von Bernard Schmid
Mit der Ernennung des neuen Generalstabschefs knüpft Frankreich an ein finsteres Kapitel seiner Vergangenheit an.
Der Herr General war erzürnt: Kurz nach der Militärparade zum französischen Nationalfeiertag, der Truppenshow vom 14.Juli dieses Jahres, trat der Generalstabschef der vier Waffengattungen, Pierre de Villiers, wutentbrannt zurück. Er warf Staatspräsident Emmanuel Macron vor, im Haushaltsjahr 2017 Einsparungen im Rüstungshaushalt vorzunehmen. Der Streit begann am 12.Juli, als de Villiers vor dem Verteidigungsausschuss des Parlaments zu den Einsparungsplänen erklärte: «So lasse ich mich nicht ficken!» Hinter verschlossenen Türen, doch der Ausspruch drang nach außen.
Dabei handelt es sich um nur ein vorübergehendes «Opfer». Denn der Rüstungshaushalt soll – nach einer Senkung um 850 Millionen Euro im laufenden Jahr, um die 3-Prozent-Defizitgrenze einzuhalten und bei der Europäischen Kommission nicht anzuecken – schon ab 2018 wieder um 1,5 Milliarden Euro steigen. Bis zum Jahr 2025 soll das Verteidigungsbudget dann kontinuierlich nach oben klettern, um die 2 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt zu erreichen, die der politischen Selbstverpflichtung entsprechen, die die Mitgliedstaaten der NATO abgegeben haben. Nach den heftigen publizistischen Reaktionen auf den Rücktritt von de Villiers beeilte sich Macron zu präzisieren, im kommenden Jahr werde der Rüstungshaushalt «als einziges Ministerialbudget» steigen, während alle anderen Ressorts Anstrengungen zur Sparpolitik zu erbringen hätten. Dies versicherte er am 20.Juli 2017 auf dem Atomwaffenstützpunkt im südfranzösischen Istres.
Die Rwanda-Affäre
De Villiers war politisch gezeichnet als Rechter, vor allem als profilierter Gegner der unter François Hollande eingeführten «Homoehe». Das Signal, das Macron mit der Ernennung von General François Lecointre zum Amtsnachfolger de Villiers’ ausgesandt hat, ist jedoch wiederum verheerend. Denn Lecointre war an dem wohl schlimmsten Verbrechen der französischen Armee in der jüngeren Vergangenheit beteiligt, an ihrer Verwicklung in den Völkermord in Rwanda 1994.
Letztere erfolgte unter dem Oberbefehl von Staatspräsident François Mitterrand, der sich selbst seit seinen Tagen als Kolonial- bzw. «Überseeminister» 1950/51 für einen großen Kenner Afrikas hielt. Mitterrand war Jahrzehnte lang besessen von der Idee, es bestehe ein angloamerikanisches Komplott, das darauf hinauslaufe, Frankreich seine neokoloniale Einflusszone in Afrika abzujagen. Ganz in diesem Sinne interpretierte Mitterrand das Vordringen der Rwandischen Patriotischen Front (RPF), die seit 1990 vom Nachbarland Uganda aus gegen das von Hutu getragene ethnonationalistische Regime in Rwanda kämpfte. Als dieses sich im Frühjahr 1994 in ein eliminatorisch-rassistisches Regime umwandelte und die Vernichtung der Tutsi organisierte, unterstützte Frankreich als einzige Großmacht dieses Regime – selbst dann noch, als längst schon Berichte über die Realität des Völkermords durch die internationale Presse gingen.
Lecointre war als Offizier der Marinetruppen – sie bilden das Rückgrat der früheren französischen Kolonialarmee in Afrika – an der Opération Turquoise beteiligt. So hieß im Juni und Juli 1994 die französische Intervention, die dazu diente, die Akteure des Völkermords vor dem Zugriff der vordringenden RPF zu bewahren, sie teilweise wiederzubewaffnen und in der Schlussphase in den Osten des damaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) abziehen zu lassen. François Lecointre war damals in Gabun stationiert, wo bis heute die größte französische Militärbasis in Afrika liegt, und traf am 2.Juli 1994 in Goma an der zairischen Grenze zu Rwanda ein.
Die Ernennung Lecointres ist deswegen ein fatales Signal. Bereits die französische Barkhane-Streitmacht in der Sahelzone, die seit 2014 u.a. in Mali und im Tschad interveniert, wird von einem General, Bruno Guibert, befehligt, der beim Völkermord in Rwanda ein Komplize war. Die Militärintervention in Mali und im Tschad ist die größte derzeit laufende Auslandsoperation der französischen Armee mit rund 4000 involvierten Soldaten.
Auch in Mali – ein Fass ohne Boden
Ursprünglich war die französische Militärintervention in Nordmali, die im Januar 2013 unter dem Namen «Opération Serval» begann, als kurzfristige Angelegenheit angekündigt worden. Innerhalb weniger Wochen sollte sie die im Norden Malis sitzenden Jihadisten, die damals drei Regionen in ihrer Gewalt hatten – Tombouctou, Gao und Kidal – vertreiben und dem 2012 akut gewordenen Bürgerkriegskonflikt ein Ende setzen.
Dieses Versprechen ist längst Vergangenheit. Die Jihadisten bewegen sich außerhalb der städtischen Zentren in Nordmali oftmals wie ein Fisch im Wasser, und ihre Selbstdarstellung als vorgebliche Widerständler gegen eine Rückkehr der alten Kolonialmacht dürfte ihnen eher Zulauf beschert denn geschadet haben. Ähnlich wie in Afghanistan ist ein Ende des Konflikts in scheinbar unendliche Ferne gerückt.
Hinzu kommt in jüngster Zeit eine gewisse Internationalisierung des Konflikts: Am 14.August wurde auch im UN-Sicherheitsrat über den instabilen Norden Malis debattiert. Dessen Regierung richtete dabei ein offizielles Hilfsersuchen an die Mitgliedstaaten. Angedacht wurde zunächst auch die Aufstellung einer neuen internationalen Truppe für Mali und insgesamt für die Sahelzone.
Vorläufig bleibt es infolge der Beschlüsse im UN-Sicherheitsrat bei einer Finanzierungshilfe für die regionale Truppe der «G5-Staaten» der Sahelzone (Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad), über deren Aufstellung im Juni ebenfalls im UN-Sicherheitsrat debattiert wurde und die nun die Jihadisten wirksamer bekämpfen soll. Ihre Finanzierung – die Truppe soll voraussichtlich zunächst 423 Millionen Euro kosten – soll ab Dezember 2017 stehen.
Die Vorlage für die G5-Eingreiftruppe hatte Frankreich am 9.Juni in den UN-Sicherheitsrat eingebracht. Ob diese nun Abhilfe zu schaffen vermag oder aber von der örtlichen Bevölkerung eher als Hilfstruppe kolonialer Mächte wahrgenommen wird, bleibt abzuwarten.
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