Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 09/2024

Der Krieg beginnt in den Köpfen
von Angela Klein

»Willst du den Frieden, bereite den Krieg vor.« So denken Imperialisten seit eh und je. Mit dem Ukrainekrieg erfreut sich das Motto auch in der EU wieder größter Beliebtheit. Seither wird auf den militärischen Showdown der NATO mit Russland und China hingearbeitet.

Alle Register werden gezogen: Der Wirtschaftskrieg umfasst Sanktionen, Zollverschärfungen und protektionistische Maßnahmen aller Art; der Informations- und Propagandakrieg vernebelt die Köpfe und lässt das Töten im Krieg als etwas Gewöhnliches, ja Notwendiges erscheinen.
Jens Stoltenberg sagte im vergangenen Jahr als NATO-Generalsekretär ganz offen: »In zehn Jahren muss die NATO soweit sein, dass sie gegen Russland Krieg führen kann.« Die Planungen für die Verteidigungshaushalte in Europa gehorchen dieser Vorgabe, allen voran die deutschen: Hochschrauben der Rüstungsausgaben, erst um ein »Sondervermögen« von 100 Mrd. Euro, dann auf 2 Prozent des BIP, Wiedereinführung einer Form von – zunächst »freiwilliger« – Wehrpflicht, Militarisierung der Gesellschaft durch robuste Präsenz der Bundeswehr in der Öffentlichkeit, um sie an den Gedanken des Krieges wieder zu »gewöhnen«. Kriegsminister Pistorius (SPD) will noch schneller sein als Stoltenberg: Schon in fünf Jahren muss seiner Meinung nach die NATO soweit sein, sagte er im Juni. In der ersten Augusthälfte folgte dann der höchstrangige General Großbritanniens: Nein, in drei Jahren. Drei Jahre, das könnte reichen, um die Ukrainer:innen so lange hinzuhalten, bis die NATO eine militärische Eskalation mit Russland nicht mehr zu fürchten brauche.
Der Weg in einen dritten Weltkrieg scheint kürzer, als wir uns es vorstellen können. In einem solchen Krieg wäre Deutschland ein zentraler Kriegsschauplatz: Dafür sorgt allein die geplante Stationierung von erstschlagfähigen Mittelstreckenraketen aus den USA sowie die Lagerung neuer Atombomben ab 2026 – alle geeignet sind, den Krieg nach Russland zu tragen.

Nicht nur am Ostrand Europas wird der Krieg zum neuen Frieden erklärt. Im Nahen Osten fürchten die USA eine Eskalation, aber sie hören nicht auf, Israel mit Waffen für seinen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser aufzurüsten, damit es die US-Herrschaft über die Reichtümer des Nahen Ostens absichert. Und im Südchinesischen Meer haben sie sich still und leise von ihrer früheren Politik verabschiedet, Taiwan als Teil von China anzuerkennen, seit sie in China nicht mehr ihre verlängerte Werkbank, sondern einen wirtschaftlichen und zunehmend auch einen politischen Konkurrenten sehen.
Russland und China sind die neuen Erzfeinde. Viele politische Thinktanks und Medien arbeiten darauf hin, dass die Bevölkerung, vor allem in Europa, dieses Märchen frisst. Deshalb die unerträgliche und entpolitisierende Moralisierung der jeweiligen Kriegsanstrengungen: Es reicht nicht, dass der Feind ein Feind ist, denn mit dem könnte man sich auch arrangieren. Das Böse aber muss man vernichten.

Krieg fängt in den Köpfen an. Der Gehirnwäsche muss daher in allererster Linie entgegengetreten werden. Wer glaubt, dass wir in der Ukraine oder im Nahen Osten »uns selbst« verteidigen (und nicht etwa die politischen und wirtschaftlichen Interessen des atlantischen Kapitals), wer glaubt, der Russe steht morgen vor Berlin, der wird schon jetzt zu den Waffen greifen, um unsere Freiheit nicht erst am Brandenburger Tor, sondern »am Dnjepr oder im Südchinesischen Meer« zu verteidigen. Im vergangenen Jahrhundert waren es deutsche Armeen, die Russland zweimal mit Krieg überzogen haben; und es waren Deutsche und Briten, die Krieg gegen China geführt haben – nicht umgekehrt.
Der russische Überfall auf die Ukraine beweist nicht das Gegenteil. Russland ist zwar nicht weniger imperialistisch als die NATO, aber es hat keine territorialen Ambitionen gegenüber EU-Ländern, seine imperialen Bestrebungen richten sich auf das Gebiet der früheren Sowjetunion. Und es hat nicht den Alleinherrschaftsanspruch, den das US-Kapital hat. Dass der russische Imperialismus der schwächere ist, macht ihn allerdings auch nicht zum Verbündeten der lohnabhängigen Klassen anderer Länder.

Wir brauchen eine Friedensordnung, und die kann es ohne oder gar gegen Russland nicht geben. Aber so wie die Dinge stehen, werden wir sie weder mit von der Leyen noch mit Putin erreichen können. Wir haben keine russische Revolution, die am Horizont aufscheint, und auch keine antikapitalistische Umwälzung in der EU. Wir stehen weitaus schlechter da als vor dem Ersten Weltkrieg, in dessen Fußstapfen wir gerade treten. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als der Militarisierung unserer Gesellschaft mit aller Kraft entgegenzutreten.
Denn eines wissen wir: Ohne dass die Bevölkerung mitmacht, geht es nicht – wenigstens nicht unter den Bedingungen einer, wenn auch formalen, Demokratie. Wenn niemand glaubt, dass Hannibal vor den Toren steht, wenn allen voran die Gewerkschaften es ablehnen, für die Putins und von der Leyens dieser Welt die Aufkündigung des Sozialstaats hinzunehmen, dann wird aus der Sache nichts – zumal dann nicht, wenn dies in mehreren Ländern gleichzeitig geschieht.
Es ist Zeit für eine neue Zimmerwalder Konferenz.

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1 Kommentar
  • 18.11.2024 um 20:51 Uhr, Herausgeber sagt:

    Friedensfreunde für Friedhofsruhe?
    von Erhard Weinholz

    Zur Orientierung der sozialistischen Linken in Russlands Krieg gegen die Ukraine. Eine Entgegnung auf Angela Klein, „Heraus zum Antikriegstag“

    Seit langem schon scheint das Weltgeschehen die sozialistische Linke hierzulande stärker zu spalten als das Geschehen im Inland, es spaltet, warum auch immer, selbst jene Linke, die in Opposition zum sog. real existierenden Sozialismus stand und sich dabei in ihrer freiheitlichen und demokratischen Orientierung grundsätzlich einig war (und ist). Derzeit ist es vor allem der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der innerlinke Konflikte bewirkt; charakteristisch für die in der SoZ vorherrschende Position, für das aus meiner Sicht Problematische daran ist wohl Angela Kleins unlängst erschienener Text „Heraus zum Antikriegstag“.

    Der 1. September, auf den sich der Titel bezieht, liegt schon eine Weile zurück, der Beitrag hat aber über den Anlass hinaus Bedeutung – als Versuch, vom Ukraine-Krieg ausgehend politische und militärische Absichten der USA und der anderen NATO-Staaten sowie des Putin-Regimes darzustellen. Die Interessen und Absichten der Ukraine spielen in diesem Aufsatz dagegen keine Rolle, wie überhaupt manches in dem Zusammenhang Wichtige hier keine Rolle spielt. Anderes wiederum, das sich nur vermuten lässt und mir obendrein kaum plausibel zu sein scheint, kommt gleichsam als erwiesene Tatsache einher. Das Fehlende sei längst gesagt, auch könne man in einem Text dieses Umfangs nicht alles beweisen oder belegen? Es gibt Dinge, die man nicht oft genug sagen kann, und begründen kann man auch kurz und knapp.

    Wenn man über den Ukraine-Krieg spricht, wäre ja zunächst zu klären, an welch einem Verhältnis zum bürgerlich-demokratischen Westen Putin und sein Umfeld überhaupt interessiert sind. Ich denke, sie brauchen ihn als Gegner; erst dann hat es zum Beispiel Sinn, eine Organisation wie Memorial, die sie als Gefährdung ihrer Herrschaft empfinden, als Agenten eben dieses Westens hinzustellen, da er sie unterstützt. Dass der Westen ein ähnlich herrschaftsstabilisierendes Interesse an einem Konflikt mit Russland hat, kann ich dagegen nicht erkennen.

    Dieser grundlegende Umstand wird im Text aber nicht erwähnt, es heißt lediglich, Putin (im Text: Russland) habe keine territorialen Ambitionen gegenüber EU-Ländern, richte seine imperialen Bestrebungen … auf das Gebiet der früheren Sowjetunion. Also keine Angst: Der bellt nur, beißt nicht … solange wir artig sind. Allerdings waren auch drei EU-Staaten einst Teil der Sowjetunion, schon daher ist die Argumentation nicht stimmig. Zudem richtet sich imperiales Streben heute weniger auf Eroberung als auf Hegemonie: Eroberung verlangt Krieg, und Kriege lohnen nur selten noch, ökonomisch wie politisch. Im Sinne solcher imperialen Hegemonie hat Medwejew letztes Jahr auch erklärt, Ziel sei es, vom Atlantik bis Wladiwostok eine Friedensordnung unter Russlands Vorherrschaft zu errichten.

    Alles nur leeres Gerede? Da haben sich schon manche kräftig geirrt: Putin wird nie und nimmer … alles nur bürgerliche Propaganda … Man sollte grundsätzlich nichts ausschließen, wenn es um die Absichten einer demokratie- und freiheitsfeindlichen Macht wie dieser geht. Sie als das Böse hinzustellen reicht zwar nicht, dennoch muss man fragen: Was ist von Leuten zu halten, die den NATO-Staaten immer wieder mit der Atombombe drohen, die andere wissen lassen, von ihnen würde, wenn man richtig zuschlägt, nur ein nasser Fleck bleiben usw.? Auch dazu im Text kein Wort.

    Umso mehr gilt das Augenmerk den angeblichen Zielen der NATO: Das Bündnis, so lese ich, arbeite auf den militärischen Showdown mit Russland und China hin. Ich staune, wie genau die Autorin mit den Kriegsplänen in Ost und West vertraut ist … Ich dagegen kann nicht erkennen, dass die NATO Russland und China erobern oder zumindest militärisch in die Knie zwingen könnte, glaube auch kaum, dass die zuständigen Politiker so realitätsblind sind, dies zu verkennen, und bezweifele zudem, dass sie dergleichen überhaupt wollen.

    Es ist schon sonderbar: Putins Regime, dessen Geschichte eine einzige Kette von Verbrechen ist, werden nur sehr begrenzte böse Absichten unterstellt, den NATO-Staaten aber geradezu größenwahnsinnige, obwohl sie sich um des lieben Friedens willen und wohl mehr noch in der Hoffnung auf geschäftliche Vorteile in der Region meines Erachtens sehr zurückhaltend betätigt haben.

    Überhaupt haben die USA, wie es aussieht, das kostspielige Amt des Weltpolizisten aufgegeben.
    Und was hat das alles mit uns selbst zu tun? Wir würden in der Ukraine, so lese ich in dem bewussten Text, die politischen und wirtschaftlichen Interessen des atlantischen Kapitals verteidigen. Ist der bürgerliche Staat also nur Gehilfe der Kapitalreproduktion und sonst gar nichts? Wer v. d. Leyen und Putin in einem Atemzug nennt, dem stellt sich das anscheinend so dar. Für meine Begriffe dagegen hebt sich die bürgerliche Demokratie bis jetzt noch einigermaßen positiv von Putins Neozarismus ab.

    An der Demonstration vom 3. Oktober, von der Paul Michel berichtet, habe ich mich nicht beteiligt, weil mir von Anfang an klar war, dass sich da in der Hauptsache jene versammeln würden, die für ein Ende der Kämpfe (als Frieden würde ich es nicht bezeichnen) die Kapitulation der Ukraine in Kauf nehmen bzw. sogar anstreben. Die Art, wie man mit Stegner umgegangen ist, als er von ihrem Recht auf Selbstverteidigung sprach, hat mich in dieser Meinung bestätigt. Ob ihr diese Selbstverteidigung tatsächlich hilft, ihre Interessen zu wahren, ist nicht garantiert. Garantiert ist aber, dass sie ohne die Militärhilfe des Westens in der Hinsicht chancenlos wäre.

    Den russischen Angriff abzulehnen, solche Opferhilfe aber ebenfalls, ist vielleicht bei der politisch-ideologischen Selbstvergewisserung von Nutzen, dem Überlebenskampf der Ukraine hilft es nicht. Die Ukrainearbeit der SoZ, die ich ja auch finanziell unterstützt habe, ist zwar höchst lobenswert, bietet jedoch in dieser Hinsicht keinen Ersatz.

    Es gibt hier eine Grundschwierigkeit, die ich in der SoZ nicht reflektiert finde und an dieser Stelle auch nur benennen, nicht weiter analysieren will: dass es im Konflikt bürgerlicher Demokratien mit aggressiven Autokratien oder Diktaturen keine problemlose sozialistische Position zu geben scheint. Denn die Sonderinteressen des Kapitals und das (hoffentlich allgemeine) Interesse an Demokratie lassen sich im Fall solcher Konflikte zwar auf dem Papier strikt voneinander trennen, nicht aber in der Praxis. Das war schon zu Zeiten der Antihitlerkoalition so und ist heute nicht anders.


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