Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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"Wie sollten keine Angst vor der Wahrheit haben. Unsere westlichen und nördlichen Gebiete sind Kriegsbeute – ehemalige deutsche Gebiete, die vor 80 Jahren durch die Rote Armee mit Unterstützung zweier Regimenter der polnischen Armee erobert wurden."

Diese Aussage (Kommentator unbekannt) bildet den Ausgangspunkt für eine kritische Betrachtung der polnischen Geschichte, in der sich die Grenzen immer wieder verschoben – mit Ausnahme der vergleichsweise stabilen Westgrenze zu Deutschland (zumindest vor 1945). Polen hatte nie territoriale Ansprüche auf Städte wie Breslau, Stettin oder Landsberg an der Warthe erhoben, nicht einmal nach dem Zweiten Weltkrieg, als gelegentlich von Reparationen gesprochen wurde. Niemand hatte mit so weitreichenden territorialen Zugewinnen gerechnet wie denen, die Stalin in Potsdam für das von der Sowjetunion kontrollierte Polen durchsetzte.

Die Gebiete, die wir heute als ‚wiedergewonnen‘ bezeichnen, waren bei ihrer Übernahme durch und durch deutsch geprägt – nicht polnisch. Und doch ist klar: Diese ehemals deutschen Gebiete bilden heute das Fundament der polnischen Staatlichkeit. Das genügt. Es braucht weder das Narrativ der ‚wiedergewonnenen Gebiete‘ noch den Mythos eines Piasten-Polens.

Verfälschte Geschichte

Przeglad, 28.04.2025

Der Sieg über Hitlerdeutschland wurde maßgeblich von der Sowjetunion errungen. Die Völker der UdSSR bezahlten diesen Triumph mit Verlusten, die um ein Vielfaches höher waren als jene der USA und Großbritanniens.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Front im Westen erst im Juni 1944 eröffnet – zu einem Zeitpunkt, als die Wehrmacht bereits schwere Niederlagen an der Ostfront erlitten hatte: in Stalingrad, bei Kursk, und auf dem Rückzug. Dabei hatte Stalin schon lange zuvor auf die Öffnung einer Westfront gedrängt, um die Rote Armee zu entlasten. Doch die USA handelten stets in eigenem Interesse und erklärten dem Dritten Reich auch nach dem Überfall auf Polen, der Besetzung Frankreichs und der Bombardierung Großbritanniens nicht sofort den Krieg. Vielmehr rechneten sie mit sowjetischer Unterstützung im pazifischen Raum – insbesondere im Krieg gegen Japan. Nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki verzichtete Präsident Truman dann allerdings auf die Hilfe der Roten Armee in Fernost.

Obgleich die Westfront zweifellos ihre Bedeutung hatte, darf man nicht vergessen, dass der Hauptanteil am Sieg über das NS-Regime an der Ostfront lag: Acht von zehn deutschen Gefallenen starben im Kampf gegen die Rote Armee. Dennoch wird dieser Umstand von britischer und amerikanischer Seite gern relativiert.

Dabei war der sowjetische Kriegseinstieg alles andere als günstig: Durch die stalinistischen Säuberungen hatte die Rote Armee viele erfahrene Militärs verloren. Für die Völker der Sowjetunion wurde dieser Krieg zum „Großen Vaterländischen Krieg“. Nach dem Sieg würdigte Stalin öffentlich den Einsatz der verschiedenen Nationen – darunter auch Polen –, zeichnete deren Soldaten aus und erkannte ihre Leistungen ausdrücklich an. Polnische Soldaten kämpften damals in polnischen Uniformen an der Seite der Roten Armee. Im Gegensatz dazu trugen polnische Einheiten, die mit den Briten kämpften, britische Uniformen. Obwohl etwa 100.000 polnische Soldaten an den Kämpfen beteiligt waren, wurden sie nicht zur Siegesparade in London eingeladen. Auf dem Roten Platz in Moskau hingegen marschierten am 24. Juli 1945 auch polnische Soldaten mit.

In Polen wird immer wieder darüber gestritten, wo man den Sieg über Nazi-Deutschland angemessen feiern sollte. Vorgeschlagen wurde etwa die Westerplatte, wo der Krieg begann – oder gar Washington oder London. Diese Vorschläge wertet der Autor als Ausdruck eines westlichen Geschichtsrevisionismus innerhalb der NATO. Er erinnert an die klaren Worte der früheren Präsidenten Komorowski und Kwasniewski: Ob es Polen gefällt oder nicht – die Gedenkfeiern zum Sieg über Nazi-Deutschland gehören nach Moskau.

Gekürzt wird bei den Kranken

OKO.press, 16.04.2025

Polen bildet europaweit das Schlusslicht bei den Gesundheitsausgaben. Laut den neuesten verfügbaren Eurostat-Daten (für 2022) gab das Land lediglich 6,4 % des Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitswesen aus und liegt damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 10,4 %. Pro Kopf wurden in Polen nur 1.137 Euro investiert; schlechter schnitten nur Bulgarien (990 Euro) und Rumänien (858 Euro) ab. Der EU-Durchschnitt lag bei 3.685 Euro pro Person.

Trotz dieser alarmierenden Zahlen beschloss der polnische Sejm am 4. April 2025 ein Gesetz, das den Gesundheitsbeitrag für Unternehmer senken soll. Die Regierungskoalition war in dieser Frage gespalten: Die Bürgerkoalition (PO) und „Dritter Weg" (PSL und Polen 2050) stimmten dafür, während Die Linke geschlossen dagegen votierte. Auch große Teile der Opposition lehnten das Gesetz ab – darunter PiS und Razem. Die ultraliberale Konfederacja enthielt sich; sie wollte den Beitrag nur für Spitzenverdiener mit pauschal versteuerten Einnahmen senken.

Gemäß Vertreter:innen der Linken, die sich mit Präsident Andrzej Duda getroffen haben, erwägt dieser ein Veto gegen das Gesetz. Ministerpräsident Donald Tusk reagierte empört – doch auch von der linken Opposition kam scharfe Kritik. Magdalena Biejat (Razem) fragte:

Und wie lange, Herr Ministerpräsident, glauben Sie, werden die Polen den Ruin des Gesundheitswesens noch ertragen?

Adrian Zandberg (Razem) ergänzte:

Die Regierung Tusk beugt sich vor Mentzen – und den Preis zahlen die Kranken.

Das Finanzministerium geht davon aus, dass rund 2,45 Millionen Unternehmer von der Beitragssenkung profitieren würden. Doch laut Expert:innen, der Linken und Razem bedeutet das Gesetz unter dem Strich Verluste für alle – besonders aber für Geringverdiener und ältere Menschen.

Was Franziskus nicht verändern konnte

Prof. Stanislaw Obirek; Prof. Tadeusz Bartos

Prof. Stanislaw Obirek (Theologe, Professor an der Universität Warschau, ehemaliger Jesuit):

Ich bewerte dieses Pontifikat als bahnbrechend und sogar revolutionär – und das gilt unabhängig davon, wer der nächste Papst sein wird. Franziskus wird als ein Papst in die Geschichte eingehen, der sensibel für soziale Fragen und den Klimawandel war, und als einer, der andere Glaubensrichtungen und Religionen als gleichberechtigte Wege zur Erlösung behandelt hat.

Am 21. April 2025 ist Papst Franzsikus gestorben. Über ihn zu schreiben, bedeutet für mich, eine Institution zu betrachten, die mir fremd geworden ist. Nicht aufgrund des argentinischen Papstes, sondern aufgrund seiner beiden unmittelbaren Vorgänger: Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Ihre Pontifikate erstreckten sich insgesamt über einen langen Zeitraum – von 1978 bis 2013.

Franziskus' Pontifikat habe ich mit wachsender Sympathie verfolgt, woran auch seine unglücklichen Äußerungen zum Einmarsch Putins in die Ukraine am 24. Februar 2022 nichts geändert haben – Aussagen, die im Zusammenhang mit den aktuellen Aktivitäten von US-Präsident Donald Trump und seinem Vizepräsidenten J. D. Vance eine neue Bedeutung erhalten.

Dennoch gab es auch zahlreiche unerfüllte Hoffnungen – die Liste ist lang: die Abschaffung des Pflichtzölibats der Priester, die Stärkung der Rolle der Frauen im Leben der Kriche – einschließlich ihrer Weihe zum Diakonat und zum Priesteramt –, die Einbeziehung von Menschen in nicht-sakramentalen Beziehungen in das sakramentale Leben und eine veränderte Haltung gegenüber LGBTQ+-Personen. Auch die immer wieder angekündigte radikale Reform der römischen Kurie, insbesondere in Hinblick auf finanzielle Transparenz, ist Wunschdenken geblieben.

Prof. Tadeusz Bartos (Philosoph, Professor an der Universität Pultusk, ehemaliger Dominikaner):

Die Kirche ist eine totale Institution, der Papst ein absoluter Monarch. Die Kardinäle und der künftige Papst werden sich im Konklave versammeln, um für eine einzige Sache zu kämpfen: den Schutz des Systems. Das heiligste Gut der Kirche sind nicht die Glaubenswahrheiten, sondern die Struktur des Klerus – eine hierarchische, geschlossene, sakralisierte Kaste von Bischöfen.

War in Polen die Kritik an der Kirche lange Zeit zensiert, so hat sich das durch die Medien grundlegend geändert. Eine Institution, die jahrhundertelang ohne äußere Kontrolle wirken konnte, steht nun im Licht der Öffentlichkeit. Auch die Gläubigen müssen sich dieser Realität stellen.

Es gibt Kräfte im Vatikan, die an ihren Privilegien und ihrer Macht festhalten – und sie haben großen Einfluss. Franziskus hat zwar gelegentlich seine Macht durch spektakuläre „Säuberungen" demonstriert, aber er hat das System nicht von innen heraus bewegt. Er hat keine echte Kontrolle eingeführt – und wer würde ihm das erlauben, solange mächtige Gruppen dafür sorgen, dass sich nichts ändert?

Und hier liegt das eigentliche Problem: Päpste werden auch deshalb gewählt, weil sie sich gut präsentieren – gut aussehen, angenehm riechen und geschickt davon ablenken, was hinter den Kulissen des Systems wirklich geschieht. Daher die bewusst inszenierte Bescheidenheit von Franziskus' Pontifikat: schlichte Schuhe, eine abgenutzte Aktentasche, das Wohnen im Gästehaus statt in den prunkvollen Gemächern des Apostolischen Palastes. Wenn es etwas vorzuzeigen gilt, genügt eine kleine Geste – ein Fingerzeig, ein symbolisches „Wunder“ – und die Gläubigen sind begeistert. Ein bescheidenes Schauspiel im Schatten absoluter Macht.

Für den neuen Papst ist die Aufgabe klar: Er muss eine zentrale Position klären – die Haltung des Vatikans zum Krieg in der Ukraine und zu Russland. Die sogenannte vatikanische Diplomatie zeigt nicht nur eine klare pro-russische Neigung, sondern ist vor allem unfassbar ungeschickt. Die Berufsdiplomaten des Heiligen Stuhls hatten kaum Einfluss auf Franziskus. Sie versuchten, seine Aussagen zu entschärfen, zu übersetzen – doch er lieferte prompt neue Versionen nach. Das Ergebnis ist totales Chaos.

Sobald der neue Papst „verfügbarer“ wird, werden dieselben Diplomaten endlich eine kohärente Botschaft ausarbeiten – sofern die engen Verbindungen zu Moskau das nicht erneut verhindern. In jedem Fall braucht es ein klares Narrativ: Mitgefühl für die Opfer der Bomben zeigen und zugleich die Fassade vatikanischer Neutralität wahren.

Verbrecher in Soutanen

Artur Nowak in Gazeta Wyborcza 18.04.2025 (07.02.2025)

Bis vor Kurzem war die gängige Assoziation beim Gedanken an einen Geistlichen in Handschellen: Pädophilie. Doch das kriminelle Spektrum innerhalb der Kirche ist breiter – und es verschiebt sich. Immer häufiger stehen Priester nicht wegen lasterhafter Sünden, sondern wegen ganz weltlicher Vergehen vor Gericht: Veruntreuung, Betrug, Steuerdelikte.

Januar 2024, Legnickie Pole:
Pfarrer Wlodzimierz G. wird vom Gericht in Legnica zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die Anklage: Veruntreuung von über 1,2 Millionen Zloty, vorgesehen für die Renovierung der historischen Basilika in Legnickie Pole und der Kirche von Gniewomierz.

April 2024, Warschau:
Ein Priester der Pfarrei St. Faustina landet in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft sucht nach mindestens 200.000 Zloty, die aus Spendengeldern und durch undurchsichtige Steuergeschäfte verschwunden sind.

August 2024, Tarnobrzeg:
Der frühere Pfarrer von Domostawa war selbst im Ruhestand nicht untätig. Das Bezirksgericht verurteilt ihn, weil er 434.000 Zloty vom Gemeindekonto abgezweigt hat.

Februar 2025, Masowien:
Die CBA, Polens Antikorruptionsbehörde, verhaftet den Priester und Armeegeneral Slawomir Z. Der Vorwurf: „Annahme eines Vorteils oder des Versprechens eines solchen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Militärfahrzeugen für die Territorialverteidigungskräfte.“ Slawomir Z. gilt als Vertreter der alten kirchenpolitischen Garde, gut vernetzt in konservativen Machtzirkeln. Bereits früher war sein Name mit einem umstrittenen Grundstücksgeschäft verbunden: Er verkaufte dem ehemaligen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki und dessen Frau ein Grundstück im Marktwert von rund 4 Millionen Zloty – für gerade einmal 700.000 Zloty.

Città del Vaticano – und der größere Maßstab:
Doch all das ist vielleicht harmlos im Vergleich zu dem, was sich rund um den Vatikan abspielt. Auch dort habe ich einige Fälle aufgedeckt, die für die „heilige“ Kirche mehr als beschämend sind.

2013 ließ Papst Franziskus fast 400 vatikanische Bankkonten einfrieren – darunter auch solche, die den sogenannten Postulatoren gehörten, also den Promotoren von Selig- und Heiligsprechungsprozessen. „Sie haben sogar die Heiligen bestohlen“, kommentierten damals die Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi und Emiliano Fittipaldi, denen interne Kommissionsdokumente zugespielt worden waren – obwohl sie eigentlich nie das Bronzene Tor hätten passieren dürfen. Denn wie sich zeigte: Heiligkeit konnte gekauft werden – bei jenen Spezialisten, die den Weg zu den Altären bereiteten.

In einer der Geschichten, die mich besonders interessierten, spielt Prälat Boguslaw Turek die Hauptrolle. Er war bereit, für 80.000 Euro den Seligsprechungsprozess für Aldo Moro zu ermöglichen, den 1978 von den Roten Brigaden ermordeten italienischen Ministerpräsidenten. Der zuständige Postulator Nicola Giampaolo gab das erst widerwillig auf Nachfrage eines Journalisten zu. Vorläufig wurde Giampaolo inzwischen als Postulator für die diözesane Phase abgesetzt. 

Wahl: Umfrage vom 6. April 2025

Laut einer Umfrage vom 6. April liegt die Bürgerkoalition (KO) derzeit bei 30 %, dicht gefolgt von der rechtsnationalen PiS mit 28 %. Die rechtsradikal-marktradikale Konfederacja erreicht 17 % – mehr als doppelt so viel wie bei der Parlamentswahl 2023 (7,1 %). „Dritter Weg" (Polen 2050 und PSL) fällt auf nur noch 8 % zurück, nach 14,4 % im vergangenen Jahr. Die Neue Linke kommt auf 7 %, Razem auf 4 % – bei den Parlamentswahlen 2023 kamen sie gemeinsam auf 8,6 %.

Bei der Präsidentschaftswahl verliert Rafal Trzaskowski (KO) deutlich an Rückhalt und kommt auf 28 % (8 Prozentpunkte weniger als in vorherigen Umfragen). Karol Nawrocki (PiS) liegt mit 22 % auf Platz zwei (+1), gefolgt von Slawomir Mentzen (Konfederacja) mit 15 % (-2). Szymon Holownia (Polen 2050) erreicht 7 % (+1), Adrian Zandberg (Razem) 6 % (+3) und Magdalena Biejat (Neue Linke) 4 % (+2).

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