Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
Bildung 1. April 2025

Über die Auswirkungen der Kürzungspolitik bei den Integrationskursen
Gespräch mit Elizaveta Khan

Beratungsangebote und Integrationskurse für Migrant:innen und Flüchtlinge werden immer wichtiger. Aber Bund und Länder bringen eine Kürzungswelle auf den Weg, die am Ende bei den Kommunen ankommt. Soziale Träger haben bereits Arbeitsverhältnisse beendet.

Elizaveta Khan (Jg. 1982) ist in Moskau geboren und lebt seit 1991 in Köln. Sie ist aktivistische Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin, Lehrkraft für Deutsch als Zweitsprache. Seit 2010 leitet sie das Integrationshaus e.V. in Köln-Kalk. Sie ist gewähltes Mitglied im Integrationsrat der Stadt Köln und im Vorstand der Bürgerstiftung KalkGestalten. Sie versteht sich als migrierte Person of Colour.
Mit Elizaveta Khan sprach Ayse Tekin.

Kürzungen bei Beratungsstellen, Sprachkursen, Projekten für die Migranten und Flüchtlinge sind angekündigt. Was bedeutet das für euch?

Ich spreche für das InHaus (Integrationshaus in Köln Kalk) und das interkulturelle Zentrum der Stadt Köln. Ich fange mal mit dem Baustein an, den alle Zentren erfüllen müssen: Sprachförderangebote für Deutsch. Das ist ein Grundstein zur Integration.
Wir haben in diesen Kursen Teilnehmer:innen mit unterschiedlichem Hintergrund – von Menschen mit Alphabetisierungsbedarf in der lateinischen Schrift bis zu Uni-Absolventen. Diejenigen, die in einem anderen Alphabet Lesen und Schreiben gelernt haben, müssen zunächst die lateinische Schrift lernen, dann die deutsche Sprache. Manche kommen alleine, andere mit Kindern. Die Kinderbetreuung ist gerade für Frauen wichtig. Nun kommen diese unterschiedlichen Menschen in einem Kurs zusammen. Da kann man sich vorstellen, dass Frauen mit Kindern größte Probleme haben, den Kurs zu absolvieren.
Bisher waren Wiederholungen möglich, und wir konnten spezifische Kurse für Frauen, Eltern, Jugendliche anbieten. Das Schlimmste ist jetzt, dass Wiederholerkurse gekürzt und Jugendintegrationskurse sogar abgeschafft wurden. Auch Frauenintegrationskurse und Elternintegrationskurse wurden abgeschafft. Das einzige Angebot, das es noch gibt, sind Allgemeinintegrationskurse. Das bedeutet: 600 Stunden Deutsch von Stufe 0 bis B1.
Ansonsten gibt es nur noch Kurse für Personen, die Alphabetisierungsbedarf haben, mit insgesamt 1200 Stunden. So soll das B1-Level erreicht werden. Wissenschaft wie Praxis belegen aber, dass das zu wenig Zeit ist, wenn man komplett neu alphabetisiert wird. Das B1-Niveau ist so nicht zu erreichen. Dennoch sind wir froh, dass wir zumindest diese Kurse noch anbieten können.

Was bedeuten die Mittelkürzungen für eure Praxis?

Zum einen, dass Kursträger ihr Angebot einschränken müssen, zum Teil auch schließen müssen. Wir als soziale Einrichtungen, die diese Kurse noch als einen Baustein anbieten, müssen sagen: »Okay, du bist Mutter, alleinerziehend mit fünf Kindern, aber du musst das trotzdem jetzt in 600 Stunden schaffen, und du hast keine Möglichkeit zu wiederholen.« Die Leute stehen unter enormem Druck, auch durch den gesellschaftlichen Diskurs. Denn es heißt für sie – in meinen Worten: Du musst was leisten, sonst bist du es nicht wert, hier zu leben.
Das schafft einen unglaublichen Druck, weil Integrationskurse und Aufenthaltstitel gekoppelt sind. Du musst ein bestimmtes Niveau haben, sonst kriegst du die Verlängerung nicht. Gerade die Kurse für Frauen, die alleinerziehend sind, nicht viel Bildung erfahren haben und weniger Möglichkeiten zum Lernen haben, sollen wegfallen.
Aber die gesamte Situation ist für diese Menschen schwierig. Auch die Wohnsituation von Menschen, die noch nicht lange in Deutschland leben. Sie können sich nicht jeden Tag eine Stunde Zeit nehmen und Selbststudium machen, das funktioniert nicht.
Wie alle Bildungsfragen müssen wir das langfristig betrachten: Was wir als Gesellschaft jetzt investieren, bekommen wir vermehrt zurück. Was für einen Job sollen die Leute nach einem »Crashkurs Deutsch« machen, ohne Aussicht auf einen Abschluss, der möglicherweise einen Schritt zu einer Ausbildung oder zu einer Qualifizierung eröffnet? Und wie viele Helferjobs haben wir denn eigentlich auf dem Arbeitsmarkt? Damit wird ein Niedriglohnsektor geschaffen, von dem wir für die Zukunft nicht viel erwarten können.

Was ist mit Berufsbegleitungskursen?

Die berufsbegleitenden Sprachkurse gab es immer schon. Die gibt es, seit sie von der EU mit bezuschusst werden. Bei den Berufssprachkursen ist die Voraussetzung der Abschluss eines Integrationskurses. Das Ziel von Berufssprachkursen war, mindestens B1 plus, im besten Falle B2 zu erreichen. Das ist das Niveau, das du für eine qualifizierte Ausbildung brauchst.

Gehen diese Kurse weiter? Werden sie im Betrieb oder bei den Trägern geführt?

Beides, aber zur Zeit gehen sie auch nicht weiter. Wir hören von Teilnehmer:innen, dass die Jobcenter keine Berechtigungsscheine für B2 ausstellen. Der Grund sei der fehlende Abschluss des Bundeshaushalts. Diese Kurse werden zum Teil von der EU finanziert, zum Teil vom Bund bezahlt. Für diese Kurse ist die Voraussetzung, dass du ein gutes B1 hast, sonst schaffst du das Niveau nicht.

Kurse für Eltern, Frauen und Jugendliche sollen gekürzt oder abgeschafft werden. Erwartet man von diesen Gruppe gar nichts?

Das Ministerium will in diesem Bereich 1,5 Milliarden einsparen. Gemessen am gesamten Bundeshaushalt eine winzige Summe. Es ist erstaunlich, wie wenig diese Kurse kosten, aber wie viel sie für eine Migrationslaufbahn in Deutschland bedeuten. Die Integration ist wirklich der erste Schritt, damit Menschen in die Gesellschaft hineinkommen, wo sie Kontakte schließen und Deutschland kennenlernen. Denn wir bieten natürlich mehr als nur Grammatik, wir bieten auch eine Einführung in die Gesellschaft: Wie geht das in Deutschland, was kannst du werden?
Wir können keine Kurse mehr anbieten, die speziell auf die Bedürfnisse von Frauen und Jugendlichen zugeschnitten sind. Wir wissen aus der Forschung, dass Mütter und Frauen Integrationsmotoren sind. Gerade in den Familien, denn sie kümmern sich um die Bildungslaufbahnen der Kinder. Wenn du sie erreichst und einbinden kannst, erreichst du gleichzeitig indirekt bis zu sechs weitere Personen. Aber wenn Frauen in »falschen Kursen« sitzen, hat das negative Folgen.
In den allgemeinen Kursen sitzen oft Leute, die im Ausland studiert haben, eine Ausbildung haben oder noch eine weitere Sprachen beherrschen. Wenn Personen mit verschiedenen Bildungsgraden zusammen unterrichtet werden, gehen die Schwächeren oft unter. Viele Frauen werden zusätzlich durch Kindergarten, Schule oder sonstigen Schwierigkeiten beansprucht, deshalb fallen auch Stunden aus. Wenn wir darauf keine Rücksicht nehmen, schießen wir uns selber ins Bein.

Was ist mit Beratungsstellen?

Sie sind auch von Kürzungen betroffen. Das Land Nordrhein-Westfalen wollte eigentlich vor allem bei der Beratung von unbegleiteten Geflüchteten kürzen, aber das wurde wohl abgewendet. Es soll weiter eine Sozialberatung geben und auch psychosoziale Beratungsangebote erhalten bleiben.
Gekürzt wurde aber überall bei der Asylverfahrensberatung, bei den Netzwerken sozialer Arbeit, auch bei der Gewaltschutzkoordination. Eine genaue Auflistung fehlt uns noch. Dieses Jahr kommt ein neuer Etatposten, die Radikalisierungsprävention. Was dieser Begriff umfassen soll, wissen wir noch nicht. Viele Träger wollen keine Radikalisierungsprävention anbieten, sondern lieber Demokratieförderung, Bildungsförderung oder Beratungsarbeit. Aber sie werden nur Geld bekommen, wenn sie etwas gegen Radikalisierung anbieten.

Was ist deine Empfehlung oder deine Erwartung für die Zukunft?

Die zentrale Frage ist: Wann hört Politik auf Wissenschaft und nicht auf Lobby? Denn jede Kürzung bei der Bildung ist eine Kürzung für die Gesamtgesellschaft. Ich denke, wir müssen alles dafür tun, um unsere Gesellschaft inklusiver zu machen, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Und natürlich für Menschen, die hoffentlich weiterhin aus dem Ausland zu uns kommen wollen. Sie bereichern unser Land, im finanziellen, aber auch im sozialen Sinn.
Meine Erwartung an die Politik ist: Wir brauchen mehr Förderung und mehr Investitionen, damit wirklich etwas wachsen kann. Letztendlich ist Bildung das beste Mittel gegen Populismus, gegen Extremismus, egal aus welcher politischen Richtung. Bildung zahlt sich aus, das zeigen die Statistiken und die Wissenschaft. Da frage ich mich: Lernt die Politik etwas?

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Folgende HTML-Tags sind erlaubt:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>



Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.


Kommentare als RSS Feed abonnieren