Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2018
«Aufstehen» goes to town
von Thies Gleiss

Einen Monat nach ihrem offiziellen Start als Klickgemeinschaft im Internet mit 150000 Interessierten beginnt die von Sahra Wagenknecht, Oskar Lafontaine und 78 weiteren Erstunterzeichnenden ins Leben gerufene Initiative «Aufstehen», die analoge Welt zu erobern. Doch schon die ersten Schritte wurden von einem kleinen Zentralbeben erschüttert und erschwert.
Die Entscheidung der Fraktionsvorsitzenden der LINKEN, Sahra Wagenknecht, sich bei dem Beschluss der Fraktion zur Unterstützung der «Unteilbar»-Demonstration am 13.Oktober in Berlin der Stimme zu enthalten, und die später nachgereichten merkwürdigen Einwände gegen den Aufruf zur Demo stießen auf Unverständnis und Empörung bei denen, die sich in den Tagen davor zu «Aufstehen» bekannt und sich an den Aufbau von lokalen Gruppen gemacht hatten. Auch in der bisherigen Leitungsgruppe der Initiative, ein aus 20 von den 80 Erstunterzeichnenden bestehendes «beratendes Gremium», rumorte es und die Richtlinienkompetenz von Sahra Wagenknecht für die Initiative wurde in Frage gestellt.
So waren unter den 240000 Demonstrierenden in Berlin auch zahlreiche AnhängerInnen von «Aufstehen», es gab mehrere Transparente und Schilder mit dem Logo, und prominente «Aufstehen»-Vordenker wie Fabio DeMasi sprangen für die abgeordnetentypischen Fotosessions vom großen LINKE-Transparent zu dem von «Aufstehen» und zurück. Sahra Wagenknecht blieb buchstäblich allein zu Haus, wie es auf einem spöttischen Schild in Berlin hieß.

«Aufstehen» vor Ort
Die Initiative «Aufstehen» hat entgegen ihren Beteuerungen ziemlich zentralistische Aufbaumethoden. Es gibt ein «Orga-Team» zur Betreuung des Aufbaus in der analogen Welt; ein «Social-Team» für Facebook, Twitter und Co.; ein «Technik-Team» zur Pflege der Webseite und ein «E-Mail-Team» für die Kontaktpflege. Es wird nicht verraten, wer das im einzelnen ist und – wichtiger noch – wie die mehreren hauptamtlichen Organizer und der professionelle Auftritt bezahlt werden. Der Trägerverein von «Aufstehen» ruft zu Spenden auf, kann aber noch keine steuermindernden Spendenquittungen ausstellen.
Mittlerweile gibt es ungefähr 70 Regional-, Orts- und in Berlin auch Stadtteilgruppen. Sie sind aus Facebook-Gruppen entstanden. Die zentrale Verwaltung hat dabei Schützenhilfe und Daten zur Verfügung gestellt und auch unliebsame Administratoren von lokalen Facebook-Gruppen mehr oder weniger rüde beiseite gedrängt. Zudem wurden Verhaltensrichtlinien in den Gruppen durchgeboxt, die sowohl innerlinkes Gezänk als auch zu krass ausländer- und flüchtlingsfeindliche Posts verhindern sollen. Dieser erste Reinigungsprozess ist weitgehend abgeschlossen, sodass in allen 16 Bundesländern offizielle «Aufstehen»-Facebook-Gruppen bestehen, die insgesamt 12000 Mitglieder haben. Es gibt immer noch zahlreiche «inoffizielle» Facebook-Gruppen, wo sich ein teilweise sehr schräges Volk mit verschwörungstheoretischen, aber auch immer noch hart nationalistischen und rassistischen Positionen tummelt. Die Denunziation der «Unteilbar»-Demonstration als von Soros gesteuert ist die jüngste Laune dieser Leute.
In der Hälfte der Ortsgruppen fanden auch schon Treffen statt. Dafür ist ein «Merkblatt» der Organizer bereitgestellt worden, in dem sehr kluge Tipps zur Durchführung solcher Veranstaltungen, zur Verhinderung des Durchmarsches von Polit-Professionellen anderer Parteien, zur Integration von Neuen und wenig Redegewandten und vielem anderem gegeben werden. Die LINKE sollte sich diese Regeln durchaus auch zu Herzen nehmen – ironischerweise sind ja gerade die Polit-Profis der LINKEN, die sich «Aufstehen» verbunden fühlen, mittlerweile schon Meister oder Meisterinnen darin, sich mit allen Mitteln Einfluss in Partei- und Fraktionsstrukturen gegen Konkurrenten und potenzielle Nachfolger abzusichern.
Die örtlichen Treffen sind unterschiedlich, aber generell nicht enttäuschend gut besucht; in Großstädten eher weniger, in Klein- und Mittelstädten teilweise überraschend gut. Doch eine begeisterte Aufbruchstimmung, wie sie zuletzt in Deutschland bei der Gründung der WASG zu sehen war, ist das sicher nicht.
Die Mehrheit der Besucher ist gehobenen Alters und hat Erfahrungen in SPD und LINKE hinter sich, ist teilweise dort noch randständiges Mitglied. Die große Mehrheit sind Männer. Viel mehr als Vorstellungsrunden und Bekenntnisse, etwas «jenseits der Parteien machen» zu wollen, ist nicht passiert. Dort, wo «Aufstehen» örtlich politische Praxis begonnen hat, ist dies immer im Kontext von schon arbeitenden Initiativen – in der Regel nicht zu der für sich reklamierten «sozialen Frage», sondern zu Demokratiefragen, wie etwa die Proteste gegen die Polizeigesetze, Klima- und Verkehrsfragen. Auf mehreren Treffen wurden aber auch eher Angst machende und mit rechter Politik leicht zu verbindende Äußerungen getätigt: dass man «nicht links und nicht rechts» sein wolle und bisher alles «Politische» doch nur Unheil gebracht habe.

Pol-is und die interne Demokratie
«Aufstehen» feiert sich selbst mit einer angeblich neuen Art von interner Demokratie, die alle Probleme der anderen Parteien – wie Meinungskämpfe, Leitungswahlen, Karrieredenken – vermeiden oder minimieren würde. Dafür wird die Software «Pol-is» benutzt, die Teilnahme und Teilhabe großer Mengen einfacher Mitglieder ermöglichen soll. Eine erste Probephase der internen Debatte unter den «Aufstehen»-UnterstützerInnen ist abgeschlossen und die «Pol-is»-Betreiber haben einen Auswertungsbericht vorgelegt.
Ein Fazit vorweg: Demokratisch ist das nicht, eher eine subtile Form des betreuten Links-sein-Wollens. 23354 Menschen haben sich an der Debatte beteiligt. Sie durften 783 kurze politische Statements bewerten, die sie selber abgeben konnten oder die «von oben» vorgegeben wurden. Es waren Statements zum Status, zum Einkommen und zur politischen Meinung. Die zentrale Verwaltung hat die Statements sortiert, auch aussortiert und teilweise vorgegeben. Wer da was wie geregelt hat, bleibt verborgen. Die Statements durften mit Voten bewertet werden. Insgesamt wurden knapp zwei Millionen Voten abgegeben, wodurch die Statements und ihre angebliche Bedeutung für die Programmatik von «Aufstehen» eingeordnet werden können.
Die politischen Ergebnisse der Auswertung sind durchaus interessant:
Es wurde aufgrund der ähnlichen Antworten eine Gruppe von 30 Prozent der Teilnehmenden separiert. Sie lässt sich mit den Positionen «Deutschland zuerst» und «Migration ist ein Problem, und die Migranten sind es auch» beschreiben. Die anderen zwei Drittel sind für eine tolerante Migrationspolitik, sind weltoffener und sagen, dass es Zufall ist, dass sie Deutsche seien. Nur 9 Prozent nennen einen eigenen Migrationshintergrund.
Knapp die Hälfte aller Beteiligten sieht sich selbst bessergestellt als der Durchschnitt in Deutschland; 80 Prozent aus beiden Gruppen sind für einen Staat mit Gesetz und Ordnung; 82 Prozent beider Gruppen sind gegen eine Politik der «offenen Grenzen» (bei der ersten Gruppe sind es so gut wie alle); 56 Prozent sind für ein «bedingungsloses Grundeinkommen» und ganze 81 Prozent sind für die Abschaffung des Fraktionszwanges im Bundestag. 16 Prozent sind selbstständig und 41 Prozent fühlen sich als Patrioten.
Es gäbe noch viele andere interessante Dinge zu dieser Auswertung zu sagen, aber eines scheint gewiss: Eine soziale Basis der tatsächlichen Unterschichten und sozial Ausgegrenzten ist das nicht. Da muss «Aufstehen» an den eigenen Vorhaben und Vorgaben noch hart arbeiten.

Print Friendly, PDF & Email

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.