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Staat/Parteien 1. Juni 2025

Mit Bürokratieabbau gegen Menschenrechte
von Gerhard Klas

Unter dem Stichwort »Bürokratieabbau« betreibt die neue Bundesregierung vor allem die Abwicklung von Arbeits-, Sozial-, Menschenrechts- und Umweltstandards, die in zahlreichen Gesetzen und Richtlinien festgeschrieben sind.

Die wirtschaftsnahen Befürworter des Abbaus sprechen von »ausufernden Berichtspflichten«, »Wettbewerbsnachteilen« und beklagen sich in Online-Foren über »Gutmenschenphantasien«. Das erste Opfer des so verstandenen »Bürokratieabbaus« ist das erst 2021 im Bundestag beschlossene »Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz«. »Wir schaffen es ab«, steht im neuen Koalitionsvertrag.
Initialzündung für das Lieferkettengesetz waren die Arbeitsbedingungen in der Textilbranche. 2013 stürzte das Fabrikgebäude Rana Plaza in Bangladeshs Hauptstadt Dhaka in sich zusammen. Dabei kamen 1100 vor allem weibliche Beschäfigte ums Leben – sie hatten auch für deutsche Konzerne genäht. Rana Plaza steht seitdem symbolisch für die internationale Verwertungskette in der Textilindustrie: Gesundheitsschädliche und tödliche Arbeitsbedingungen in Billiglohnländern ermöglichen günstige Preise für Bekleidung in den wohlhabenden Staaten des globalen Nordens. Auch in Deutschland forderten damals Linke, Gewerkschaften und Kirchen, die Auftraggeber hierzulande in die Verantwortung zu nehmen und dieser Hyperausbeutung gesetzlich ein Ende zu bereiten.
Doch daraus wurde erst einmal nichts. Der damalige Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) versuchten es jahrelang lieber mit Überzeugungsarbeit und freiwilligen Angeboten an die Wirtschaft. Sie scheiterten, wie nicht anders zu erwarten. Nur wenige Textilmarken ließen sich darauf ein.
Erst nach acht Jahren kam es zu einem verpflichtenden Gesetz: 2021 stimmten Union, SPD und Grüne dafür, FDP und AfD dagegen. Die Linken enthielten sich, weil sie es für unzureichend hielten. Jetzt wollen CDU, CSU und SPD das erst Anfang 2023 in Kraft getretene Lieferkettensorgfaltsgesetz wieder abschaffen.
Dabei hätte seine konsequente Umsetzung heute besonders aktuelle Anlässe – siehe Bangladesh, wo fast alle Großen der Textilbranche produzieren lassen: Die vom Westen vielgepriesene Übergangsregierung und einflussreiche Besitzer der dortigen Fabriken gehen mit harten Bandagen gegen Textilarbeiter:innen vor: Allein im letzten halben Jahr wurden nach Angaben der IndustriALL Global Union, einem internationalen Dachverband, dem auch die IG Metall angehört, 11600 Kolleg:innen entlassen, weil sie gewerkschaftlich gegen Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen vorgegangen sind. Laut The Daily Star, der führenden englischsprachigen Zeitung in Bangladesh, haben die Fabrikbesitzer sogar Namenslisten erstellt, damit die Frauen nirgendwo in der Branche mehr eine Arbeit finden.
Die Regierung unterstützt das Vorgehen der Fabrikbesitzer und ließ im März drei Gewerkschaftssekretäre der National Garment Workers Federation festnehmen. Zwei davon sind noch immer in Haft, der Gewerkschaftsvorsitzende ist auf Kaution vorläufig freigekommen.
Die Festnahmen fanden im Kontext eines Kampfs um konkrete Forderungen statt: Die zum Konzern AJI Group/AJI Apparels Industry Ltd. gehörende Textilfabrik Polo Composite Knit Industry sollte ausstehende Löhne zahlen und geplante unrechtmäßige Entlassungen zurücknehmen.
Die Gewerkschafter hatten u.a. die deutsche Entwicklungsorganisation Inkota auf Textilmarken und Supermarktketten hingewiesen, die dort produzieren lassen: Kappa, Lidl und die türkische Kette Carrefour S.A.
Mit einem Lieferkettengesetz könnten sie zur Verantwortung gezogen werden. Aber das ist offensichtlich nicht gewollt: Während bis vor einigen Jahren zumindest auf dem Papier noch versucht wurde, Menschenrechts- und Umweltstandards zu beachten, werden Verstöße dagegen jetzt einfach ignoriert, ja als naturgegeben betrachtet. Das einzige, was heute international zählt, sind Wettbewerb und günstige Preise. Menschen- und Völkerrecht – das war einmal.
Davon zeugt auch der jüngste Vorstoß des neuen Bundeskanzlers. Bei seinem ersten Auftritt Anfang Mai in der EU-Kommission wetterte Merz gegen die EU-Lieferkettenrichtlinie, die eigentlich 2027 in nationales Recht umgesetzt werden soll. »Wir werden in Deutschland das nationale Gesetz aufheben, und ich erwarte auch von der EU, dass sie diesen Schritt nachvollzieht und diese Richtlinie aufhebt«, erklärte Merz in Trumpschem Befehlston. Die Konservativen im Europaparlament, so steht zu befürchten, könnten nun versuchen, das Lieferkettengesetz gemeinsam mit Rechtspopulisten und Nationalisten zu kippen.

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