Gedreht wurde in einer Geflüchteten-Unterkunft
von Marina Hoffmann
Mein Name Akim
Regie: Aleksandr Kim
Abschlussfilm der Internationalen Filmschule Köln
2025, 38 min.
Letzten Sommer fand der Dreh eines Abschlussfilms der Internationalen Filmschule Kölns (IFS) in einer Geflüchteten-Unterkunft statt. Lange Hallen voller dünner Wände ohne Decken. Hochbetten aus Metallstangen, Metallspinde. Um die Hallen Beton und Zäune, ein bisschen Grün. Auf der einen Seite eine Feuerwache, auf der anderen Seite drei Schulen. Wohl immer noch besser als eine Turnhalle. Ich konnte als Setrunnerin unterstützen und so den Regisseur Aleksandr kennenlernen.
In »Mein Name Akim« verarbeitete er seine Erfahrungen. Akim schwitzt, es ist heiß. Akim versucht, seine Hoffnung zu bewahren und Freund:innen zu unterstützen, doch er trifft überall auf Wände. Er darf keinen Ventilator mitbringen, kein Essen, stattdessen gibt es im Lager immer das Gleiche. Als er einen Sprachkurs Russisch–Deutsch sucht, ist die Tür jedesmal entweder verschlossen, oder der Raum wird anderweitig benutzt.
Integration passiert hier autodidaktisch. Ein Plakat der »Diakarteser«, die Hilfsorganisation im Film, wird kurzerhand zu Deutsch-Lernkarten. Die Arbeit in der Wäscherei wird zur freien Zeit alleine und der Duden wird zur Bibel.
Ich treffe Aleksandr an einem warmen und windigen Tag an der IFS. In einer Woche ist Premiere. Da die Sonne scheint, setzen wir uns nach draußen. Nach einer herzlichen Begrüßung frage ich ihn, wie viel er von dem Film tatsächlich selbst erlebt hat.
»Ungefähr 95 Prozent«, antwortet er, »einige Sachen habe ich komprimiert. Die Heimleiterin war in Wirklichkeit viel schlimmer, aber ich wollte sie nicht einseitig darstellen. Außerdem hatte ich damals meine Frau dabei, sie war hochschwanger. Im Kurzfilmformat war dafür kein Platz, aber ich plane einen Langfilm.«
Über die Nachricht eines Langfilms freue ich mich sehr. Aleksandr ist seit 2019 in Deutschland, spricht deutsch und konnte sich Perspektiven erarbeiten. »Ich habe Deutsch nicht genau wie Akim gelernt. Die Deutschklasse war wie im Film immer geschlossen, es gab keine Lehrer:innen. Mir wurde gesagt: Finden Sie eine Lehrerin. Es gab nur einen Kurs auf Arabisch, wir Russischsprachigen waren eine Minderheit, heute ist das natürlich anders«, schiebt er ein. »Schwierig war, dass es kein Wlan gab. Beziehungsweise es gab Wlan bei der Security, aber da durfte ich nicht bleiben. Ich bin durch die Stadt gelaufen und habe ein offenes Wlan gesucht und habe ein Hotel gefunden. Da hab ich bei jedem Wetter gesessen und Deutsch gelernt – A1 und A2.«
Ich bin geschockt. Die Integrationsbemühungen in Deutschland sind so gering, dass Geflüchtete Deutsch auf eigene Faust lernen müssen, um im Land bleiben zu können: »Einen Deutschkurs gibt es erst, wenn du angenommen bist und dann auch nur, wenn du arbeiten willst. Ich wollte studieren – tja«, er zuckt mit den Schultern.
Dabei gibt es auch für Aleksandr kein Zurück! Er ist nicht vor Krieg geflohen, aber vor Verfolgung. »Bevor ich Film studiert habe, habe ich Jura studiert und ich dachte mir, das ist nicht richtig. Eigentlich bedeutet politisches Asyl nicht nur, vor Krieg geschützt zu werden. Ich habe den ersten LQBTQ+-Verein in Zentralasien mitbegründet. Wir haben uns viele Bücher gekauft und übersetzt, um zu lernen und zu erzählen. In Kirgisistan wurde ich dann als Transperson verfolgt. Ich konnte nicht bleiben. In Moskau, wo ich studiert habe, hätte ich keine Hormone mehr bekommen, mein Kind wäre mir weggenommen worden, das war ein Alptraum.«
Akim spritzt sich im Film Testosteron, bevor seine Zimmergenossen oberkörperfrei wieder den Raum betreten. Ich frage mich, von wem Aleksandr als Transmann hier in Deutschland unterstützt wurde.
»Ich hatte natürlich einen Vorrat dabei, ich bin operiert und kriege Testosteron seit zwanzig Jahren. Ich brauche es zum Überleben. Der Arzt kam einmal pro Woche in das Lager und der sagte immer: ›Trinken Sie mehr Wasser‹, ich brauchte aber die Medikamente. Damals konnte ich Deutsch wie Akim im Film. Als Flüchtling war es eigentlich unmöglich, aber ich habe nicht aufgegeben. Ein Anwalt hat mir geholfen, einen Termin zu machen. Er meinte: Sie müssen beweisen, dass Sie das brauchen. Ich habe einen oder zwei Monate auf einen Termin gewartet und dann bekam ich mein Testosteron.«
Im Film ist dieser Teil nur eine Randnotiz. Es geht um die Erfahrungen eines Flüchtlings, der zufällig auch trans ist. »Die erste Transperson in Kirgisistan«, wie mir Aleksandr lächelnd mitteilt.
Bei seinem Filmstudium in Moskau herrschte eine gefährliche Stimmung gegenüber queeren Personen. Die Veröffentlichung seines Abschlussfilms in Oberhausen nutzte Aleksandr, um das Land zu verlassen. Es sind nicht alle so hoffnungsvoll, kämpferisch oder erfolgreich wie er. »Natürlich: jeder Mensch ist unterschiedlich«, erzählt er mir am Ende, »und ich kenne Menschen, die Angebote auf Deutschkurse nicht annehmen und das nicht ernst nehmen. Aber es gibt viele Menschen, die möchten hier ankommen, die möchten arbeiten oder studieren und das wollte ich auch mit meinem Film zeigen. Letztendlich sind wir alle im gleichen System«, er denkt kurz nach, es entsteht eine Pause. »Ohne die Hilfe von vielen deutschen Menschen hätte ich es nicht geschafft. Es gibt einen Unterschied zwischen dem, was in den Nachrichten zu sehen ist, und dem, wie Menschen direkt auf mich reagiert haben. Die haben mir einfach so geholfen, das möchte ich auch in meinem Langfilm zeigen.«
Am Ende des Interviews bin ich ganz emotional. Ich bin froh, dass ich Aleksandr bei seinem Kurzfilm hier in Deutschland helfen konnte. Ich bin froh, ihn zu kennen und ich bin froh, mich mit ihm austauschen zu können.
Die Premiere eine Woche später ist sehr besonders. Bei einem Filmdreh müssen alle in einem kondensierten Zeitraum gut zusammenarbeiten, danach verlieren viele sich aus den Augen. Ich bin froh, das Team wiederzusehen. Aleksandr kommt mit dem Begrüßen gar nicht hinterher. Am Ende bekommt er einen kleinen Ehrenoscar aus Plastik.
Der Kinosaal des Cinedom in Köln ist voll. Als wir auf die Bühne sollen, bin ich eine von vielen, die etwas geschaffen haben. Eine, die aufrückt, damit alle Platz finden und eine, die nicht zu Wort kommt. Aber auch eine, die dazugehört.
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