Linker Erdrutschsieg während der Krise
von Mark Johnson und R.K. Radhakrishnan
Die Janatha Vimukthi Peramuna (JVP – Volksbefreiungsfront) und ihr Bündnis, die Nationale Volksmacht (NPP), haben bei den Parlamentswahlen in Sri Lanka am 14.November 2024 eine historische Zweidrittelmehrheit erreicht. Für die einst rebellische linke Partei bedeutet dies einen außergewöhnlichen Wandel. Sie machte sich die Hoffnungen der armen Bevölkerungsmehrheit zu eigen und breitete sich von ihren südlichen Hochburgen bis in den tamilischen Norden aus, wo sie eine noch nie dagewesene Unterstützung erhielt und die traditionellen Parteien auf eine einstellige Zahl reduzierte.
Die Nationale Volksmacht (NPP – National People’s Power), in der die JVP die wichtigste politische Partei ist, erhielt insgesamt 160 Sitze, ihr nächster Konkurrent, die Samagi Jana Balawegaya (SJB), kam nur auf 40 Sitze. Es ist das erste Mal, dass eine einzige Liste eine absolute Mehrheit nach dem Verhältniswahlsystem erreicht, wobei die von der JVP geführte Koalition im vorherigen Parlament nur drei Sitze hatte und nun auf einmal die absolute Mehrheit.
Mehr als 17 Millionen Wählerinnen und Wähler waren in 13.421 Wahllokalen auf der ganzen Insel wahlberechtigt, doch die Wahlbeteiligung lag nur bei etwa 65 Prozent, dem niedrigsten Wert seit fast anderthalb Jahrzehnten.
Der Wahlsieg kommt zu einem Zeitpunkt, wo Sri Lanka sich von seiner schwersten Wirtschaftskrise seit der Unabhängigkeit 1948 erholen muss; sie ist auf jahrelange Misswirtschaft, die Covid-19-Pandemie und die Bombenanschläge zu Ostern 2019 zurückzuführen. Im Jahr 2022 musste der damalige Präsident Gotabaya Rajapaksa nach massiven Straßenprotesten wegen der Inflation und Engpässen bei lebenswichtigen Gütern zurücktreten.
Anura Kumara Dissanayake, der Vorsitzende der JVP, gewann die Präsidentschaftswahlen im September dieses Jahres auf einer Welle der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den Sparmaßnahmen, die sein Vorgänger Ranil Wickremesinghe, Vorsitzender der United National Party, im Rahmen eines Rettungspakets mit dem IWF durchgesetzt hatte [bei der Präsidentschaftswahlen 2019 hatte er 3,2 Prozent der Stimmen erhalten]. Da seine Koalition aber nur über drei Sitze im scheidenden Parlament verfügte, rief der 55jährige JVP-Führer auf der Suche nach einem neuen Mandat vorgezogene Parlamentswahlen aus.
Dissanayake hatte in seiner Präsidentschaftskampagne nicht auf einer sozialistischen oder antikapitalistischen Plattform gekämpft, sondern vielmehr den Ruf nach »Veränderung« einer degenerierten, jahrzehntealten politischen Kultur aufgenommen, die von großen Teilen der Bevölkerung quer durch Klasse, Geschlecht, Ethnie und Religion für die wirtschaftliche Katastrophe von 2021/2022 verantwortlich gemacht wird.
Diejenigen, die ihn gewählt haben, erwarten, dass seine Regierung die politische Kultur ändert, bei der Politiker zwischen den Wahltagen über das Volk herrschen; sich selbst, ob in der Regierung oder in der Opposition, mit Privilegien und Vergünstigungen belohnen; von ihrem Amt profitieren, indem sie mit anderen politischen Parteien, lokalen und ausländischen Unternehmen Geschäfte machen und Schmiergelder kassieren; Zugang zu staatlichen und internationalen Ausschreibungen und Verträgen haben und für ihre Missbräuche und Verbrechen im Amt von Ermittlungen, Strafverfolgung und Haft befreit sind.
Trotz der Begeisterung über diesen dramatischen Wandel auf parlamentarischer Ebene sind einige Linke skeptisch, was die Entschlossenheit und Fähigkeit der JVP angeht, sich der wirtschaftlichen und politischen Macht der kapitalistischen Eliten entgegenzustellen. So äußerte der ehemalige JVP-Aktivist und jetzige Vorsitzende der Frontline Socialist Party (FSP), Kumar Gunaratnam, die JVP sei nicht mehr die Partei, die sie einmal war: »Der Präsident der NPP und die JVP scheinen heute den sozialistischen Weg vergessen zu haben, der von den verstorbenen Gründern ihrer Partei gelehrt wurde, die sowohl 1971 als auch 1989 ihr Leben opferten.«
Wirtschaftliche Herausforderungen
Die Nationale Volksmacht (NPP) muss mehrere unmittelbare Herausforderungen bewältigen:
– die Verwaltung des Rettungspakets des IWF in Höhe von 2,9 Mrd. US-Dollar,
– die Umsetzung der versprochenen Abschaffung der Exekutivpräsidentschaft,
– die Überwindung der Zersplitterung in der tamilischen Politik,
– die Durchführung von Wirtschaftsreformen bei gleichzeitiger Wahrung der sozialen Stabilität,
– die Umsetzung des ehrgeizigen Programms »Digitales Sri Lanka«,
– die Reform der öffentlichen Verwaltung und des Dienstleistungssektors.
Der Generalsekretär der JVP, Tilvin Silva, erläuterte kürzlich die wirtschaftlichen Prioritäten der Koalition und ihre Vorstellung vom Wandel: »Um Sri Lanka wiederaufzubauen, müssen wir zu einer produktionsbasierten Wirtschaft übergehen. Dazu müssen wir sowohl ausländische Investitionen als auch unsere eigenen Ressourcen anzapfen. Der Schlüssel, um globale Investoren anzuziehen, ist die Schaffung einer transparenten Regierungsführung, die frei von Betrug und Korruption ist.«
Die Wirtschaftskrise, so Silva, belastet das Land schwer: »Die Vorgängerregierung hat das Land im Jahr 2022 für bankrott erklärt und wir haben eine Wirtschaft in Trümmern geerbt, bei der nationale Vermögenswerte verkauft wurden, nur um das Land über Wasser zu halten. So plante die Regierung bspw., das Unternehmen Milko zusammen mit 28.000 Hektar Land zu verkaufen. Anstatt die nationalen Ressourcen für den Wiederaufbau der Wirtschaft zu nutzen, entschied man sich, sie zu veräußern.«
Silva hob drei strategische Kernbereiche hervor:
– Förderung einer produktiven Wirtschaft,
– Einbindung der Bürger in den Wirtschaftsprozess,
– Sicherstellung, dass die Vorteile des Wachstums alle Teile der Gesellschaft erreichen.
Die Partei hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, darunter die Steigerung des Tourismus. Außerdem stellte Silva Pläne für Reformen im Bildungs- und Gesundheitswesen vor:
»Indem wir die wirtschaftlichen Bedingungen im Bildungswesen verbessern, können wir die Kosten für die Eltern senken und die dringend benötigte Entlastung schaffen. Auch im Gesundheitswesen wollen wir die Dienstleistungen verbessern und den Zugang erweitern um sicherzustellen, dass der Nutzen der Gemeinschaft zugute kommt.«
Die NPP ist für Freihandel, für Auslandsinvestitionen und für Exportorientierung. Sie wird die Ausweitung privater Gesundheits- und Bildungsangebote nicht rückgängig machen, sondern verspricht vielmehr, sie im Interesse der Nutzer:innen zu regulieren.
Sie versucht, die Balance zu halten zwischen klassischen neoliberalen Grundsätze mit Hinweis auf die Ausweitung der einheimischen Produktion (d.h. Importsubstitution, ohne sie beim Namen zu nennen), Widerstand gegen die Privatisierung staatlicher Unternehmen und Ausweitung von Sozialprogrammen und staatlichen Zuweisungen für gefährdete Gruppen (ältere Menschen, Rentner, junge Mütter und Frauen mit kleinen Kindern, Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten usw.).
Sie achtet auch sorgfältig darauf, jeden Hinweis auf den aufgeblähten Militärhaushalt zu vermeiden, der 7 Prozent des Staatshaushalts ausmacht, fast so viel wie Gesundheit und Bildung zusammen. Dieser Skandal ist politisch unantastbar aufgrund der Ideologie der nationalen Sicherheit, die der nationalistische singhalesische Staat in den fast drei Jahrzehnten des Krieges gegen die tamilische Bevölkerung zwischen 1983 und 2009 gefördert hat. Die Anspielungen der NPP auf die Umverteilung von Reichtum und Einkommen sind sehr verhalten, um die Klassen nicht zu verärgern, deren Zustimmung für sie so wichtig ist.
Wandel in der tamilischen Politik
Die Wahl markierte einen grundlegenden Wandel in der ethnischen Politik Sri Lankas: Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes stimmten die Tamilen im Bezirk Jaffna in der Nordprovinz für die JVP, eine singhalesische Partei. Die NPP gewann sowohl in Vanni als auch in Jaffna, die traditionell zu den Hardlinern unter den Tamilen gehören, was eine dramatische Verschiebung der politischen Zugehörigkeit verdeutlicht.
In Jaffna gewann die NPP drei Sitze neben der ITAK, dem All Ceylon Tamil Congress und einer unabhängigen Gruppe. Obwohl in Jaffna über 593.000 Wähler registriert sind, gingen nur etwa 325.000 zur Wahl.
Die Zersplitterung der tamilischen Politik wurde insbesondere durch die Finanzierung aus der Diaspora befördert. Verschiedene tamilische Diaspora-Gruppen haben mehrere Parteien und unabhängige Kandidaten finanziert und so zur Vermehrung politischer Gruppierungen beigetragen.
Niedergang der traditionellen Kräfte
Bei den vergangenen Wahlen haben die traditionellen politischen Kräfte einen dramatischen Niedergang erlebt. Die vom ehemaligen Präsidenten Ranil Wickremesinghe geführte Neue Demokratische Front erhielt lediglich vier Sitze, während die Partei des ehemaligen Präsidenten Mahinda Rajapaksa, die im alten Parlament die Mehrheit hatte, nur noch zwei Sitze erhielt. Viele ehemalige Abgeordnete und politische Schwergewichte blieben auf der Strecke.
Kumar Gunaratnam von der FSP ist skeptisch, ob die NPP-Parlamentarier in der Lage sind, die auf das Parlament fixierte Politik zu durchbrechen, die so viele linke politische Parteien, die im Parlament gewirkt haben, geschwächt und zerstört hat. »Es stimmt, dass die Präsidentschaft an eine Person gegangen ist, die die unterdrückten Klassen repräsentiert. Das ist sehr zu begrüßen. Wir würden auch die guten Dinge begrüßen, die das aktuelle Regime tun kann … Ein vollständiger Übergang zum Sozialismus sollte jedoch durch eine Revolution außerhalb der Legislative herbeigeführt werden.«
15.11.2024
Quelle: www.europe-solidaire.org/spip.php?article72555.
R.K. Radhakrishnan ist leitender Redakteur des Magazins Frontline.
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