Der IS muss militärisch bekämpft werden
von Sascha Schlenzig
Dürfen Linke Waffenlieferungen und Luftangriffe fordern, selbst wenn die eigene Regierung und die USA die Adressaten dieser Forderung sind? Kann angesichts der Erfahrungen mit der Militärinterventionen in Folge des Krieges gegen den Terror in Afghanistan und im Irak überhaupt nur darüber nachgedacht werden, militärische Gewalt als Lösungsansatz im Nahen Osten zu sehen? Das sind die wichtigsten Streitpunkte innerhalb der Linken. Dem gegenüber steht die Tradition der Kampagne «Waffen für El Salvador» der westdeutschen Linken in den 80er Jahren, oder auch die Theorie des gerechten Krieges, nicht zuletzt die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs. Es ist nicht einfach, sich zu positionieren.
Die kurdischen Organisationen in Syrien und im Irak können sich solche Debatten nicht leisten. Für sie ist der Kampf gegen den IS eine Frage von Leben und Tod. Was auch immer der Westen in den letzten 13 Jahren angerichtet hat, die Kurden sind die Letzten, die das ausbaden wollen. Die kurdischen Organisationen fordern schwere Waffen, sie fordern sogar Luftangriffe auf die Stellungen des IS. Verständlich ist das in jedem Fall, ist es aber auch richtig? Der IS könnte dadurch ja noch mehr Auftrieb bekommen, wenn Zivilisten ums Leben kommen. Andererseits, wenn Kobanê und Rojava in die Hände des IS fallen, bekommt der IS nicht dann erst Recht Auftrieb?
Und haben wir es beim IS nicht mit einer neuen Form des islamistischen Faschismus zu tun, vergleichbar mit dem historischen Faschismus? Alle, die sich nicht dem Herrschaftsanspruch des IS fügen, werden ausgerottet. Frauen und Kinder werden versklavt, ein Terrorregime wird errichtet. Selbst al-Qaeda kritisiert den IS wegen dessen brutalen Methoden. Der IS hat sich in den von ihm eroberten Gebieten mit den lokalen sunnitischen Kräften arrangiert. Alle Bestrebungen, dieses Bündnis zu zerschlagen, erfordern eine Demokratisierung des Irak mit Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen. Doch das wird Zeit brauchen. Der IS mordet und versklavt jedoch jetzt.
In Folge der Arabellion ist Nordafrika und der Nahe Osten in Aufruhr, der IS ist eine Antwort des radikalen Islamismus auf diese Emanzipationsbestrebungen. Die Zerschlagung der kurdischen demokratischen Autonomie in Rojava und der Autonomie im Nordirak wäre ein großer Erfolg für die reaktionäre Massenbewegung des IS. Darauf zu hoffen, dass ohne Waffenlieferungen, ohne panzerbrechende Waffen, ohne Luftangriffe es die Kurden selbst schaffen können, den IS zu bekämpfen, scheint sehr riskant. Auch die YPG sieht das so und hat die USA dafür kritisiert, nicht effektiv genug zu bombardieren. Mit der Öffnung der türkischen Stützpunkte für die Luftangriffe kann der IS besser bekämpft werden. Auch wenn die Türkei die Forderung nach Öffnung des Korridors nach Kobanê zustimmt: Der IS als Ganzes wird nicht in Kobanê besiegt, sondern in Syrien und im Irak. Er ist bis an die Zähne bewaffnet, verfügt über sehr viel Geld und hoch motivierte Kämpfer.
Dass sich die USA darum reißen, den IS zu bekämpfen, ist mehr als abwegig. Obama hat die US-Truppen aus dem Irak geholt, vor einem Krieg gegen Syrien ist er zurückgeschreckt. Obama sagt selbst, sie hätten den IS unterschätzt. Die USA greifen erstens ein, weil sie von den Kurden gerufen werden, und zweitens, weil es von ihnen erwartet wird. Welche andere Macht der Welt wäre aktuell auch in der Lage, so schnell militärisch eingreifen zu können?
Der IS ist nicht nur für die Kurden, Schiiten und andere Minderheiten eine lebensbedrohliche Gefahr, der IS ist auch eine Gefahr für die imperialistischen Interessen des Westens im Nahen Osten. Der gesamte Nahe Osten würde bei einem Erfolg des IS durcheinandergewirbelt. Ein Flächenbrand und großer Krieg zwischen einzelnen Ländern wäre die wahrscheinlichste Folge. Insofern geht es den USA in erster Linie um Schadensbegrenzung. Wenn es dabei gelänge, Assad zu stürzen und eine prowestliche Regierung in Syrien zu etablieren, wäre das für den Westen erfreulich, ist jedoch absehbar kein Ziel der USA. Dass es richtig wäre, den Diktator Assad zu stützen und Syrien wieder aufzubauen und zu demokratisieren, daran kann jedoch aus fortschrittlicher Sicht kein Zweifel bestehen.
Das nüchterne Resümee lautet also: Ja, Waffenlieferungen und Luftangriffe werden helfen, den IS-Faschismus zurückzuschlagen. Ein rein vom Westen gesteuerter Krieg gegen den IS wird es nicht geben, da die kurdischen Organisationen, die Freie Syrische Armee und das irakische Militär eine eigenständige Rolle spielen wollen. Das ist ein sehr großer Unterschied zu Afghanistan, als der Westen erst bombardierte und dann das Land besetzte. Solch ein Afghanistan-Szenario sollten Linke auf jeden Fall ablehnen. Doch das, was den gerechten Krieg gegen den IS unterstützt, sollte auch Linke unterstützen. Eine bessere Alternative haben wir nicht.
Der Autor ist Vorsitzender der Partei Die Linke in Pankow-Nordost und Initiator der Kampagne «Ja zu militärischer Hilfe und Waffenlieferungen nach Syrien und Irak».
Waffen gegen den IS… …und eine internationalistische Solidaritätsbewegung
von Manuel Kellner
Der Widerstand gegen den IS in Kobanê, aber auch in Syrien und im Irak, muss mit allen Mitteln der internationalistischen Solidarität unterstützt werden. Es fehlen schwere Waffen, und die führende Kraft der selbstverwalteten kurdischen Gebiete und des Widerstands in Kobanê, die der PKK nahe stehende PYD, fordert vom Westen, mit solchen Waffen ausgerüstet zu werden. Sie begrüßt auch die Luftangriffe der von den USA angeführten Koalition gegen Stellungen des IS, soweit diese effizient durchgeführt werden. Ohne jede Frage ist die Forderung nach Ausrüstung mit geeigneten Waffen legitim und das Bedürfnis ist dringend.
Auf der anderen Seite steht die grundsätzliche Ablehnung deutscher Rüstungsexporte und der Auslandsinterventionen der Bundeswehr sowie der imperialistischen Interventionen überhaupt (vor allem westlichen, aber auch aller anderen). Wenn diese Position in der Partei Die LINKE geschleift wird, dann dient das der Anpassung an die bürgerliche Politik mit dem Ziel der ersehnten «Regierungsfähigkeit» auch auf Bundesebene. Wenn radikale und revolutionäre Linke diese Position aufgeben, dann verlieren sie ihren Kompass und werden ihrerseits zum Anhängsel der «eigenen» herrschenden bürgerlichen Klasse.
Die Zuspitzung der Diskussion auf die Frage der Waffenlieferungen hat also ihre Tücken. Die Bundesregierung liefert wenige und wenig geeignete Waffen an die bürgerlich-halbfeudale kurdische Barzani-Regierung im Irak. Den (politisch links stehenden) Selbstverteidigungskräften des Rojava liefert sie überhaupt keine Waffen. Mit Rücksicht auf den NATO-Partner Türkei wird die PKK nach wie vor als «terroristische Organisation» geführt und erhält noch nicht einmal das Schwarze unter dem Fingernagel. Das muss angeprangert werden, und das PKK-Verbot muss weg.
Verstärkt seit dem mörderischen Giftgasangriff auf Ghouta hatten alle Internationalisten dicke Bretter zu bohren, die mit syrischen Oppositionellen diskutierten und gegen eine westliche Militärintervention gegen das Assad-Regime argumentierten – und dazu noch für das Selbstbestimmungsrecht der Kurden eintraten. Eine der zwei besten Nachrichten der jüngeren Zeit ist das Wiedererwachen eines antiimperialistischen Bewusstseins in der syrischen Bevölkerung. Die andere ist die neue Waffenbrüderschaft von Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) und anderer oppositioneller Bataillone mit den kurdischen Selbstverteidigungskräften der YPG zur Verteidigung von Kobanê.
Von der Bundesregierung ist zu verlangen, dass sie Druck auf die Türkei ausübt, einen Korridor für die Verteidiger von Kobanê einzurichten und ihre Grenzen für den IS dicht zu machen. Die Patriot-Raketen sind nichts als eine imperialistische Drohgebärde und müssen abgezogen werden. Die immensen deutschen Rüstungsexporte, zumal an reaktionäre Regimes wie Saudi-Arabien und an die israelischen Besatzer in Palästina, müssen eingestellt werden. Weiterhin muss Rojava materiell unterstützt und für die Millionen syrische Flüchtlinge massive humanitäre Hilfe geleistet werden. In diesem Zusammenhang sollten wir auch fordern, dass die Verteidiger von Kobanê gegen den IS mit schweren Waffen ausgerüstet werden, ohne ihnen irgendwelche Bedingungen zu stellen.
Es gibt eine Reihe von Spendenaufrufen zur Unterstützung der kurdischen Selbstverteidigungskräfte, die teils offen dem Ankauf von Waffen dienen sollen. Diese Aufrufe verdienen alle Unterstützung, ebenso wie die zur Unterstützung der demokratischen Opposition gegen das Assad-Regime in Syrien, die übrigens ebenfalls die Ausrüstung mit geeigneten Waffen fordert. Die Solidarität mit der syrischen Bewegung gegen das Assad-Regime wird von den meisten deutschen Linken bislang sträflich «rechts liegen» gelassen (teils mit in den Sack der islamistischen Konterrevolution gesteckt, teils als geopolitisch unerwünscht gegen Russland gerichtet wahrgenommen), während die PKK-nahen Kräfte im Rojava eher unkritisch als die Heilsbringer gesehen werden. Kritikwürdig ist aber zum Beispiel deren Position eines «dritten Wegs», das heißt, des faktischen Arrangements mit dem Assad-Regime. Während also die Mehrheit der syrischen Oppositionskräfte für das kurdische Selbstbestimmungsrecht und für eine klare Ablehnung des westlichen Imperialismus gewonnen werden muss, ist auch eine Diskussion mit der PYD über die Notwendigkeit der Teilnahme am Kampf nicht nur gegen den IS, sondern auch gegen das Assad-Regime erforderlich.
In Deutschland aber gilt es alles dafür zu tun, eine internationalistische Solidaritätsbewegung aufzubauen, die nicht von den geopolitischen Interessen der Weltmächte und der regionalen Mächte ausgeht, sondern von den Interessen der Ausgebeuteten und Unterdrückten aller Länder.
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