Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 05/2014

...  und die Notwendigkeit einer neuen Politik

von Teresa Rodríguez

Podemos («Wir können») ist eine Initiative mit dem Ziel, der Massenbewegung gegen die Troika einen politischen Ausdruck zu verleihen. Es handelt sich weder um eine Partei noch um eine bloße Meinungsströmung. Die Initiative hat sich in sog. Zirkeln organisiert mit dem Ziel, zur Entstehung einer neuen politischen Kraft beizutragen. Podemos will mit eigenen Listen zu den kommenden Europawahlen antreten.Podemos entstand aus der massenhaften Ablehnung des gegenwärtigen politischen Systems aufgrund des Fehlens von Instrumenten und Möglichkeiten zur demokratischen Beteiligung der Bürger. Diese Ablehnung hat ihren Grund auch in den verknöcherten Institutionen und im elitären und bürokratischen Parteienmodell. Sie fand Ausdruck in der Massenbewegung 15M, in den Kämpfen gegen die Zwangsräumungen, in den neuen Kämpfen in den Betrieben und in der massiven Beteiligung an den Märschen für die Würde am 22.März, die alle Vorhersagen übertroffen hat.

Warum haben wir Podemos gegründet? Einfach deshalb, weil uns keines der politischen Angebote der Linken überzeugt hat und auch weil diese nicht fähig war, dem Vormarsch der Rechten etwas entgegenzusetzen. Wie jene viele tausend Personen, die sich am 15.Mai 2011 allen Parteien, vor allem aber dem Zwei-Parteien-System aus PSOE und PP und der verbreiteten Korruption entgegenstellten, sind wir zur Schlussfolgerung gelangt, dass «sie uns nicht vertreten». Wir haben zugehört und haben unsererseits gerufen: «Sie nennen es Demokratie, aber es ist keine.»

In diesen Parolen drückt sich eine Ablehnung der verknöcherten Formen von Bürgerbeteiligung und der wachsenden Einschränkungen der Freiheiten aus. Aber auch eine zunehmende Ablehnung der Verfassung (von 1978), über die die Bevölkerung nicht abstimmen durfte und die eine Low-intensity-Demokratie errichtet hat; die Diskreditierung der staatlichen Institutionen und der Monarchie und deren Unterordnung unter die Troika (EZB, IWF, EU). Wir auch die begrenzte Wirkung von Massenkämpfen zur Kenntnis nehmen müssen, die sich auf die Abwehr beschränken und keinen politischen Ausdruck haben.

Wir konnten auch das «Ja, man kann» erleben, die begeisterte Rückkehr zum selbstorganisierten, solidarischen, kooperativen und kollektiven Kampf. All dies hat dazu geführt, dass neue soziale und politische Subjekte auftauchten.

Die Freisetzung neuer sozialer und demokratischer Energie, die die Austeritätspolitik und den Demokratieabbau in Frage stellt, erfordert einen neuen politischen Akteur und das ist Podemos. Es ist nicht anzunehmen, dass die parlamentarische Vertretung dieser Bewegungen allein ausreichend wäre, die Gesellschaft zu verändern. Sie kann dem Massenwiderstand gegen die neoliberale Politik neue Impulse verleihen.

Dies gesagt, ist noch alles zu tun. Das Projekt wird in dem Maße Fortschritte machen, wie nützliche Vorschläge gemacht werden, um die sozialen Probleme zu lösen und eine breite demokratische Beteiligung an der Willensbildung zu ermöglichen. Es wird Fortschritte machen, wenn es ihm gelingt, eine Organisation hervorzubringen, die sich deutlich von den konventionellen Parteien mit ihren hierarchischen Strukturen unterscheidet.

Podemos erhält keinerlei Finanzierung von außen und kann deshalb unabhängig von großen Geldgebern sein. Podemos ist ein im Aufbau befindliches Projekt, das es erlaubt, sich von Beginn an zu beteiligen, damit es schließlich unser aller Projekt wird. Ein kollektives und einheitstiftendes Wir. Es stellt den Keim einer politischen Alternative dar, denn es hat bereits Vorschläge zu einigen wichtigen Fragen gemacht:

– Ein Bürgeraudit über die Schuldenfrage.

– Ablehnung aller Sozialkürzungen infolge der illegitimen Schulden und einer ungerechten Steuerpolitik.

– Verteidigung des öffentlichen Dienstes und der Interessen der Mehrheit gegenüber den Profiten der Minderheit.

– Sicherung der sozialen Rechte, des öffentlichen Gesundheits- und Bldungssystems; Erhöhung der Löhne oder Verkürzung der Arbeitszeit.

– Bewahrung der Gemeingüter.

– Absolute Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper.

– Freie Entscheidung der Völker über ihre Zugehörigkeit zum multinationalen Spanischen Staat; dies bedeutet auch Unterstützung für die Durchführung der katalanischen consulta.

– Radikale Demokratie ohne Hindernisse, tägliche Beteiligung aller Bürgerinnen und Bürger an den Entscheidungen des Gemeinwesens.

– Notwendigkeit eines neuen, nachhaltigen Produktionsmodells.

– Dringend notwendig ist der Aufbau eines anderen Europa: ein Europa der Freiheit, der Rechte, der Personen, der Beteiligung, der Gerechtigkeit und der Gleichheit – gegen die EZB, die Multis, die Sparpolitik, die fremdenfeindlichen Abschiebungen von Migranten und die Repression der Bevölkerungen, die Widerstand leisten.

Wir wollen um diese Forderungen einen emanzipatorischen Diskurs organisieren. Wir entwickeln dazu eine Methode, mit der wir die Gesamtheit der Bürger beteiligen und ihre Selbstermächtigung erreichen wollen. Deshalb bestehen wir auf Selbstorganisation und auf Mechanismen wie Volksversammlung, Volksbefragungen, von Bürgern eingebrachte Gesetze oder Vorwahlen. Wir unterstützen Volksentscheide als Möglichkeit der alltäglichen partizipativen Demokratie – im Rahmen des Spanischen Staates ebenso wie in der EU.

Wirkliche Demokratie ist die Kombination von Formen der Repräsentanz in Parlamenten und Gemeinden und Formen direkter Demokratie. Die Korruption und die Privilegien der politischen Eliten müssen bekämpft werden. Sollten wir gewählt werden, werden wir deshalb unsere Vermögen und Einkünfte offenlegen und das mittlere Einkommen der Arbeiterklasse im Spanischen Staat zum Maßstab nehmen.

Die Initiative Podemos («Wir können») wurde initiiert von Pablo Iglesias (Politikwissenschaftler an der Universidad Complutense in Madrid), Miguel Urban und Jaime Pastor (beide Mitglieder von Izquierda Anticapitalista), Cecilia Salazar-Alonso (Gymnasiallehrerin in Madrid), Juan Carlos Monedero (Politikwissenschaftler an der Universidad Complutense) und Teresa Rodríguez (Aktivistin gegen die Privatisierung im Bildungswesen wendet) sowie anderen Personen von Mover Ficha: convertir la indignación en cambio político (Die Empörung in politische Veränderung verwandeln). Sie hat in der kurzen Zeit ihres Bestehens ein großes Echo gefunden.

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