Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2024

Mithu Sanyal: Antichristie. München: Hanser, 2024. 544 S., 18,99 Euro
von Elfriede Müller

Antichristie ist ein überzeugendes Buch, das ein anspruchsvolles, anregendes und witziges Lesevergnügen bietet. Es thematisiert die komplexe Frage linker Gewalt am Beispiel des indischen Unabhängigkeitskampfes.

Zwei Rahmenhandlungen bestimmen den Plot: eine neue, antirassistische Verfilmung eines Agatha-Christie-Romans mit Hercule Poirot als schwarzem Detektiv. Dazu trifft sich ein diverses Team in London. Die Hauptfigur Durga wurde geladen, weil sie das Drehbuch einer Doppelfolge der britischen Serie Dr. Who geschrieben hat. Wie Dr. Who reist auch Durga mit einer Zeitmaschine zum Anfang des 20.Jahrhunderts und kommt ins Londoner India House, wo sich indische Revolutionäre ein Stelldichein geben. Sie orientieren sich an internationalen Befreiungsbewegungen und wenden auf Indien an, was sie als nützlich erachten, um die koloniale Herrschaft zu überwinden: Gewalt, gewaltfreier Widerstand, den Boykott britischer Güter, Hungerstreiks, festkleben, anketten, Attentate – das ganze bekannte revolutionäre Repertoire steht zur Debatte. Die Auseinandersetzungen der deutschen Linken in den 80er und 90er Jahren zur Gewaltfrage werden damit konfrontiert.
Sanyal zeigt, dass nicht nur eine andere Welt, sondern auch eine andere Art des Politikmachens möglich ist. Denn die Frage lautet nach wie vor, ob eine Revolution stattfinden kann, die nicht ihre Kinder frisst. Absolute Gewaltlosigkeit kann so falsch sein wie Gewalt selbst, und auch der indische Unabhängigkeitskampf lief nicht ausschließlich gewaltfrei ab.
Der Roman handelt nicht allein vom Unabhängigkeitskampf, sondern auch davon, was daraus geworden ist. Auch die Frage, was eigentlich ein Befreiungskrieg ist und was ein von vornherein konterrevolutionäres, konformistisches Unterfangen. Dass sich hinter jeder Unterdrückung eine weitere verbergen kann, ist eine kluge Erkenntnis, mit der alle leben müssen, die eine menschliche Emanzipation befördern wollen. Dass es keine besseren Menschen gibt, egal woher sie kommen, ist eine universelle Aussage der Autorin: »Menschengruppen sind nicht besser oder schlechter als andere – Gesellschaftssysteme sind besser oder schlechter.«

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