Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Nur Online PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2025


von Przemyslaw Wielgosz

Die internationale Politik von Donald Trump ist klassischer Imperialismus ohne Beschönigung. Das Zeichnen einer Karte von Einflusssphären, ethnische Säuberungen als Mittel zur Problemlösung, offener Annexionismus, Zugang zu Ressourcen im Austausch gegen Sicherheitsgarantien für formal souveräne Staaten (d.h. de facto deren Herabsetzung auf die Position nicht-souveräner Bananenrepubliken) erschrecken die europäische politische Klasse heute.

Es gibt zweifellos die Hysterie von Menschen, die zutiefst und entgegen aller Behauptungen glauben, dass der alte Kontinent das Ende der Geschichte erlebt hat, obwohl doch - auch dank der Politik der EU-Staaten und der EU selbst - die Geschichte in ihren schlimmsten Ausprägungen nie aufgehört hat, die Erfahrung der überwältigenden Mehrheit der Welt zu sein. Der klassische Imperialismus ohne jede Rücksicht ist eine tägliche Realität, mit der die Menschen im Nahen Osten, in Afrika südlich der Sahara und zum Teil auch in Lateinamerika konfrontiert sind. Europa, das aus dieser Situation einen ziemlichen Profit zieht, wacht nun mit einem Aufschrei auf.

Und das zu Recht, denn die Europäische Union ist die Weltmacht, die von Trumps Politik am meisten zu verlieren hat. Eine andere Sache ist, dass sie selbst zu dieser Situation beigetragen hat. Mit ihrem hirnlosen Atlantizismus. Und hier hat Polen ein großes Verdienst. Denn wenn Trump heute in Europa seinen imperialen Partnern aus Moskau alles verkaufen kann, dann ist das auch der Beitrag unserer politischen Klasse und wie sie ihren Platz in der Welt in den letzten drei Jahrzehnten gesehen hat.

Entscheidend in dieser Hinsicht war die Entscheidung, die anlässlich der Aggression Washingtons unter der Führung des jüngeren George W. Bush gegen den Irak im Jahr 2003 getroffen wurde. Die Opfer dieses Krieges waren nicht nur das irakische Volk (mindestens eine halbe Million Opfer, mehr als in der Ukraine und in Gaza zusammen) und das von den USA und ihren Helfern mit Füßen getretene Völkerrecht. Das Ziel der Neokonservativen unter Bush waren nicht nur die irakischen Ölfelder und die Durchsetzung eines neuen geopolitischen Arrangements im Nahen Osten. Es ging dabei auch darum, das europäische Projekt zu lähmen. Und das ist den Amerikanern glänzend gelungen.

Durch wessen Hände? Durch das so genannte „junge Europa“, eine Gruppe von Ländern in unserer Region, die sich der von den Amerikanern unterstützten Koalition der Willigen anschloss und sich bereitwillig an einer verbrecherischen Aggression gegen ein Land beteiligte, das keine Bedrohung für sie darstellte. Diese Gruppe wurde dann von den polnischen Medien stolz gegen das angeblich senile alte Europa, d.h. vor allem Frankreich und Deutschland, ausgespielt, die den Mut hatten, sich dem amerikanischen Krieg zu widersetzen.

Das Problem war, dass „Jugend“ und „Alter“ in Europa genau umgekehrt verteilt waren. Es waren Polen und der Rest des vermeintlich „jungen Europas“, die sich an veraltete Karten und diskreditierte Ideen klammerten, ohne zu erkennen, dass der ungezügelte Militarismus der Neocons ein Symptom für die Dämmerung der amerikanischen Macht war. Es waren Paris und Berlin, die es verstanden, die Herausforderungen der Zukunft zu erkennen und ihnen zu begegnen, auch wenn ihre Politiker dies mit einer arroganten Rhetorik zum Ausdruck brachten, die gegen sie verwendet wurde.

Auf dem Tisch lagen damals Projekte für eine stärkere Integration der Union, die Stärkung ihrer demokratischen Legitimation, der Aufbau einer europäischen Armee, die Unabhängigkeit von der amerikanisch dominierten NATO, eine eigene internationale Politik. Diese Ideen waren so ernsthaft und kurz vor der Verwirklichung, dass die Amerikaner sie als Bedrohung ihrer Hegemonie in Europa ansahen und beschlossen, sie zu unterdrücken. Sie taten dies sehr effektiv, auch durch unsere Politiker, die überzeugt waren, in eine sichere Zukunft zu investieren, in Wirklichkeit aber die Hand aufhielten, um eine neue Welle des Imperialismus zu entfesseln und gleichzeitig die Europäische Union zu schwächen, der wir gerade beigetreten waren.

Der Irak hat Europa gespalten, die Ideen einer europäischen Armee oder einer souveränen Außenpolitik sind auf dem Müll gelandet. Die Union wurde dauerhaft auf einen gemeinsamen (und sehr neoliberalen) Markt mit einer mangelhaften Demokratie reduziert. Und doch waren die Ideen von damals ein Abbild dessen, was sich heute als notwendige Antwort auf Trumps Umschwung abzeichnet. Nur dass es heute eine Antwort ist, die ein Vierteljahrhundert zu spät kommt. Bestimmte Versäumnisse und Rückstände werden nicht über Nacht aufgeholt. Politischer Wille allein reicht nicht aus, wenn die strukturellen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind - zumal der Wille, diese Voraussetzungen zu ändern, nicht vorhanden ist.

Nach Jahrzehnten der Perpetuierung eines neoliberalen Modells der wirtschaftlichen Integration, nach Krise und Brexit und nach der Auslieferung der Demokratie an Scharen von Lobbyisten des Großkapitals ist die EU politisch schwächer, als sie es bei Polens Beitritt war, und übernimmt gerne die Rolle von Amerikas trojanischem Pferd. Und das ist wirklich nicht die alleinige Schuld von Trump oder Putin, sondern auch von jenen Politikern und Kommentatoren, die sich heute im Morgengrauen als Betrogene aufspielen.

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