Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2025

Mit Vergesellschaftung gegen den drohenden ­Feudalfaschismus
von Tino Pfaff

Wie kann es für die Klimabewegung weitergehen, angesichts des Durchmarschs der Rechten? Der Umweltaktivist und Autor Tino Pfaff reflektiert seine eigene politische Entwicklung und warnt vor einem neuen Faschismus. Im letzten Jahr hat Tino Pfaff das Buch Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage herausgegeben (Oekom-Verlag).

Kollektivität spielt eine zentrale Rolle im Leben jedes Menschen. Ganz besonders in den jungen Jahren. Als Postwende-Jugendlicher im ehemaligen Osten verstand ich mich recht früh als Punk, Linker und bald auch als Antifaschist. Wo wir hinkamen, gab es Krach, Chaos und genervte Nachbarschaften. Das war spannend und sorgte fast täglich für neue aufregende Erlebnisse.
Es gab aber auch eine dunkle Seite. Ob vor dem Schultor, auf dem Nachhauseweg oder an unseren Treffpunkten, nirgendwo waren wir vor Nazischlägern sicher, die gut organisiert und ausgestattet regelmäßig Jagd auf »Zecken« wie uns machten. So lernte ich, welche Vor- und Nachteile Kollektivität mit sich bringt. Auf der einen Seite rettete der Zusammenhalt manches Mal davor, verprügelt zu werden. Andererseits gelang das nicht immer. An manchen Tagen rannte jede/r für sich um das »eigene Leben«.
Wenn die Kollektivität zusammenbrach, war die Enttäuschung groß. Heute scheint mir das nachvollziehbar. Wir wurden in einer Zeit groß, als der Neoliberalismus im ehemaligen Osten triumphierte. Im Schnelldurchlauf wurde uns die ultraindividualistische Ideologie (»Welchen Nutzen kann ich aus meiner Umwelt und meinen Beziehungen ziehen?«) eingehämmert. Mit zunehmendem Alter spielte dann Kollektivität für mich eine immer geringere Rolle. Es gab sie eigentlich nur noch im Kontext von Partys und Protestaktionen oder im Studienleben.

Die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen lässt sich nicht durch Appelle beenden
2018 erlangte die menschengemachten Klimaerhitzung durch Fridays for Future und andere Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung mediale Aufmerksamkeit in einem neuen Ausmaß. Damals suchte ich nach einem Kollektiv, das mir Handlungsmöglichkeiten und Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen sollte. So schloss ich mich 2019 dem deutschen Ableger von Extinction Rebellion (XR) an und wurde innerhalb kurzer Zeit zu einem Sprecher der Organisation.
Interessant war das Bündnis für mich aufgrund der Selbstorganisation und des Potentials, ein breites Spektrum an Mitstreiter:innen anzuziehen – eine anarchistische Idee mit einem mehr oder weniger bürgerlichen Antlitz schien geboren. XR schaffte es, noch im selben Jahr Großproteste in Berlin mit über 6000 Menschen zu verwirklichen. Die Hauptstadt wurde mittels Straßenblockaden »lahmgelegt«; eine neue Dimension des Klimaprotests schien geboren.
Doch sollte dies der Höhepunkt der Bewegung gewesen sein. Danach ging es rapide bergab. Die Corona-Pandemie setze ein. Skandale und interne Streitigkeiten sorgten für Unmut. Viele Menschen verließen XR. Wie jede soziale Bewegung der Gegenwart scheiterte sie.
Die Analyse ist einfach: In dem neoliberalen Gesellschaftssystem kann man sich nicht einfach zusammentun und in einem kleinen Kreis ein neues System erfinden. Nachhaltige Kollektivität ist eine schiere Unmöglichkeit. Sobald es schwierig wird, kalkulieren die meisten Menschen Nutzen und Aufwand entsprechend des neoliberalen Ultraindividualismus, der tief in jeder/jedem verankert ist. Hinzu kommt: Die meisten sozialen Bewegungen appellieren nur an die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, statt das System grundlegend in Frage zu stellen.

Die Rückkehr der sozialen Frage als sozioökologische
So fand mich wieder an jenem Punkt, an dem ich in meiner Jugend schon einmal gewesen war: Ich hatte ein weiteres Mal genug von politischer Kollektivität. Ein Ergebnis davon war der Sammelband »Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage«. Darin geht es unter anderem um eine gemeinschaftsgetragene Gesellschaftsgestaltung und -organisation, die der aufkommenden fossilfaschistischen Bedrohung entgegenwirken kann. Vergesellschaftung wird darin als Möglichkeit für ein solidarisches Miteinander verstanden, um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Souveränität und ökologische Stabilität zu schaffen.
Vergesellschaftung beziehungsweise gesellschaftliche Selbstverwaltung sind wohl die einzige Chance, die wir haben, um den sozialökologischen Kollaps abzumildern. Das Ziel von Vergesellschaftung ist, dass die Gesellschaft – in ihrer ganzen Vielfalt von Individuen und Kollektiven – die asymmetrische Machtkonzentration auflöst, die durch das Privateigentum entsteht (Eigentumsfrage), und sich Verwaltungs-, Entscheidungs- und Gestaltungsmacht aneignet.
Die soziale Frage ist natürlich nicht neu. Eine Weile schien sie durch den Sozialstaat erledigt zu sein. Spätestens seit den 1970er Jahre verbreitert sich die Kluft zwischen arm und reich wieder. Arbeitslosigkeit, (Alters-)Armut, aber auch Wohnungsnot und Ausgrenzung bestimmter Gruppen sind weit verbreitet und nehmen sogar zu. Wenige Reiche und (transnationale) Großkonzerne verfügen über die Ressourcen, Strukturen und Systeme, die für das individuelle und kollektive (Über-)Leben unverzichtbar sind.
Was jedoch bei dieser Auffassung der sozialen Frage auf der Strecke bleibt, ist die ökologische Katastrophe. Ohne intakte Ökosysteme kann keine Gesellschaft funktionieren. Die neue soziale Frage ist untrennbar an die Zerstörung planetarer und lokaler Ökosysteme gekoppelt, deren Funktionen für die Aufrechterhaltung menschlicher Lebensgrundlagen unverzichtbar sind.
Die Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen ging stets mit der Ausbeutung und Zerstörung der zur Ressource abgewerteten Umwelt einher. Insofern war die ökologische Komponente zwar schon immer Teil der sozialen Frage, doch die Zuspitzung der ökologischen Katastrophe und das damit verbundene Artensterben, die Erhitzung der Erdatmosphäre sowie die Verödung, Verseuchung, Vergiftung und unwiederbringliche Zerstörung der Natur waren nie so weit fortgeschritten wie heute.
So muss – nicht resignierend, aber mindestens ernüchternd – der Schluss gezogen werden, dass die (Welt-)Gesellschaft von einem fortlaufenden Zusammenbruch der ökologischen und sozialen Systeme durchzogen ist. Um die sozialökologische Frage adäquat zu bearbeiten, erscheint es also unumgänglich, die Systemfrage zu stellen: System Change oder Kollaps.

Geburt des Feudalfaschismus
In der sozialökologischen Frage steckt ein weiterer Aspekt: Die Bedrohung westlicher Demokratien durch feudalfaschistische Entwicklungen. Um ihre Macht zu schützen oder auszuweiten, paktieren Superreiche zunehmend mit neofaschistischen Akteur:innen. Das prominenteste Beispiel ist wohl Elon Musk. Seine politische Haltung wurde lange als rechtslibertär bezeichnet: für individuelle Freiheit, uneingeschränkten Warenverkehr, Recht auf Privateigentum und die Abschaffung staatlicher Zugriffe und Verwaltung. Diese Beschreibung wird unhaltbar, zumal Musk als der reichste Mann der Welt dazu in der Lage ist, nicht nur medial Diskurse zu lenken, sondern auch Wahlen von souveränen Staaten maßgeblich zu beeinflussen.
Wir haben es mit einer Art neuem Feudalismus zu tun. Ein Superreicher macht gemeinsame Sache mit Faschisten und versucht, sie mit allen Mitteln in Regierungen zu installieren. Ob es ihm in Deutschland und Großbritannien gelingen wird, wird sich zeigen. Faschismus scheint für Musk nicht nur ein Mittel zu sein, um seine Interessen durchzusetzen. Er verbreitet selbst Verschwörungserzählungen, z.B. die Erzählung vom »großen Austausch« oder von ausgewählten Eliten, die angeblich das Machtzentrum der Welt sein sollen, sowie antisemitisches und rassistisches Gedankengut. Er greift in Kriege ein, etwa nach dem Überfall Putins auf die Ukraine. Er verwandelt eine weltweite Social-Media-Plattform in eine Propagandaplattform (X/Twitter) und destabilisiert Gesellschaften und die Weltgesellschaft als Ganzes.
Solche Entwicklungen sind eigentlich nichts Neues. Aus der deutschen Geschichte lässt sich lernen, dass die Kapitalist:innenklasse bereit ist, gemeinsame Sache mit Despoten, Diktatoren und Faschisten zu machen, wenn es profitabel erscheint. Der Faschismus kann als Krisenzustand des Kapitalismus verstanden werden, als Mittel, um kapitalistische Zwänge zu erhalten.
Die aufkommende faschistische Bedrohung hat eine weitere Komponente. Die Krisenphänomene durch den menschengemachten sozialökologischen Kollaps sorgen für Unsicherheit und Orientierungslosigkeit. Teile der Gesellschaft fühlen sich zunehmend zu Personen und Parteien hingezogen, die ihnen einfache Lösungen präsentieren. Viele sehnen sich nach einer stark erscheinenden Führerperson, die komplexe Probleme zu bewältigen behauptet.

Dem Feudalfaschismus mittels Vergesellschaftung entgegentreten
Tatsächlich steht eine mehr oder weniger freiheitliche und demokratische Gesellschaft einem drohenden Neofaschismus gegenüber. Aber echte Demokratie besteht aus mehr als gewählten Volksvertreter:innen, deren Handlungsfähigkeit und -wille in zu vielen essenziellen Belangen vom Profitlobbyismus bestimmt wird. Wer den Kapitalismus inkonsequent herausfordert, bekommt Faschismus als Antwort.
Nur die Selbstermächtigung der Gesellschaft als Souverän durch Vergesellschaftung wird imstande sein, die unwiederbringliche Zerstörung von Lebensgrundlagen, Freiheit und Gerechtigkeit wirksam und rechtzeitig aufzuhalten. Vergesellschaftung ist insofern nicht weniger als ein Mittel, um die Zerstörung der Freiheit durch die faschistische Bedrohung und den sozialökologischen Kollaps abzuwenden.
Gleichzeitig muss Vergesellschaftung kritisch mit dem Wesen des Kollektivs umgehen, das es voraussetzt und dessen Selbstwirksamkeit ermöglicht werden soll. Enteignung und Vergesellschaftung an sich garantieren keine gerechte und demokratische Gesellschaft. Entscheidend ist die Frage, wie die Gesellschaft und ihre politischen Institutionen durch einen Vergesellschaftungsprozess zu einer gerechten Verteilung von Macht kommen kann. Ihr muss sich jedes Vergesellschaftungsprojekt stellen.
Eines jedenfalls ist klar: Wenn wir kein neues gemeinschaftsgetragenes und solidarisches »Wir« schaffen, keine tragfähige Kollektivität, dann wird es der Feudalfaschismus tun. Diese Kollektivität wird dann allerdings ausschließend, völkisch und überaus gewaltvoll sein.

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