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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2025

Niederlage für die Beschäftigten
von Thorsten Donnermeier

Ungewöhnlich, dass es so lange dauerte: Bis Redaktionsschluss lag der Tarifvertrag noch nicht vollständig in gedruckter Version vor. Doch was über die Ergebnisse durchgesickert ist, macht eines klar: Der Vertrag, unterzeichnet von der Tarifkommission der IG Metall und dem VW-Vorstand kurz vor den Weihnachtstagen, ist nicht das »Weihnachtswunder«, als das er der Öffentlichkeit verkauft wurde.

Es gibt Lohnverluste, weil Urlaubsgeld und Bonuszahlungen reduziert werden oder ganz wegfallen. Die Arbeitszeiten verlängern sich für einen Teil der Belegschaft. Bis 2030 sollen außerdem 35.000 Stellen wegfallen. Das sind umgerechnet drei bis vier VW-Werke – oder mehr als ein Viertel der heutigen Belegschaft.
Das ist eine große Niederlage nicht nur für die VW-Beschäftigten. Es sind auch traurige Aussichten für die betroffenen Regionen, wo kommunale Einnahmen wegfallen und die Erwerbslosigkeit grassieren wird. Das »Weihnachtswunder« setzt ein negatives Signal für kommende Tarifauseinandersetzungen, die angesichts der Autokrise an Heftigkeit zunehmen werden. Lohnverzicht hat noch nirgends Arbeitsplätze geschaffen – aber das Märchen wird uns immer wieder verkauft.
Weltweit kommt es zu Auseinandersetzungen in der krisengeschüttelten Automobilbranche. Aber unsere Gewerkschaft ist weit davon entfernt, internationale Solidarität, geschweige denn internationalen Widerstand zu organisieren. Sie hat vor allem eines im Blick: Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Diese Logik hat Konsequenzen für die Beschäftigten: Verzicht bis zur völligen Selbsterniedrigung. Die fetten Dividenden der VW-Mehrheitseigner bleiben währenddessen unangetastet – u.a. die der Familien Porsche und Piech, die mehr als die Hälfte der Aktien halten.
Angesichts der weltweiten Überkapazitäten könnten auch andere Schlüsse gezogen werden: z.B. Arbeitszeitverkürzung statt Lohnverzicht und Massenentlassungen. Und es geht auch um die Produkte: Bisher wird das E-Auto als umweltfreundliche Alternative zum Verbrenner präsentiert. Aber es hinterlässt ebenfalls einen erheblichen CO2-Abdruck und für die Batterien braucht es seltene Erden. Um die ist längst ein globales Wettrennen entbrannt, bei dem Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechte mit Füßen getreten werden. Es ist völlig absurd, die Anzahl der Verbrenner eins zu eins durch E-Autos zu ersetzen. Dadurch ist nichts gewonnen.
In Kassel wurden Flugblätter verteilt, die für Widerstand und Streiks argumentierten. Aber das ist anscheinend nicht gewollt: es kommt immer häufiger vor, dass bei solchen Flugblattaktionen der Werksschutz einschreitet oder sogar die Polizei gerufen wird. Der Unterschied zu den Gepflogenheiten in den chinesischen VW-Produktionsstätten wird offensichtlich immer kleiner. Und auch mit der innergewerkschaftliche Demokratie ist es nicht weit her: Bisher hat unsere Gewerkschaft ihre Mitglieder in den Werken nicht über die aktuellen Tarifergebnisse abstimmen lassen. Und wenn die Vertragsparteien bis zum 21.1.25 keinen Widerspruch einlegen, gelten die Ergebnisse als angenommen. Informiert über das genaue Ergebnis werden die IGM-Vertrauensleute erst einen Tag vorher – zu spät, um eine Debatte auf Grundlage des Vertragstextes anzustoßen.
Klar, die Wut ist bei den einen größer als bei den anderen, das bringen die verschiedenen Lebensverhältnisse und die Lohnunterschiede mit sich. Einige wütende Kolleg:innen wollen zurück zum Verbrenner. Aber es gibt auch solche, die etwas anderes produzieren wollen: z.B. Busse und Bahnen für den öffentlichen Nahverkehr. Doch wenn es nach den offiziellen Plänen geht, findet eine Konversion der Produktion eher in eine andere Richtung statt: Das VW-Werk in Osnabrück soll angeblich an den Rüstungskonzern Rheinmetall gehen. Und in der »gläsernen Manufaktur«, einem kleinen VW-Vorzeigewerk in Dresden, in dem 300 Kolleg:innen in der Endmontage arbeiten und das Jahr für Jahr Tourist:innen anlockt, soll Ende des Jahres die Produktion von Fahrzeugen auslaufen.
Eine realistische Zukunft werden wir nur haben, wenn wir selbst entscheiden, was und wie wir produzieren. Das haben wir auch mit unserem Bündnis »Zukunft Volkswagen« Anfang Januar vor den Werkstoren in Dresden deutlich gemacht. Zusammen mit Kollegen des Werks und solchen des Schienenherstellers Alstom sowie einigen Klimaaktivist:innen wollen wir eine öffentliche Debatte in der Stadt anstoßen und Ideen für die Zukunft des Werkes sammeln.
Und nicht nur in Dresden: »Zukunft Volkswagen« fordert zum Mitmachen auf. Wir wollen die niedersächsische Landesregierung und die IG-Metall-Führung dazu bringen, Position zu beziehen. Wir finden: Die VW Beschäftigten können sich einen Multimilliardär wie Wolfgang Porsche nicht mehr leisten. An einer Vergesellschaftung der Mobilitätsindustrie führt kein Weg vorbei, wenn wir unsere Umwelt und gute Arbeitsplätze erhalten wollen.

PS. Kurz vor Drucklegung wurde der Vertrag, mittlerweile veröffentlicht im Intranet des Konzerns, der SoZ-Redaktion zugespielt. Ganz am Ende steht eine Klausel: Der Vertrag kann »bei wesentlichen Änderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen« gekündigt werden. Eine solche Klausel gab es auch im letzten Tarifvertrag, der dann Mitte 2024 zusammen mit der Beschäftigungssicherung vorzeitig gekündigt wurde.

Thorsten Donnermeier arbeitet seit über 40 Jahren bei VW-Baunatal bei Kassel, dem zweitgrößten Werk des Konzerns. Ende letzten Jahres wurde er in die IGM-Vertrauenskörperleitung gewählt. – www.zukunft-Volkswagen.de.

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