Merz, der grüne Stahl und die Rettung von Thyssen-Krupp
von Klaus Meier
Wer nicht auf die Umstellung der Stahlproduktion auf umweltfreundliche Techniken setzt, der nimmt weitere Pleiten in der Industrie in Kauf.
Anfang Januar erklärte der Bundesvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, auf einer Konferenz des CDU-Arbeitnehmerflügels: »Ich glaube persönlich nicht daran, dass der schnelle Wechsel hin zum wasserstoffbetriebenen Stahlwerk erfolgreich sein wird. Wo soll der Wasserstoff denn herkommen?«
Man solle sich nicht »ideologisch« auf den grünen Wasserstoff festlegen. Der wäre schlicht zu teuer. Sein Ratschlag: Man solle sich auf die CO2-Speichertechnologie CCS konzentrieren. Für diese kurz dahingeworfenen Sätze hagelte es viel Kritik, nicht nur aus der Klimabewegung, sondern auch aus der IG Metall.
Um die Kontroverse zu verstehen, muss man einen Blick auf die Stahlindustrie werfen. Sie steht mit jährlichen Emissionen von 55 Millionen Tonnen CO2 für 7 Prozent aller deutschen Treibhausgasemissionen. Durch einen ökologischen Umbau der Stahlindustrie könnten die Industrieemissionen um ein Drittel verringert werden.
Bisher wird Eisenerz in Hochöfen zusammen mit Kohle und Koks zu Roheisen verarbeitet. Dabei entsteht prozessbedingt aus dem Kohlenstoff das klimaschädliche Kohlendioxid. Eine klimafreundliche technische Alternative wäre, die Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen. Statt CO2 würde dann bei der Stahlproduktion nur noch unschädlicher Wasserdampf freigesetzt. Man erhält dann als Rohstahl den sog. Eisenschwamm, der in einem Elektroofen zu hochwertigem Stahl weiterverarbeitet werden kann. Dies wird als Direct Reduced Iron Process (DRI – Direktreduktion) bezeichnet.
Technologisch betrachtet könnte man Stahl also problemlos klimaneutral herstellen. Man müsste allerdings in neue Hochöfen investieren, die mit grünem Wasserstoff arbeiten können – die alten Anlagen sind in die Jahre gekommen und müssten sowieso ersetzt werden.
Breitseite gegen grünen Stahl
In dieser Situation schoss Merz eine Breitseite gegen die grüne Stahlproduktion. Normalerweise könnte man seine technisch wenig kompetenten Äußerungen einfach ignorieren. Aufgrund seiner Position haben sie dennoch beträchtliches Gewicht. Was auffällt: Merz ignoriert komplett, dass Thyssen-Krupp, die Salzgitter AG und die Saarstahl AG bereits damit begonnen haben, Anlagen für eine klimaneutrale Stahlproduktion aufzubauen. Dafür sind bereits 7 Milliarden Euro an staatlichen Subventionen geflossen, darunter 700 Millionen Euro, die CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst bereitgestellt hat.
Auch sein Argument, es stehe kein Wasserstoff für die Anlagen zur Verfügung, zieht nicht. Ja, bisher ist wenig grüner Wasserstoff verfügbar, aber das kann den ökologischen Umbau der Stahlindustrie nicht wirklich ausbremsen. Denn die DRI-Produktion kann zunächst einmal auch mit Erdgas betrieben werden. Allein dadurch würde man bereits 50 Prozent weniger CO2 emittieren. Man kann also mit dem Umbau der Stahlwerke sofort beginnen und parallel dazu eine grüne Wasserstoff-Infrastruktur aufbauen, mit der dann eine nahezu vollständige Klimaneutralität bei der Stahlproduktion erreicht werden kann.
Das CCS-Märchen
Merz schlägt alternativ vor, CO2 aufzufangen und unterirdisch zu speichern. Das wird als CCS (Carbon Capture and Storage) bezeichnet und soll ermöglichen, fossile Technologien einfach weiterzubetreiben. Das anfallende CO2 würde dann, wie Müll, einfach unter der Erde entsorgt.
Der CDU-Chef glaubt hier offensichtlich jüngsten Jubelmeldungen aus Rotterdam, wo eine Gruppe von Investoren mit dem Projekt Parthos das schnelle große Geld machen will und interessierten Unternehmen das Blaue vom Himmel verspricht. Das Projekt sieht vor, CO2 in geleerte Gasfelder unter die Nordsee zu pumpen. Doch ein Blick auf die Zahlen entzaubert das Projekt sehr schnell.
Laut Parthos könnten im Nordseeuntergrund pro Jahr 2,5 Millionen CO2 gespeichert werden. In Deutschland entstanden aber im letzten Jahr allein durch die Oxygenstahlherstellung rund 40 Millionen Tonnen CO2. Das ist das 16fache der Gasmenge, die in den unterirdischen Speicher passt. Dazu kommen noch die Kosten für CCS. Rechnet man die Verflüssigung, die Pipelinekilometer, die Verpressung und die Investitionen zum Abtrennen von CO2 aus den Abgasen der Stahlhütten hinzu, sprengen die Kosten jedes vernünftige Maß. Studien zeigen, dass dies keineswegs günstiger als der Einsatz des DRI-Verfahrens ist.
In Deutschland gibt es auch überhaupt keine technologischen Erfahrungen mit der Abspaltung von CO2 aus Hochöfen. Merz behauptet, andere Länder würden das schon machen. Doch weltweit gibt es nirgendwo eine großtechnische Anlage zur Stahlerzeugung in einem Hochofen, die CO2 im industriellen Maßstab abscheiden kann. Auch hier liegt Merz völlig falsch.
Warum wendet sich Friedrich Merz so vehement gegen eine grüne Stahlproduktion, möchte man fragen. Seine Äußerungen sind sicher kein Ausdruck von reiner Unwissenheit. Sie werden dadurch getrieben, dass der CDU-Chef die Profitinteressen des Kapitals für wichtiger hält als die katastrophalen Klimaszenarien. Anders ausgedrückt: Er will keinen grünen Umbau der Stahlindustrie, weil ihm das zu teuer erscheint. Alles soll weiterlaufen wie bisher. Und dafür ersinnt der Kanzlerkandidat allerlei irrsinnige Ausflüchte, wie zum Beispiel die keinesfalls günstigere CO2-Abspeicherung. Diese Position ist leider nicht viel besser als das, was die direkten Leugner der Klimakatastrophe verbreiten.
Thyssen-Krupp: Aufgelöst und zerfleddert
Es gibt noch ein weiteres Problem mit der Position von Friedrich Merz. Der Vizechef der IG Metall, Jürgen Kerner, wies darauf hin, als er erklärte: »Wer nicht an grünen Stahl glaubt, befördert das Ende der Stahlindustrie in Deutschland.« Zehntausende von Jobs würden damit in der Stahlbranche gefährdet.
Dazu muss man wissen, dass im Stahlsektor heute noch rund 80.000 Beschäftigte arbeiten, 25.000 davon in Nordrhein-Westfalen. Der größte deutsche Stahlproduzent ist Thyssen-Krupp Steel. Das Unternehmen beschäftigt heute noch 2700 Beschäftigte in Duisburg. Das einstmals gesunde Unternehmen ist durch eine Folge ruinöser Entscheidungen in eine wirtschaftlich instabile Lage geraten. Anfang der 2000er Jahre ließen die Stahlbosse aus Größenwahn völlig überdimensionierte Stahlwerke im US-Bundesstaat Alabama und in Brasilien bauen, die sich dann als komplett unrentabel erwiesen. In der Folge kam es zu Milliardenverlusten. Die Werke mussten schließlich zu Niedrigstpreisen verkauft werden, wovon sie sich bis heute nicht erholt haben.
Thyssen-Krupp will nun eine Zerschlagung und Abspaltung des defizitären Stahlgeschäfts erreichen. Statt wie bisher 11,5 Millionen Tonnen Stahl sollen künftig nur noch 8,7 bis 9 Millionen Tonnen Stahl produziert werden. Und um die Personalkosten in den nächsten Jahren um durchschnittlich 10 Prozent zu senken, sollen bis zum Jahr 2030 rund 5000 Arbeitsplätze in der Produktion und der Verwaltung plattgemacht werden. 6000 Arbeitsplätze will Thyssen-Krupp ausgliedern, verkaufen oder an »externe Dienstleister« weiterreichen. Dazu gehören u.a. die Marinewerften, die Eisenbahnlogistik und die Sparte Electrical Steel, die gerade an ein indisches Unternehmen verkauft wurde.
Auch der Standort von Thyssen-Krupp in Kreuztal-Eichen mit 600 Beschäftigten soll geschlossen werden. Das Werk, in dem Stahl veredelt wird, schreibt bisher schwarze Zahlen. Schließlich sind auch die Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) in Duisburg bedroht. Hier arbeiten bisher 3000 Beschäftigte. Thyssen-Krupp, das bisher 50 Prozent an HKM hält, plant eine Abtrennung. Sollte ein Verkauf nicht gelingen, könnte es auch zu »Gesprächen über einvernehmliche Schließungsszenarien« kommen, heißt es von Thyssen-Krupp.
De facto erleben die Stahlbeschäftigten ein Zerfleddern und Ausschlachten ihrer Arbeitsplätze. Die Pläne zeigen die Handschrift des Thyssen-Krupp-Chefs Miguel Lopez. Ihm wird nachgesagt, dass er die Stahlsparte billig an den tschechischen Oligarchen Daniel Kretinsky verhökern will. Der Milliardär hatte bereits für lächerliche 140 Millionen Euro 20 Prozent der Anteile von Thyssen-Krupp-Steel erworben.
Der Oligarch hat sich allerdings die Option ausbedungen, dass er seinen 20-Prozent-Anteil zum gleichen Preis zurückgeben kann, falls er die Lust am Geschäft verliert. Zusätzlich könnte er allerdings auch weitere 30 Prozent der Reste des Stahlkonzerns hinzukaufen. Kretinsky verspricht sich hier wahrscheinlich einen Großabnehmer für seine Braunkohle. Damit der Deal zum Abschluss kommt, setzt Stahlchef Miguel Lopez vorausschauend große Teile der Beschäftigten auf die Straße.
Stahlproduktion in Deutschland erhalten
Es gibt gute Gründe, dass in Deutschland weiter eine Stahlindustrie existiert. Allerdings dürften die Jobs bei Thyssen-Krupp nur noch dann eine Zukunft haben, wenn der Konzern den kapitalistischen Eigentümern aus der Hand genommen wird. Sie haben über die Jahre das Unternehmen systematisch ruiniert. Auch heute betreiben sie eine abstruse Politik. Sie kassieren vom Staat Milliardensubventionen für einen grünen Umbau, zerfleddern gleichzeitig den Konzern und zahlen obendrein noch 93 Millionen Euro Dividende an die Aktionäre aus.
Neben einer Vergesellschaftung von Thyssen-Krupp wäre heute eine rasche Produktionsumstellung auf grünen Stahl überlebensnotwendig. Allein das würde es rechtfertigen, mit öffentlichen Aufträgen, Quoten und günstigen Steuermodellen den Absatz für klimafreundlichen Stahl sicherzustellen. Die Hebelwirkung öffentlicher Aufträge wäre dabei erheblich, denn in Deutschland stehen sie für ein Siebtel der Wirtschaftsleistung.
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