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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2014

Bewegung gegen die Dreckschleudern trotzt einem Goliath

von Alfred Emilio Weinberg

Die Region um Köln, Bonn, Düsseldorf und Aachen ist ein Katastrophengebiet wie das Wendland, das «Atom-Müll-Land». Sie ist im Begriff, auch Kristallisationspunkt des Widerstands zu werden – hier gegen die zerstörerische Braunkohle.Warum ist das Rheinische Braunkohlerevier für die Ökologie- und Klimabewegung so wichtig? Weil es Germany’s next Wendland wird! – Ja? Bislang wissen selbst in Köln die meisten Menschen nur wenig von den größten Braunkohletagebauen und -kraftwerken Europas vor den Toren ihrer Stadt.

Die Tagebaue Hambach, Garzweiler und Inden verschlingen zusammen etwa 170 Quadratkilometer; die Kraftwerke Bergheim-Niederaußem, Neurath I und II, Frimmersdorf, Weisweiler verschatten mit ihren riesigen Kühltürmen die umliegende Landschaft. Niederaußem, Weisweiler und Neurath sind drei der fünf größten deutschen Braunkohlekraftwerke. Von den gesundheitsschädigenden Schadstoffen, die sie emittieren, ist den meisten kaum etwas bekannt: vor allem radioaktiver Feinstaub, aber auch Quecksilber, Arsen und Stickoxide.

Radioaktiver Feinstaub

Täglich werden allein im Tagebau Hambach etwa 3 Millionen Tonnen und 170000 Kubikmeter Erde, Abraum und Kohle durch die größten Bagger der Welt hin und her bewegt. Das überall im Boden vorkommende Uran wird dadurch in schier unglaublicher Menge in die Luft und ins Grundwasser emittiert: rund 250 Kilogramm am Tag.

Das natürlich vorkommende Uran-238 zerfällt schnell in zahlreiche Radionuklide: Radium-226, das Edelgas Radon-222 und Polonium 210, also radioaktive Alphastrahler. Die radioaktiven Isotope verbinden sich mit den lungengängigen Feinstaubpartikeln. Das radioaktive Zerfallsprodukt des Radon-222 (Halbwertszeit: etwa vier Tage) kann über den im Tagebaubetrieb unvermeidlich austretenden Kohlestaub in den menschlichen Organismus gelangen. Nicht nur für die Beschäftigten besteht diese Gefahr, sondern auch für alle in der Westwindzone wohnenden Menschen bis in den Kölner Raum. Tochternuklide der natürlich in der Kohle und dem Abraum vorkommenden radioaktiven Stoffe werden über den Feinstaub und das abgepumpte Wasser in die Umwelt freigesetzt.

Aber nicht nur die Tagebaue emittieren radioaktive Stoffe, sondern auch die Braunkohlekraftwerke. Bereits 1978 wies das US-amerikanische Oak Ridge National Laboratory (ORNL) darauf hin, dass die radioaktive Belastung im Umfeld kohlebefeuerter Kraftwerke sogar noch höher liegt als in der Umgebung von Atomkraftwerken. Radioaktive Isotope finden sich in den Kraftwerksaschen und werden auch über die Schornsteine ausgestoßen. Weltweit gelten Braun- und Steinkohlekraftwerke neben Atomkraftwerken als größte Quelle radioaktiver Verseuchung der Umwelt.*

Das Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE) dagegen bagatellisiert das Problem der Feinstaubemissionen durch seine Tagebaue und Kraftwerke mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Professoren, die in irgendeiner Weise mit RWE verbunden sind, liefern die verharmlosenden Gutachten dazu. Immerhin finanziert der Energiekonzern etliche Lehrstühle an deutschen Hochschulen.

Die Realität der Feinstaubbelastung durch Braunkohletagebaue wurde unleugbar allen Interessierten sehr deutlich klar, als am 22.Januar 2013 an der Messstation in Elsdorf-Berrendorf ein Feinstaubwert (für Partikel der Größe PM10) von 80 g/m3 und gleichzeitig an der Messstation in Niederzier von 151g/m3 gemessen wurde. Beide Dörfer sind Grubenranddörfer, Berrendorf (ein Ortsteil von Elsdorf) liegt direkt nordöstlich vom Tagebau Hambach, Niederzier südwestlich. An diesem Tage kam der Wind ausnahmsweise aus Nordost. Die Steigerung um 71 g/m3 am Messpunkt Niederzier kann nur aus dem Tagebau stammen, denn etwas anderes befindet sich nicht zwischen den beiden Orten.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt angesichts der vom Feinstaub ausgehenden Gesundheitsgefahren in ihren Luftgüterichtlinien folgende Grenzwerte für Feinstaub: im Jahresmittel 20 g/m3, im Tagesmittel 50g/m3 (ohne zulässige Tage, an denen eine Überschreitung möglich ist). Diese Werte liegen deutlich unter den Grenzwerten der EU: Seit dem 1.Januar 2005 liegt der Jahresmittelwert für Feinstaubpartikel der Größe PM10 in der EU doppelt so hoch, nämlich bei 40 g/m3; der einzuhaltende Tagesmittelwert liegt bei 50 g/m3, an 35 Tagen im Kalenderjahr darf dieser Wert jedoch überschritten werden.

Nervengift Quecksilber und Klimagift CO2

Quecksilber ist ein starkes Nervengift und schon in kleinsten Mengen gefährlich: Es kann zu geistigen Behinderungen, zu Verzögerungen bei der Entwicklung oder zu Gedächtnisverlust führen. Der oben zitierten ORNL-Studie zufolge überschreiten fast 50 deutsche Kohlekraftwerke die Grenzwerte einer neuen internationalen Vereinbarung. Allein das Kraftwerk in Niederaußem emittiert pro Jahr 497 Kilogramm Quecksilber.

Dazu erklärt der Energie-Experte des WDR, Jürgen Döschner: «In Deutschland sind die gesetzlichen Vorschriften weniger streng als in den USA, die ja sonst nicht als besonders umweltfreundlich gelten … Würde man den US-amerikanischen Grenzwert, der sich an einer neuen internationalen Vereinbarung orientiert, in der Bundesrepublik anwenden, müssten 50 deutsche Steinkohle- und Braunkohlekraftwerke bis auf eine Ausnahme stillgelegt werden.»

Das Rheinische Braunkohlerevier bzw. der Konzern RWE als Eigentümer der Tagebaue, Kohlebahnen, Kraftwerke und Stromtrassen ist auch der Klimakiller Nr.1 in Europa. Etwa 100 Millionen Tonnen Braunkohle werden hier jährlich «verstromt», das bedeutet eine Emission von rund 100 Millionen CO2 – etwa 12,5% aller CO2-Emissionen in Deutschland. Zum Vergleich: Der gesamte Pkw- und Lkw-Verkehr zusammen erzeugt etwa 20% aller Emissionen. Über 51 Millionen Kraftfahrzeuge sind in Deutschland angemeldet. Die fünf Braunkohlekraftwerke im Revier sind also genauso klimaschädlich wie über 30 Millionen Kraftfahrzeuge.

Braunkohle ist der klimaschädlichste Energieträger überhaupt. Denn nur maximal 43% der Primärenergie wird in Strom umgewandelt – bei Gas sind es etwa 50–60%, bei Steinkohle rund 46%. Bei der Verstromung von Braunkohle wird jedoch mehr als doppelt soviel CO2 emittiert wie beim Energieträger Gas. Die Ursache für die Klimakatastrophe, die vor allem für die Menschen im globalen Süden schon begonnen hat, liegt nachweislich auch in der hiesigen Braunkohleverstromung.

Das Märchen von der Unverzichtbarkeit

RWE, die Bundesregierung und die Landesregierung NRW behaupten die Unverzichtbarkeit der Braunkohle noch für viele Jahre. Versorgungssicherheit für die Allgemeinheit und für den Industriestandort NRW sei nur mit der Braunkohle möglich. Damit wird die Vorrangstellung festgeschrieben eines aus meiner Sicht von interessierter Seite konstruierten allgemeinen Interesses an der Braunkohleverstromung vor den Interessen der Menschen, die im Revier, in der Region, aber z.B. auch in Bangladesh leben. Und es wird erwartet, dass sie weitere «Opfer» für das nationale Gemeinwohl erbringen.

Noch mehr Menschen als die bisherigen knapp 40000 Umsiedler im Revier sollen ihr Zuhause gezwungenermaßen verlassen. Auch die Bergschäden an den Häusern in den Grubenranddörfern, verursacht durch gewaltige Grundwasserabpumpungen – rund 550 Millionen Kubikmeter pro Jahr – sollen als unvermeidlich hingenommen werden. Elsdorf-Berrendorf z.B. ist um 4 Meter abgesunken. Manche Häuser hatten so große Risse, dass sie abgerissen werden mussten.

Warum das Ganze? Als notwendige «Übergangstechnologie zur Bereitstellung der Grundlast, wenn weder die Sonne scheint, noch der Wind weht», sollen Braunkohlekraftwerke angeblich noch für Jahrzehnte notwendig sein. Stimmt diese Aussage von RWE und den entsprechend beeinflussten «politischen Entscheidungsträgern»? Tatsächlich wird mit dem großangelegten Projekt «Power to Gas» schon längst das Ziel verfolgt, überschüssigen Ökostrom in Gas umzuwandeln und das Erdgasnetz als Stromspeicher zu nutzen. Dazu erklärt Klaus Heikrodt, Inhaber des Lehrstuhls für Energietechnik an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, in einem Interview mit Zeit Online: «Anstatt die entsprechenden Anlagen an wind- und sonnenreichen Tagen abzuschalten, kann überschüssiger Strom in Wasserstoff oder Methan umgewandelt und im Gasnetz gespeichert werden.»

Also sind Braunkohlekraftwerke nicht notwendig! Wenn man dann noch bedenkt, dass 2013 so viel Strom wie noch nie zuvor von Deutschland exportiert wurde, dann fragt sich auch der Laie: Stimmt da etwas nicht?

Eine Maschine zum Gelddrucken

RWE könnte sinnvollerweise mehr in erneuerbare Energien investieren. Das geschieht aber nicht, im Gegenteil: Für dieses Jahr wurden die Investitionen in erneuerbare Energien halbiert. Denn folgendes ist unbestritten: «Braunkohle rettet die Bilanz (2012) von RWE», so titelte der Kölner Stadt-Anzeiger am 6.März 2013. Tatsächlich ist die Braunkohleverstromung ein sehr profitables Geschäft. Deshalb hat RWE sie 2013 weiter gesteigert (von 75,6 Mrd. kWh 2012 auf 75,8 Mrd. kWh) – und das trotz der allseits gewünschten Energiewende zu den «Erneuerbaren» hin.

RWE zahlt nichts für den Rohstoff selbst. Für das etwa 60 Quadratkilometer große Naturschutzgebiet Hambacher Forst mit den Millionen Eichen und Buchen zahlte RWE in den 70er Jahren an die Gemeinden nur 1–2 Mark pro Quadratmeter.

An vielen Stellen kann neben dem wertvollen Holz auch Kies verwertet werden, ehe die größten Bagger der Welt die Braunkohle aus der Tiefe holen. Außerdem sind die Braunkohlevorräte riesig. Und es wird vermutet, dass RWE Braunkohle, die noch in der Erde lagert, schon längst beliehen hat, wie es in der heutigen Finanzindustrie üblich ist. RWE muss somit wahrscheinlich diese schon in den Bilanzen stehende Braunkohle zwangsläufig fördern.

Deshalb sieht der Energiemix 2013 von RWE so aus: 37,6% Braunkohle, 23,7% Steinkohle, 17% Gas, 14,5% Atomkraft und nur etwa 6,3% erneuerbare Energien (Geschäftsbericht 2013 – eigene Berechnung aufgrund der dort veröffentlichten Zahlen).

Die Herausforderungen für die stärker werdende Antikohlebewegung sind also groß. Der «Gegner» ist sehr stark – das Rheinische Braunkohlerevier ist quasi in den Händen einer Besatzungsmacht.

Vorläufiges Fazit

Die Angstmache vor Arbeitsplatzverlusten im Revier wirkt leider immer noch. Die RWE AG ist noch kein schwankender Riese, sondern als weltweit operierender Konzern, als «Cluster-Expertin» und meinungsmachende Instanz ganz stark.

Mit einer sorgfältig ausgearbeiteten «Akzeptanzstudie» hat RWE sich gut auf die Abwehr des gewachsenen Widerstands gegen Großprojekte vorbereitet. Darin ist beschrieben, wie der Widerstand in für RWE ungefährliche Bahnen kanalisiert werden kann. Dialog sei der Schlüssel zur Akzeptanz, Empathie für die Beweggründe des Einzelnen, der im Widerstand ist, sei notwendig: «In der frühzeitigen, transparenten und ergebnisoffenen Einbeziehung der Bürger scheint dabei der Schlüssel zu mehr Akzeptanz zu liegen.» Die Schlichtung mit Heiner Geißler zu Stuttgart 21 gilt als Vorbild.

Klar, in der Realität ergänzt RWE seine Akzeptanz-Bemühungen durch Einschüchterungsstrategien (das alte Lied vom Zuckerbrot und der Peitsche). Aber der selbstorganisierte Widerstand wächst: Es liegt an uns, ob die Strategie von RWE aufgeht.

Der Autor ist aktiv bei «AusgeCO2hlt», Mitglied bei Attac Köln und Mitgründer der Vernetzungs- und Unterstützerinitiative des Widerstands im Hambacher Forst «SoVie – Solidarische Vielfalt. Kölner Gruppe gegen Braunkohle». Der Artikel wurde zuerst in Contraste, Juni 2014 veröffentlicht.

 *Zu den Gesundheitsgefahren einer Feinstaubbelastung sei auf die HEAL-Studie «Was Kohlestrom wirklich kostet – Gesundheitsfolgen und externe Kosten durch Schadstoffemissionen» vom April 2013 verwiesen, sowie auf die Greenpeace-Studie «Tod aus dem Schlot».

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