Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Europa 1. März 2025

Kickls Machtträume sind geplatzt
von Wilfried Hanser

Mit seinen provokanten und unannehmbaren Forderungen, die er der ÖVP zudem über die Medien ausgerichtet hatte, hat der Bundesparteiobmann der rechtsextremen FPÖ seine Chancen vermasselt.
Spät, aber doch hat die ÖVP realisiert, worauf und mit wem sie sich da eingelassen hat: Für seine Hilfe bei der Umsetzung des extrem neoliberalen Zerstörungsprogramms vom Wirtschaftsflügel der ÖVP wollte er das Bundeskanzleramt und einige Schlüsselministerien mit Einfluss im Staats- und Beamtenapparat.

Die ÖVP hat auch krass unterschätzt, wie hemmungslos Kickl seine Macht dauerhaft festigen wollte, indem er den öffentlichen Rundfunk ORF dauerhaft schwächte und an die politische Leine legen wollte – durch Abschaffung der Beiträge, stattdessen Finanzierung aus dem Haushalt, während die gekürzten Mittel auf FPÖ-TV und andere blaue Kanäle umgeleitet werden. Auch andere demokratische Kontrollmöglichkeiten wollte er stark einschränken, bspw. die Arbeiterkammer oder die Studierendenvertretung.
Werden sich die Kickl-Fans vom erhofften Macher jetzt enttäuscht abwenden? Dieser Prozess hat – wie aus inzwischen sechs Meinungsumfragen zu ersehen ist – in den letzten Wochen in kleinen Schritten begonnen, weil immer mehr unpopuläre Details der FPÖ-Zumutungen in den Regierungsverhandlungen durchgesickert sind (Einfrieren der Pensionen, Heraufsetzung des gesetzlichen Rentenalters, Verlängerung des Grundwehrdienstes auf 10 und des Zivildienstes auf 13 Monate, Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für Rentner:innen usw.).
Trotzdem liegen die Umfragewerte für die FPÖ noch immer um mindestens 4,1 Prozentpunkte über dem Rekordwert der Septemberwahl (derzeit um die 33 Prozent).
In der ÖVP herrscht jetzt Katzenjammer. Ihr Wirtschaftsbund will sich von der Industriellenvereinigung, die am meisten Druck für eine Koalition mit der FPÖ gemacht hatte, abgrenzen.
Die SPÖ konnte laut Umfrage vom 15.2. ihr weiteres Abrutschen umkehren und landet aktuell mit 22 Prozent auf dem zweiten Platz, vor der ÖVP. Die Grünen können um 1,8 auf 10 Prozent zulegen und die bei 9 Prozent stagnierenden Neos überholen. Die KPÖ gewinnt konstant und steht jetzt bei 3 Prozent.

Neuauflage einer großen Koalition?
Schon beim Gedanken daran sträubt sich einem alles. Im Haushalt gibt es ein Loch von 6,2 Milliarden Euro, die Bankenabgabe, die die ÖVP akzeptieren würde, bringt vielleicht eine halbe Milliarde. Den Rest hätten wohl die Werktätigen aufzubringen.
Bundespräsident Van der Bellen hat eine Minderheitsregierung mit parlamentarischer Duldung der SPÖ und der Grünen, vielleicht auch der Neos ins Spiel gebracht. Die hätte den Vorteil, dass die SPÖ nicht automatisch die Verantwortung für die Sanierung des Haushaltsdefizits übernehmen muss, das die ÖVP-Finanzminister hinterlassen haben. Das könnte zum Erstarken der Sozialdemokratie, der Grünen und der Kräfte links davon beitragen.
Parallel dazu müsste natürlich Widerstand gegen jeden Sozialabbau und auch gegen jeden Abbau demokratischer Kontrolle oder gegen Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz organisiert werden. Daran führt keine noch so kluge Taktik vorbei. Organisieren wir aktiven Widerstand, dann kommen wir auch wieder in die Offensive!
Leider sind die politischen Bedingungen dafür schlecht. Der mediale Druck auf die Sozialdemokratie, die von ÖVP und FPÖ ausgehandelten Sozialkürzungen im wesentlichen mitzutragen, ist enorm. Mit einer Sozialdemokratie in der Regierung wird es aber schwierig, die Gewerkschaft für eine Beteiligung am notwendigen Widerstand zu bewegen.

Die Linke lahmt
Und die KPÖ, und LINKS? Oh weh – auf deren Webseiten findet sich zwar die Wienwahl, in Graz Artikel zur dortigen Kommunalpolitik. Aber breite Kritik am drohenden Volkskanzler Kickl, am immer noch drohenden Sozialabbau, am Rechtsruck (auch der ÖVP) und an den düsteren gesellschaftlichen Perspektiven vermisst man schmerzlich. Andere Linke geben sich mit grundsätzlicher Kritik am Kapitalismus zufrieden.
Bleiben die österreichweit, aber bisher nur lokal operierenden Demokratie-Initiativen und die wieder begonnenen Donnerstagsdemos. Erstere haben angefangen, sich landesweit zu koordinieren. Doch selbst bei der bisher größten Demonstration gegen Kickl in Wien ging die Teilnehmerzahl nicht über 80.000 hinaus. In den Bundesländern protestierten nur Hunderte.
Spannend ist der beginnende Widerstand bei Journalist:innen: Der Redakteursrat des ORF hat eine bemerkenswerte Resolution herausgegeben, in der er vor der Zerstörung des öffentlichen Senders warnt. Über tausend Wissenschaftler:innen haben eine Resolution in Umlauf gebracht, in der sie vor einem Angriff auf die Wissenschaft warnen. Das ist wichtig, aber noch völlig ungenügend.
Viele meinen auch, mit dem Abbruch der Regierungsverhandlungen sei die Gefahr im wesentlichen schon wieder gebannt. Dazu kommt die politische Schwäche der Proteste, die sich hauptsächlich auf demokratiepolitische Forderungen und auf Kritik am Rechtsextremismus beschränken und die sozialen Fragen sträflich vernachlässigt. Diese Schwächen zu überwinden wird die Aufgabe der Linken sein.

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