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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 06/2017
…oder die Unfähigkeit des Kapitalismus, sich selbst zu regulieren
von David Stein

Das Handelsblatt brachte vor kurzem einen Artikel mit der Überschrift «Zehn Jahre nach der Finanzkrise». Er erweckt den Eindruck, die Finanzkrise sei ein abgeschlossenes Kapitel der an Krisen reichen Geschichte des internationalen Finanzkapitalismus.

 

Ausgehend von den Immobilienmärkten platzte im Frühjahr 2007 in wichtigen kapitalistischen Ländern die Kreditblase und verstärkte die der Kreditexpansion zugrundeliegende chronische Überakkumulation. Zeitweilig drohte der gesamte Finanzsektor in den kapitalistischen Metropolen außer Kontrolle zu geraten. Nur nach immensen Interventionen der Notenbanken und der Regierungen konnte die Abwärtstendenz abgefangen werden – mit Hilfe von Verstaatlichungen (z.B. der Hypo Real Estate (HRE) in Deutschland) und Rekapitalisierungsmaßnahmen, zu denen die Banken aus eigener Kraft nicht mehr imstande waren.

Der Staat schnürte Rettungspakete für die Banken: Liquiditätshilfen, Garantieübernahmen und sonstige Kapitalhilfen. Die EU-Kommission legte für diese Staatshilfen ein verbindliches Rahmenwerk und ein Genehmigungsverfahren fest, wie dies im EG-Vertrag aus Wettbewerbsgründen vorgesehen ist. Zwischen September 2008 und Dezember 2010, dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise, genehmigte die EU-Kommission für Banken in der EU Staatshilfen in Höhe von 4,3 Billionen Euro (eine Zahl mit zwölf Nullen!). Davon wurden 1,2 Billionen Euro tatsächlich in Anspruch genommen – das entsprach 10,5 Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts. Davon waren 757 Milliarden Euro für nicht sofort fällige Garantien und Bürgschaften zu leisten.

Auch schon vor der Finanzkrise hat es immer Bankenrettungen und Restrukturierungsmaßnahmen der Staaten gegeben. Der IWF hat berechnet, dass die einzelnen EU-Staaten im Zeitraum 1970–2011 für diese Rettungsmaßnahmen und die sich anschließenden Rezessionen insgesamt 6,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU ausgegeben haben. Dabei handelte es sich bei weitem nicht allein um Banken, die systemisch so wichtig gewesen wären, dass deren Zusammenbruch eine Kettenreaktion ausgelöst hätte.

Seit 2011 zeichnet sich in den meisten EU-Ländern ein zögerlicher Aufschwung ab. Doch trotz der Erholung hat auch Deutschland die schwerste Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit noch nicht völlig überwunden. Die Konsolidierung der Bilanzen der Finanzinstitute ist noch nicht abgeschlossen. Viele EU-Staaten stecken noch mitten in ihren Restrukturierungsmaßnahmen, weil die Bankinstitute ein hohes Volumen von nicht werthaltigen Forderungen in ihren Büchern haben.

Das Krisenpotenzial der Globalökonomie ist nicht zurückgegangen, sondern gewachsen. Ein Systemabsturz nach der Finanzkrise 2007 wurde zwar durch die konzertierte Aktion von Notenbanken und Staaten verhindert. Damit wurde aber nur Zeit gewonnen. Eine Sanierung an Haupt und Gliedern ist seither nicht erfolgt. Seit 2016 haben wir es mit einem erneuten Schub massiver Volatilität der Finanzmärkte zu tun.

 

Die Kosten der Finanzkrise

Die mühsame und teure Abwendung des Crashs hat bei Politik und Medien dazu geführt, dass sie die Ursachen der Finanzkrise verdrängen und einen Aufschwung herbeischreiben. So kolportiert die Zeit seit 2011, die Bankenrettung werde Deutschland bei weitem nicht so teuer zu stehen kommen, wie ursprünglich befürchtet. Die Finanzkrise sei unterm Strich gar nicht so schlimm gewesen, weil der Staat mit seinen Restrukturierungsmaßnahmen noch Geld verdiene (etwa durch Zinseinnahmen für gewährte Bürgschaften und Garantien). Dies kann nur als Aufforderung verstanden werden, ein solches Risiko in Zukunft noch einmal in Kauf zu nehmen, statt Finanzinstitute mit harten Regeln und Kontrollen an die Kette zu legen.

Eine Analyse der Spanischen Zentralbank vom April 2017 hat die Kosten der Finanzkrise für den Steuerzahler und die Zunahme der Staatsverschuldung durch die Stützungsmaßnahmen in den EU-Staaten auf der Grundlage neuer, belastbarer Zahlen berechnet und die «fake news» der Gesundbeter der Krisenintervention gekontert. Demnach beliefen sich Ende 2015 die Belastungen für die Haushalte der Staaten noch immer auf 4,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Eurozone bzw. 4,3 Prozent der gesamten EU.

Deutsche Steuerzahler haben seit 2008 insgesamt 236 Milliarden Euro für die Bankenrettung bezahlt. Dafür wurden die Staatsschulden in dieser Höhe aufgebläht, was mit 8,1 Prozent des aktuellen Bruttoinlandsprodukts zu Buche schlug. Dieser Anteil ist derzeit deutlich rückläufig, da vor allem die staatlichen Bad Banks Schulden abgebaut haben.

Die sogenannten Bad Banks, also Institute, in die der Finanzmüll ausgelagert wurde, dienen dazu, faule Bankkredite oder sonstige Schrottpapiere aus den Bilanzen der Institute verschwinden zu lassen. Auch Bad Banks unter staatlicher Regie vergrößern jedoch den öffentlichen Schuldenstand. In den deutschen Bad Banks lagern vor allem alte Schulden der Hypo Real Estate und der Westfälischen Landesbank, die der deutsche Staat ihnen abgenommen hat, damit sie neu starten konnten. Allein von der HRE übernahm der Bund im Oktober 2010 Vermögenswerte in der Gesamthöhe von 173 Milliarden Euro.

Es ist fraglich, ob die Vermögenswerte in dieser Höhe realisierbar sind. Da der Restrukturierungs- und Stabilisierungsprozess bei weitem nicht abgeschlossen ist, lassen sich die Gesamtkosten der staatlichen Krisenintervention nicht exakt berechnen.  Mit einer vollständigen Rückzahlung der staatlichen Unterstützungsleistungen ist jedoch kaum zu rechnen. Die genannten Zahlen vermitteln deshalb nur einen Eindruck – die Realität dürfte für Bürger und Steuerzahler allerdings krasser aussehen.

 

Zahlen, bitte!

Vergessen sollte man auch nicht die übrigen Landesbanken, die die Bundesländer nicht aus der Hand geben wollen – und in die sie in der Finanzmarktkrise massiv Kapital nachgeschossen haben: zusammen fast 20 Milliarden Euro, rund 10 Milliarden davon allein für die Bayerische Landesbank. Damit hätte man eine Menge Schulen bauen können, oder Kindergärten oder Universitäten. Oder die marode Infrastruktur der Verkehrswege sanieren können.

In Deutschland wurde 2011 das sog. Restrukturierungsgesetz verabschiedet. Damit sollten risikobehaftete Geschäfte reguliert und alle Banken nach dem Verursacherprinzip an künftig notwendigen Rettungsaktionen beteiligt werden. Höchst problematisch ist daran, dass diese gesetzlichen Regeln erst dann greifen, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Es geht also nur um Sanierungsmaßnahmen zugunsten von bereits von Schieflagen erfassten Kreditinstituten. Präventive Regulierungsmaßnahmen wurden nur unzureichend verabschiedet. Dabei sind genau diese dringend erforderlich.

Aufgabe der Linken ist es, die Staatskassen aus der Geiselhaft der Banken zu befreien. Deshalb müssen die Finanzinstitute als Verursacher der Krise konsequent reguliert und zur Kasse gebeten werden. Staatliche Rettungen wären kaum nötig, würden Bankenaufseher die Institute zwingen, die Bilanzen von Risiken zu reinigen und das Eigenkapital deutlich aufzustocken.

Politiker und Aufsichtsbehörden können sich derzeit aus Furcht vor der Belastung «ihrer» Banken aus Gründen des Wettbewerbs zwischen den Staaten nicht auf höhere Eigenkapitalvorgaben einigen. Die geplanten strengeren Eigenkapitalregeln des «Baseler Ausschusses» («Basel IV») stehen vor dem Scheitern. Die USA und Trumps Berater von der Investmentbank Goldman Sachs tendieren auch bei der Bankenregulierung zu nationalen Regeln. Deregulierung steht also wieder auf der Agenda. Wenn nationale Regelungen internationale Standards ersetzen, steigt die Gefahr aufsichtsrechtlicher Schlupflöcher. Strenge Eigenkapitalvorgaben können dann leichter umgangen werden.

Das Thema wird auch die Austrittsverhandlungen Großbritanniens mit der EU prägen. Großbritannien wird zugunsten seines Finanzplatzes versuchen, die bei einem Brexit drohende Abwanderung von Finanzinstituten zu stoppen.

Das auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise abgegebene Versprechen der G20, mit einheitlichen Regeln eine neue Finanzkrise zu verhindern, ist also Makulatur, weil Politiker die Bankenaufsicht als Waffe für Wettbewerbspolitik missbrauchen und nicht dafür sorgen, dass Banken mit ausreichend Eigenkapital ausgestattet sind, um Krise ohne Staatshilfe zu überleben.

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2 Kommentare
  • […] “Das Handelsblatt brachte vor kurzem einen Artikel mit der Überschrift «Zehn Jahre nach der Finanzkrise». Er erweckt den Eindruck, die Finanzkrise sei ein abgeschlossenes Kapitel der an Krisen reichen Geschichte des internationalen Finanzkapitalismus. (…) Das Krisenpotenzial der Globalökonomie ist nicht zurückgegangen, sondern gewachsen. Ein Systemabsturz nach der Finanzkrise 2007 wurde zwar durch die konzertierte Aktion von Notenbanken und Staaten verhindert. Damit wurde aber nur Zeit gewonnen. Eine Sanierung an Haupt und Gliedern ist seither nicht erfolgt. Seit 2016 haben wir es mit einem erneuten Schub massiver Volatilität der Finanzmärkte zu tun. (…) Die mühsame und teure Abwendung des Crashs hat bei Politik und Medien dazu geführt, dass sie die Ursachen der Finanzkrise verdrängen und einen Aufschwung herbeischreiben. (…) Das auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise abgegebene Versprechen der G20, mit einheitlichen Regeln eine neue Finanzkrise zu verhindern, ist also Makulatur, weil Politiker die Bankenaufsicht als Waffe für Wettbewerbspolitik missbrauchen und nicht dafür sorgen, dass Banken mit ausreichend Eigenkapital ausgestattet sind, um Krise ohne Staatshilfe zu überleben.” Beitrag von David Stein aus der Soz 06/2017 […]

  • […] Mär vom Ende der Finanzkrise, von David Stein Europa: neoliberale Alternative zum Brexit, von Ingo […]


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