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Israels Herrschaft über Palästina
von Annette Groth

Helga Baumgarten: Kein Frieden für Palästina. Krieg in Gaza, Besatzung und Widerstand. Wien: Promedia, 2021. 192 S., 19,90 Euro

Im Mai 2021 ging die israelische Armee gewaltsam gegen die Bevölkerung in Ostjerusalem, an vielen Orten der Westbank und in Gaza vor. Sie verursachte über 250 Tote und fast 2000 Verletzte. Diese Schreckensgeschichte bildet den Einstieg in die Schilderung der israelischen Herrschaft über Palästina.

Die deutschen Mainstream-Medien haben die Vorgänge weitgehend verschwiegen. Ebenso, dass die israelische Armee sich in ihrer Zerstörungswut auf die Dahiya-Doktrin bezieht: Sie wurde 2006 von General Eisenkot nach dem Libanonkrieg entwickelt und verlangt die Anwendung von unverhältnismäßiger Gewalt sowie die Zerstörung der zivilen Infrastruktur, da diese von potenziellen Gewalttätern genutzt werden könnte. Dahiya ist die Basis und Rechtfertigung für die massive Gewalt in den besetzten Gebieten und in Gaza.
Im Rückblick auf die Naqba – die Vertreibung der Palästinenser:innen 1948 – schildert Baumgarten die Brutalität der israelischen Siedler bei der Vertreibung und der Ausplünderung der palästinensischen Bevölkerung und zitiert einen Gewerkschaftsfunktionär: »Es ist kein Zufall, dass Plünderungen und Vertreibung Hand in Hand gehen. Es gibt unausgesprochene, aber (potenziell) sehr wirksame Absichten, keinen Araber im Staat Israel zu lassen.«
Die ökonomische Ausbeutung basiert auf einem System der Bevölkerungskontrolle, das seit 1987 alle Informationen über jede/n Palästinenser:in in einer digitalen Datenbank speichert. Das war die Basis für die Entwicklung einer Überwachungstechnologie, die zu einem Exportschlager der israelischen Industrie geworden ist.
Leben unter Besatzung bedeutet die absolute Reglementierung aller Aspekte des Lebens durch Verordnungen des Militärs und heißt konkret: willkürliche Verhaftungen und Hausdurchsuchungen, Häuserzerstörungen, Misshandlungen und Folter, gezielte Tötungen, Verbot von politischen Versammlungen u.v.m.

Der Widerstand
Baumgarten beschreibt die verschiedenen Formen des palästinensischen politischen Widerstands. Spannend sind ihre Ausführungen über die Hintergründe der Fatah, der PLO und der Hamas, die in unseren Mainstream-Medien geradezu dämonisiert und über die viele Unwahrheiten verbreitet werden. Insbesondere die Gründe für den Respekt gegenüber der Hamas und die große Ablehnung von Präsident Abbas werden durch Baumgartens Analysen verständlich.
Die Autorin betont, dass in den Oslo-Dokumenten ein Hinweis auf einen palästinensischen Staat und das Ende der völkerrechtswidrigen Besatzung fehlt, was aber zentrale palästinensische Anliegen sind.
Stattdessen wurde die PLO als legitime Vertretung der Palästinenser:innen anerkannt und die Palästinenser:innen auf Gewaltverzicht verpflichtet: »Die PLO gibt den Terrorismus und andere Akte der Gewalt auf und übernimmt Verantwortung für alle Elemente und Personen in der PLO um zu gewährleisten, dass sich diese an (die eingegangenen Verpflichtungen der PLO) halten…«
Damit war der Grundstein für die bis heute andauernde Kooperation zwischen den israelischen und palästinensischen Geheimdiensten und Polizeieinheiten gelegt, die von vielen Seiten heftig kritisiert wird. Die Gründer der palästinensischen Nationalbewegung wurden so zu Kollaborateuren der israelischen Besatzungsmacht. Das war Arafats größter politischer Fehler, der bis heute nachwirkt.
Besondere Aufmerksamkeit widmet Baumgarten dem »permanenten Kriegszustand« im Gazastreifen, der mit einer bis heute andauernden völkerrechtswidrigen Blockade bestraft wurde, da die Bevölkerung 2006 mehrheitlich für die Hamas stimmte.
Detailliert beschreibt die Autorin die gewalttätigen Bombardierungen, die gezielten massiven Zerstörungen der Infrastruktur, der Krankenhäuser und Schulen, viele unter UN-Verwaltung, die Tausenden von Toten, die die »heißen Kriege« 2008/09, 2012, 2014, Mai 2021 verursacht haben.
2014 geißelte der ehemalige römisch-katholische Patriarch von Jerusalem, Michel Sabah, den Krieg gegen Gaza: »Was in Gaza passiert, ist kein Krieg, es ist ein Massaker. Ein sinnloses Massaker, denn es bringt Frieden und Sicherheit für Israel keinen Schritt näher.« Das weitgehende Schweigen der westlichen Demokratien zu diesen Massakern ist skandalös und zeigt deutlich die Missachtung und Verletzung der internationalen Menschenrechtskonventionen und des humanitären Völkerrechts.
Als Reaktion auf die Blockade Gazas versuchte im Mai 2010 eine Armada von sechs Schiffen mit Hunderten von internationalen Aktivist:innen, Abgeordneten zahlreicher Parlamente und vielen Prominenten wie dem verstorbenen schwedischen Schriftsteller Henning Mankell 10.000 Tonnen Hilfsgüter nach Gaza zu bringen.
Diese Free-Gaza-Flottille wurde von der israelischen Armee in internationalen Gewässern brutal überfallen, wobei neun türkische Aktivisten teilweise gezielt getötet wurden.
Der weltweite Protest war damals groß und da auch zwei deutsche Parlamentarierinnen dabei waren, kam es zu einem einzigartigen Antrag im Deutschen Bundestag, der einmütig angenommen wurde und die Bundesregierung aufforderte, alles zu unternehmen, um die »Forderung der Europäischen Union nach einer sofortigen Aufhebung der Gaza-Blockade mit Nachdruck zu unterstützen…«
Leider hat Baumgarten diesen Antrag vom 30.Juni 2010 nicht erwähnt – da die CDU/CSU keinen Antrag mit der Linken einbringt, hatte die Linke einen gleichlautenden Antrag eingebracht. Da dieser Antrag allmählich in Vergessenheit gerät, möchte ich hier an ihn erinnern, zumal er in seinen Forderungen einzigartig ist, aber nie umgesetzt wurde.

Annette Groth ist ehemalige menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag und Teilnehmerin an der Free-Gaza-Flottille.

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