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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2024

Den Weg aus dem Chaos finden
von Klaus Meier

Die Deutsche Bahn, einst Aushängeschild für gute Infrastruktur, ist zum Sanierungsfall geworden. Das Schienennetz ist in einem so schlechten Zustand, dass es an vielen Stellen buchstäblich auseinanderfällt, und die Pünktlichkeitsstatistik gleicht einer Horrorbilanz. Fast die Hälfte aller Züge kommt zu spät, viele Verbindungen fallen ganz aus.

Der Bundesrechnungshof bezeichnete die deutsche Schieneninfrastruktur in einem Bericht 2023 als »überaltert« und attestierte der Bahn einen dramatischen Sanierungsstau. Angesichts dieser Dramatik will die Deutsche Bahn bis 2031 eine »Generalsanierung« von 41 Hochleistungskorridoren durchführen. Für die Bahnkunden dürften die geplanten Baumaßnahmen allerdings zu einer Zeit der Prüfung werden. Anders als in der Vergangenheit werden ganze Strecken monatelang komplett gesperrt.
Begonnen hat das Großprojekt mit der Sperrung der 70 Kilometer langen Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim, einer der wichtigsten Verbindungen im deutschen Schienennetz. Täglich fahren hier 300 Züge, darunter jeder siebte ICE. In den kommenden Jahren werden fast alle wichtigen Verbindungen betroffen sein. Für die Fahrgäste bedeutet das Ersatzverkehr mit überfüllten Bussen auf ohnehin verstopften Straßen, Millionen von Reisenden sind betroffen.

Zu wenig Mittel für das Schienennetz
Der Sanierungsbedarf bei der Deutschen Bahn ist immens. Allein für die Modernisierung des Schienennetzes schätzt das Unternehmen die Kosten auf rund 92 Milliarden Euro. Die Hälfte davon müsste bis 2030 investiert werden. Die Bundesregierung hat aber nur 27 Milliarden Euro bereitgestellt. Für dieses und nächstes Jahr sind die Baumaßnahmen noch durchfinanziert, aber ab 2026 klafft eine große Lücke. Spätestens ab 2028 könnte die Sanierung der Bahn komplett zum Erliegen kommen, weil keine Mittel mehr zur Verfügung gestellt werden.
Über der Bahnsanierung schwebt die dunkle Wolke der Bundestagswahl im nächsten Jahr. Ein Kanzler Merz könnte geneigt sein, die DB weiter verkommen zu lassen. So jedenfalls lassen sich seine Äußerungen im ARD-Sommerinterview interpretieren. Er sagte: »Die Bahn muss ihr Angebot reduzieren, damit das reduzierte Angebot wieder zuverlässig erbracht werden kann. Die Bahn ist überfordert und überfordert sich im Moment selbst.«
Als Antwort auf den jahrelangen Sanierungsstau und die Unterfinanzierung der Bahn soll sie also weiter kaputtgespart werden. Der CDU-Vorsitzende, der selbst mit einem eine Million teuren Privatjet unterwegs ist, hat offensichtlich kein Gespür dafür, dass viele Menschen gerade in ländlichen Regionen und im Umland von Ballungszentren auf die Bahn angewiesen sind.

Digitalisierung
Ein weiterer Schwachpunkt der Deutschen Bahn ist die Einführung digitaler Technologien. Ein wichtiges System ist das European Train Control System (ETCS). Es ermöglicht, die Position eines Zuges im Netz mit Hilfe von Sensoren, Kameras und digitalen Funksystemen zu überwachen. Das bringt erhebliche Vorteile: Die Züge können dichter hintereinander fahren, sodass auf den Strecken mehr Platz für mehr Züge ist. Die Zugkapazität steigt dadurch um bis zu 35 Prozent.
Im heutigen System ist das anders. Dort darf auf einem Streckenabschnitt zwischen zwei Signalen immer nur ein Zug fahren. Das macht sich bei Verspätungen und damit einer dichteren Zugfolge für die Fahrgäste bemerkbar. Der Zug muss dann ständig anhalten, um die starre Regel einzuhalten.
Es liegt auf der Hand, dass die Netzkapazität durch die Digitalisierung deutlich erhöht werden kann. Doch im Vergleich zu den Nachbarländern hinkt Deutschland bei der Einführung weit hinterher. Insbesondere Volker Wissing, der neben dem Verkehr ausgerechnet auch für die Digitalisierung zuständig ist, verschleppt alle Maßnahmen. Die Kosten von 69 Milliarden Euro für die Digitalisierung der Bahn sind ihm offensichtlich zu hoch. Es ist nicht zuletzt die Schuldenbremse in den Köpfen der bürgerlichen Politiker, die auch den Ausbau der Schieneninfrastruktur bremst.

Netzausbau: Ein Muss für die Zukunft
Selbst wenn es gelingen sollte, die notwendigen Mittel für die Sanierung der Schienenwege bereitzustellen, würde dies nur den Status quo der Bahn sichern. Angesichts der globalen Klima- und Umweltkatastrophe ist aber weit mehr erforderlich. Die Bahn muss so modernisiert werden, dass ein nennenswerter Teil der Bevölkerung auf das Auto verzichten kann. Dazu müssen die Zahl der Bahnen und die Schieneninfrastruktur gegenüber heute deutlich ausgebaut werden. Dies ergibt sich allein schon daraus, dass sowohl die Zahl der Fahrgäste als auch der Güterverkehr in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben.
Relativ einfach wäre es, stillgelegte, aber noch nicht entwidmete Strecken wieder in Betrieb zu nehmen. Die Allianz pro Schiene hat errechnet, dass kurzfristig Strecken mit einer Länge von 4573 Kilometern reaktiviert werden könnten. Damit wären 332 Klein- und Mittelstädte mit rund 3,4 Millionen Einwohnern wieder ans Netz angeschlossen. Die Kosten lägen bei rund 23 Milliarden Euro, ein bescheidener Betrag mit großer Wirkung. Das wäre ein Anfang auf dem Weg zu einem umfassenden Ausbau des Schienennetzes.

Scheibchenweise Privatisierung
Neben den Themen Sanierung und Ausbau der Bahn gibt es eine Diskussion darüber, wie die Struktur der Deutschen Bahn zukunftsfähig gemacht werden kann. Die CDU hat mit ihrem Vorschlag, die Bereiche Netz, Stationen und Energie aus dem Konzern herauszulösen, einen Stein ins Rollen gebracht. Ziel der Union ist es, diese Infrastruktureinheiten in eine bundeseigene GmbH zu überführen und gleichzeitig das Netz für private Bahnunternehmen zu öffnen.
Dieses Konzept unter dem Titel »Trennung von Netz und Betrieb« ist nichts anderes als ein neuer, gut verpackter Versuch, die Bahn scheibchenweise zu privatisieren. Die DB als marktbeherrschendes Unternehmen würde ausgeschaltet und das Netz für private Investoren geöffnet. Die Infrastruktur soll natürlich weiterhin vom Staat bezahlt werden, aber in abgespeckter Form, wie Friedrich Merz in seinem Sommerinterview erklärte. Übrig bleiben sollen vor allem die lukrativen Strecken, auf denen die Privaten Gewinne machen können.
Dahinter steckt wieder einmal eine alte Strategie des Kapitalismus: Der Staat soll die Last der Infrastrukturkosten tragen, während sich private Unternehmen die profitablen Rosinen aus dem Kuchen picken können.

Die britische Katastrophe: ein Warnsignal
Um die Debatte richtig einordnen zu können, lohnt ein Blick nach Großbritannien, das den Weg der Trennung von »Netz und Betrieb« bereits vor 30 Jahren gegangen ist – mit verheerenden Folgen. Damals privatisierte die konservative Regierung unter John Major das britische Eisenbahnsystem. Es wurde viel versprochen, aber heute ist die britische Eisenbahn in einem noch desolateren Zustand als die Deutsche Bahn.
Die Infrastruktur wurde massiv vernachlässigt, während gleichzeitig die Fahrpreise explodierten. Zugausfälle sind an der Tagesordnung und die Verspätungen übersteigen sogar das, was deutsche Bahnreisende gewohnt sind. Gleichzeitig haben die privaten Betreiber massive Gewinne eingefahren.
Der Wettbewerb der privaten Bahnkonzerne hat zu einem ineffizienten Flickenteppich von Anbietern geführt. Es gibt keinen einheitlichen Fahrplan mehr, was die Fahrgäste mit längeren Fahrzeiten und verpassten Anschlüssen bezahlen mussen.
Unter dem Druck der Gewerkschaften und zahlreicher Basisbewegungen hat die neu gewählte Labour-Regierung im September 2024 ein Gesetz verabschiedet, das die Wiederverstaatlichung der Bahn einleiten soll. Damit werden Bahnbetrieb und Netzentwicklung wieder in einer Hand liegen.
Was heißt das für Deutschland? Die CDU stellt ihren Vorschlag als Fortschritt dar, in Wirklichkeit öffnet sie der Privatisierung und Zersplitterung der deutschen Bahnlandschaft Tür und Tor.
Die Erfahrungen in Großbritannien zeigen, dass die Trennung von Netz und Betrieb nicht nur ineffizient ist, sondern auch zu massiven Preissteigerungen und Qualitätseinbußen führt. Wenn private Unternehmen nur die profitablen Fernverkehrsstrecken bedienen, während der Staat die unrentablen und teuren Infrastrukturkosten trägt, bleibt die Rechnung am Ende an den Steuerzahlenden hängen.

Vergesellschaftung
Die Deutsche Bahn muss dringend reformiert werden, keine Frage. Doch statt Netz und Betrieb zu trennen, sollten Schritte in Richtung Demokratisierung und mehr öffentliche Kontrolle gegangen werden. Notwendig ist eine Vergesellschaftung, die weit über eine klassische Verstaatlichung hinausgeht. Bisher kann der bürgerliche Parteienfilz immer eine Mehrheit von Vertretern in den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn entsenden. Diese Ja-Sager-Riege hat die jahrzehntelange Unterfinanzierung und den Verfall der Bahn stets mitgetragen. Eine Vergesellschaftung würde dagegen bedeuten, dass nicht mehr der Parteienfilz das Sagen hat. Sondern dass die Mehrheit der Vertreter im obersten Kontrollgremium der Bahn von Gewerkschaften, Fahrgast- und Umweltverbänden bestimmt wird.

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