der planetaren Grenzen und unter fairen Arbeitsbedingungen hergestellt und gerecht verteilt werden. Funktionieren kann das allerdings nur zusammen mit Bäuerinnen und Bauern und wenn die Perspektiven ostdeutscher Landwirte, die von der Kollektivierung in der DDR betroffen waren, berücksichtigt werden.
Ein konkreter Ansatz wäre die Überführung der Landgesellschaften (LG) und der Bodenverwertungs- und -verwaltungs-GmbH (BVVG) in Anstalten des öffentlichen Rechts (AöR). Die BVVG ist eine Nachfolgegesellschaft der Treuhand, die gegründet wurde, um die ehemals enteigneten Flächen der DDR zu privatisieren. Sie ist dem Bundesfinanzministerium untergeordnet. Die Flächen wurden an Großbetriebe und außerlandwirtschaftliche Investoren verscherbelt von ursprünglich eine Million Hektar sind noch knapp 100.000 Hektar übrig.
Mögliche Wege
Landgesellschaften oder Landsiedlungen sind privatrechtlich organisierte Gesellschaften, die der ländlichen Entwicklung und Strukturverbesserung in der Landwirtschaft dienen sollen. Solche Gesellschaften gibt es in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen. Die Verwertung und Beschaffung von Boden stehen für die LG im Mittelpunkt, aber sie regeln teilweise auch Wasserangelegenheiten und Vertragsnaturschutz.
Leider streben sie maximale Gewinne an. Die Hessische Landgesellschaft bspw. plante in der kleinen Gemeinde Neu-Eichenberg auf 80 Hektar fruchtbarstem Ackerboden ein Logistikgebiet und verhandelte dafür mit großen außerlandwirtschaftlichen Investoren, statt die Flächen langfristig und gemeinwohlorientiert für eine landwirtschaftliche Nutzung zu sichern. Der Plan hätte zahlreiche negative Umweltauswirkungen und ein immenses Verkehrsaufkommen für die Gemeinde bedeutet. Durch die Zusammenarbeit einer Bürger:inneninitiative, einer Ackerbesetzung und einer Neuaufstellung des Gemeinderats konnte er verhindert werden.
Der Umbau der BVVG und LG zu Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) bietet die Möglichkeit, sie am Gemeinwohl auszurichten. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hat Kriterien für eine gemeinwohlorientierte Verpachtung ausgearbeitet. So ließe sich der Zugang zu Land für Landwirt:innen sicherstellen und Nutzungsformen demokratisch aushandeln.
Landwirt:innen müssen die Möglichkeit haben, Land zu angemessenen Bedingungen zu bewirtschaften. Der Zugang zum Boden ist für sie die Voraussetzung, um ihren Beruf auszuüben und ihre Existenz zu sichern. Die BVVG und LG müssen unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Die AöR könnten als Prototyp eines vergesellschafteten Bodenfonds dienen. Er würde landwirtschaftliche Flächen erwerben, bewirtschaften und verwalten.
Auch auf europäischer Ebene gibt es die Forderungen nach einer Vergesellschaftung des Bodens. Öffentliche Landbanken sollen Bodenfonds gemeinwohlorientiert verwalten und demokratischer Kontrolle unterliegen. Die europäische Koordination von Via Campesina hat 2023 der EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt.
Mit Essen spielt man nicht
Es hat einen Grund, dass Nahrung als Lebensmittel bezeichnet: Ohne Essen ist menschliches Leben nicht möglich. Aber die Knappheiten durch Krisen, Kriege und Ernteausfälle werden ausgenutzt, um die Profite auf Kosten des Lebens der Ärmsten zu maximieren. Umwelteinflüsse, Kriege und Missernten beeinflussen die Preisbildung, doch maßgeblich bestimmen Aktienkurse, Risikobereitschaft und Zinshöhe darüber, ob Lebensmittel für Menschen bezahlbar sind oder ob sie (ver)hungern.
Die Voraussetzung für eine umfassende Vergesellschaftung der Landwirtschaft ist auf globaler Ebene die Entkopplung der Lebensmittelproduktion von Weltmarkt und Rohstoffbörse. Um Umwelt- und Sozialstandards, gerechte Arbeitsbedingungen, eine angemessene Entlohnung sowie die Interessen der Verbraucher:innen zu berücksichtigen, dürfen die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse nicht vom Weltmarkt bestimmt werden. Dies setzt ein Ende der Spekulation mit Grundnahrungsmitteln an den Rohstoffbörsen voraus.
Eine mangelfreie Ernährung von bis zu 10 Milliarden Menschen ist auch in Zukunft trotz der Klimakatastrophe möglich. Die Vergesellschaftung der Nahrungsmittelversorgung, von der landwirtschaftlichen Primärproduktion bis hin zu Verarbeitungs- und Verteilungsprozessen, ist eine Grundlage für die zukünftige Ernährungssicherheit und -souveränität.
Vergesellschaftung ermöglicht einen demokratisch ausgehandelten Zugang zu Boden, Wasser und Saatgut und schafft die Voraussetzung für den ökologischen Erhalt dieser Ressourcen. Nur ohne den ökonomischen Wachstumszwang wird eine ökologisch und sozial nachhaltigere Landwirtschaft möglich. Es ist an der Zeit, konkrete Schritte der Demokratisierung des Agrarsektors zu unternehmen und ihn der Profitlogik zu entziehen, hin zu einer bedarfsgerechten Nahrungsmittelproduktion.
Die Klima- und Umweltbewegung sucht nach neuen Wegen. Die Einsicht verbreitet sich: Die Verfügung privater Unternehmen über die Lebensgrundlagen muss beendet, die Produktion auf dem Acker und im Stall einer demokratischer Kontrolle unterworfen werden. Taugt die Parole »Vergesellschaftung« dazu, neue Bündnisse zu schmieden?
Die Bäuerin und Agrarwissenschaftlerin Paula Breitenbach beschreibt Ansätze, um die staatliche Bodenpolitik auf das Gemeinwohl zu verpflichten.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.
Kommentare als RSS Feed abonnieren