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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2018
Die Wurzeln der Revolte
von Babak Kia/Houshang Sepehr*

Seit dem 28.Dezember 2017 erlebt der Iran Massenproteste gegen die Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Massenarbeitslosigkeit, wachsende soziale Ungleichheit, ein brutales Sparprogramm und politische Unterdrückung.

Die Demonstrationen begannen in Mashhad, der zweitgrößten Stadt des Landes, sie breiteten sich auf 80 Städte und Dörfer und die Hauptstadt aus. Trotz massiver Repression und enger Überwachung durch das Militär, sind die Demonstrierenden, häufig Jugendliche aus den unteren Bevölkerungsschichten, bei Nachtanbruch auf die Straße gegangen und haben sich den Repressionskräften entgegengestellt.

Die Behörden geben offen zu, dass seit dem 28.Dezember 22 Demonstranten getötet und rund 1700 verhaftet wurden. Nach Angaben der Justiz sind 95 Prozent der Verhafteten jünger als 25 Jahre. Die Polizei hat die Welle der Verhaftungen genutzt, um bekannte oppositionelle Studierende und Arbeiter vorzuladen, ohne dass ihnen eine Verbindung zu den Protesten hätte nachgewiesen werden können.

 

Tiefe Unzufriedenheit

Umfang und Tragweite der Bewegung und das Tempo, in dem radikale Forderungen gegen die Regierung und das theokratische System die Oberhand gewonnen haben, haben die iranischen Behörden wie auch westliche Beobachter überrascht. Dabei waren der Protestwelle monatelang  Arbeitskämpfen vorangegangen.

Die tiefe Unzufriedenheit richtet sich vor allem gegen die sprunghaft gestiegene soziale Ungleichheit, die Vernichtung von Arbeitsplätzen, Lohnausfälle und ausstehende Rentenzahlungen, gegen die Gleichgültigkeit der Behörden gegenüber den Millionen Sparern, die durch den betrügerischen Bankrott mehrerer unregulierter Finanzinstitute ruiniert wurden, aber auch gegen die völlige Vernachlässigung der jüngsten Erdbebenopfer und die allgemeine Korruption der Machthaber.

Die soziale Krise im Iran ist ein Ergebnis mehrerer Faktoren: die Korruption der herrschenden Eliten, die widerrechtliche Aneignung des öffentlichen Reichtums durch die Mullahs und die Revolutionsgarden, der militärstrategische Druck der USA und die Wirtschaftssanktionen, die Weltwirtschaftskrise und der Fall des Ölkurses sowie die liberale Sparpolitik, die Präsident Rouhani durchsetzt, um westliche Investitionen anzuziehen.

Die Wirtschaftspolitik des Regimes verschärft die sozialen Folgen der internationalen Sanktionen noch. 2013 hatte Rouhani den Obersten Religionsführer Khamenei und andere Würdenträger des Regimes von der Notwendigkeit eines Kurswechsels überzeugt, um mit den imperialistischen Mächten in den USA und in Europa einen neuen Kompromiss auszuhandeln.

Infolge dieses Kurswechsels haben sich die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften, die die Revolution von 1979 gebracht hatte, verschärft. In den letzten vier Jahren – und in Fortführung der Politik Ahmadinedschads – hat die Regierung Rouhani die Privatisierungen, die Deregulierung des Arbeitsmarkts und den Abbau der Arbeiterrechte vorangetrieben. Das Mullahregime hat die Vorgaben des Internationalen Währungsfonds in Sachen Haushaltsdisziplin befolgt und die Regeln im Öl- und Gassektor gelockert, um sich den europäischen und US-amerikanischen Giganten anzudienen.

lm Januar 2016 wurden die schärfsten Sanktionen der USA und der EU aufgehoben bzw. ausgesetzt, im Gegenzug hat Teheran auf einen großen Teil seines Atomprogramms verzichtet. Aber die Vorteile aus der Aufhebung der Sanktionen sind ausschließlich in die Taschen der privilegierten Schichten der Gesellschaft und der machthabenden Eliten geflossen.

Doch das Regime will weitere Härten durchsetzen. Wie der jüngste Haushaltsplan zeigt, den das Parlament gerade diskutiert, will Rouhani die Sparschraube noch heftiger anziehen, aber gleichzeitig den religiösen Institutionen und dem Klerus noch mehr Unterstützung zukommen lassen. Die Vorstellung dieses Haushalts war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Wachsende Armut

Während die Arbeitslosigkeit offiziell bei 12,7 Prozent liegt und etwa 40 Prozent der Jugendlichen keine Arbeit haben, sieht der Haushaltsplan eine Verteuerung des Benzins um 50 Prozent und gleichzeitig eine Kürzung der Energiesubventionen vor. Die Subventionen für Grundnahrungsmittel und elementare Dienstleistungen wurden bereits 2010 und 2014 aufgehoben, jeweils unter der Präsidentschaft Ahmadinedschads und Rouhanis. Zugleich sind die Preise für Grundnahrungsmittel explodiert. Die Eierpreise z.B. sind im vergangenen Jahr um 40 Prozent gestiegen. Die Inflationsrate beträgt 12 Prozent, was die Kaufkraft der Arbeiter und der ärmeren Schichten stark belastet.

Nach amtlichen Schätzungen leben etwa 15 Millionen Iraner unterhalb der Armutsgrenze, 3 Millionen sind unterernährt. Laut World Wealth and Income Database besitzen 1 Prozent der reichsten Iraner 16,3 Prozent des gesellschaftlichen Reichtums, das ist soviel wie 50 Prozent der Bevölkerung besitzen (Stand von 2013).

 

Reaktionäre Diktatur

Den religiösen Stiftungen werden Milliarden öffentlicher Gelder in den Rachen geschoben. Sie sind nur dem Obersten Religionsführer rechenschaftspflichtig und müssen keine Steuern zahlen. Sie gehören zu den größten Holdings im Mittleren Osten. Sie werden von Würdenträgern des Regimes geleitet und unterstehen der Aufsicht der Revolutionsgarden. Die religiösen Stiftungen kontrollieren ganze Sektoren der iranischen Wirtschaft. Bei der Vorstellung des Haushaltsplans ist bekannt geworden, dass umgerechnet 1,7 Mrd. Euro diesen Stiftungen zufließen sollen.

Und das ist nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Rouhani selbst spricht davon, dass ein Drittel des jährlichen Staatshaushalts sich der Kontrolle der Regierung und des Parlaments entzieht. Dieser Anteil wird direkt von Khamenei kontrolliert und fließt den Revolutionsgarden und verschiedenen Stiftungen zu. Im Jahr 2013 verwaltete der Oberste Religionsführer mittels des Setad, der «Behörde für die Ausführung der Anordnungen des Imam», 95 Mrd. Dollar. Diese Behörde besitzt Anteile an praktisch jedem Wirtschaftssektor des Landes, vom Finanzsektor über Immobilien und Telekommunikation bis zum Erdöl.

Die Islamische Republik Iran ist eine reaktionäre und korrupte kapitalistische Diktatur. Die gesellschaftliche Mobilisierung dagegen, der Kampf für den Sturz des Mullahregimes, für soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit muss unterstützt werden.

 

* Die Autoren sind, wie auch die Autoren der nachstehenden Artikel über den Iran, Mitglieder des in Frankreich ansässigen Verbands Solidarité socialiste avec les travailleurs iraniens (www.iran-echo.com). Wir entnehmen die Artikel zum Iran der Zeitschrift der Gewerkschaft Union Solidaire, Solidaires international (www.solidaires.org).

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