Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2024

VW-Krise und die Bundestagswahl
von Gerhard Klas

Das Wahlergebnis in den USA hätte es nicht deutlicher machen können: Wenn es keine offensiv vorgetragenen sozialen und solidarischen Alternativen gibt, wird nach unten getreten, werden die toxischen Männer gewählt, deren Agenda der Hass auf andere ist, die nicht ihrer Norm entsprechen.
Das könnte uns auch in Deutschland blühen.

In der letzten SoZ brachte ein VW-Arbeiter aus Kassel es auf den Punkt: Wenn bei den Verhandlungen zwischen Management, Gewerkschaft und Betriebsrat »keine solidarische Lösung herauskommt, dann wird die AfD davon profitieren«. Immerhin geht es um 120000 Kolleginnen und Kollegen samt Anhang, hinzu kommen die vielen Zulieferer mit ebenfalls Zehntausenden von Arbeitsplätzen.

Solidarische Lösungen im Kontext der VW-Krise würde bedeuten: keine Werksschließungen, keine betriebsbedingten Kündigungen. Stattdessen Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich und Umstellung der Produktion auf gesellschaftlich sinnvolle und dringend benötigte Produkte. Dazu gehören nicht nur Nutz- und Transportfahrzeuge, etwa Busse, sondern auch Straßenbahnen, Wärmepumpen – alles was für eine ökologische Wende zugunsten des Klimas benötigt wird und was die VW-Arbeiter:innen mit ihren Fähigkeiten bei der Verarbeitung von Metall und Kunststoff, bei der Installation von Elektronik und Montage der Komponenten mitbringen.
Aber weder die IG Metall und schon gar nicht das VW-Management wollen sich darauf einlassen. Ihre langfristige Perspektive lautet: Die riesige Flotte von Verbrenner-Pkw soll durch elektronisch angetriebene Pkw ersetzt werden. Das wäre eine ökologisch katastrophale Lösung.
Dass jenseits des Automobils auch andere Produkte hergestellt werden können, beweisen nicht nur die Arbeiter:innen des ehemaligen Automobilzulieferers GKN bei Florenz – Ex-GKN ist mittlerweile zum Vorzeigeprojekt der Verkehrswendebewegung geworden. So etwas ist möglich, das wurde – aus der Not geboren – schon während der Corona-Pandemie deutlich: Innerhalb weniger Wochen konnte z.B. ein Škoda-Werk im spanischen Valencia, übrigens eine VW-Tochter, auf die Produktion von Beatmungsgeräten umstellen. Ähnliche Erfahrungen machten Kolleg:innen bei General Motors in den USA.

Eine solidarische Lösung im Sinne der Verkehrswende scheitert also nicht an den technischen Möglichkeiten, sondern am politischen Willen. Und der definiert sich in unserem Wirtschaftssystem nicht nur bei börsennotierten Konzernen wie VW leider über die Profiterwartungen und nicht über den Gebrauchswert von produzierten Gütern.
Wer sich auf den Markt verläßt, der ist verlassen: Das marktliberale Credo von der Selbstregulierung hat auch der VW-Konzern erneut widerlegt: 4,5 Milliarden Euro Dividende genehmigten sich die Aktionäre im Mai, vier Monate später, im September, klagten Konzernvorstand und Großaktionäre über fehlende 5 Milliarden Euro, die mit Hilfe von Werksschließungen und betriebsbedingten Kündigungen eingespart werden müssten.
Egal ob es um die Interessen der Beschäftigten oder der Gesamtgesellschaft geht: Die Planung der Zukunft sollte nicht den Aktionären und dem Management überlassen werden. Und mit halbgaren Regulierungen und Anreizen ist es sicher auch nicht getan. Einige Verkehrswendeinitiativen fordern deshalb eine Vergesellschaftung der Produktion von Fahrzeugen, sehen Mobilität als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Dass die Verkehrswende möglicherweise mehr ist als eine reine Antriebswende vom Verbrenner aufs E-Auto hat auch die IG Metall eingesehen – zumindest auf dem Papier. Im Januar veröffentlichte der Hauptvorstand zusammen mit der Eisenbahn und Verkehrsgewerkschaft EVG und der Allianz pro Schiene das gemeinsame Positionspapier »Die Verkehrswende starten«. Dafür brauche es, heißt es dort, mehr Kapazitäten für den Schienenverkehr, finanziell und ­personell.
Ein Papiertiger: Bei den Kolleg:innen in den Betrieben ist das Papier nicht einmal bekannt, trotz brach liegender Kapazitäten bei VW und Kahlschlag beim weltweit zweitgrößten Schienenhersteller Alstom. Das gilt auch für wichtige Teile der IG-Metall-Satzung, in der von einer »Überführung von Schlüsselindustrien und anderen markt- und wirtschaftsbeherrschenden Unternehmungen in Gemeineigentum« die Rede ist.
Solidarische Lösungen, die diese Bezeichnung verdienen, präsentieren auch Initiativen wie »RWE enteignen« oder »Deutsche Wohnen enteignen«. Letztere hat in Berlin sogar Volksentscheide gewonnen – die Umsetzung scheiterte jedoch an der rot-rot-grünen Senatspolitik, die entsprechende Entscheidungen verschleppte. Das war Ausdruck einer viel zu defensiven Haltung, besonders bei der Partei Die Linke.
Wer gegen die extreme Rechte gewinnen will, muss bereit sein, offensiv mit den Kapitalinteressen zu brechen. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit politischen Handelns, die auch linke Parteien im politischen Alltag viel zu häufig parteitaktischen Erwägungen unterordnen. So lange das so bleibt, werden die Rechten immer wieder gewinnen – so wie in den USA.

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