von Angela Klein
Die IV.Internationale hält aus gutem Grund das Recht der Völker auf Selbstbestimmung sehr hoch: es ist die Grundlage für jeden antiimperialistischen Kampf. Was Recht auf Selbstbestimmung im einzelnen bedeutet, unterliegt freilich dem jeweiligen Klasseninteresse und auch der geschichtlichen Entwicklung.
I.
Die Forderung nach Selbstbestimmung der Völker ist verbunden mit den Kämpfen für die nationale Einheit im 19.Jahrhundert. Es ist eine liberale Forderung, die von der Arbeiterklasse unterstützt wurde. Als solche ist sie klassenunspezifisch: Sie sagt nichts darüber aus, was im Namen der Selbstbestimmung, ist sie einmal errungen, geschehen soll.
Wie alle liberalen Forderung hört das Recht auf Selbstbestimmung eines Volkes dort auf, wo das eines anderen Volkes anfängt. Es beinhaltet also z.B. nicht das Recht, ein anderes Volk gegen seinen Willen in einen Krieg hineinzuziehen.
Ihre letzte Blütezeit erlebte die Forderung in der Phase der Entkolonialisierung in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts. Seitdem hat imperialistische Herrschaft in den meisten Fällen (eine Ausnahme bildet u.a. Palästina) politisch eine indirekte Form angenommen; am unmittelbarsten äußert sie sich in der Schuldknechtschaft der großen Mehrzahl der Länder des globalen Südens.
Die Bedeutung des Rechts auf Selbstbestimmung hat sich mithin verschoben: Zu Lenins Zeiten war mit damit das Recht auf einen eigenen Staat gemeint, einen Nationalstaat. Das war gleichbedeutend mit der Befreiung von der Tributpflicht gegenüber einer fremden Nation wie auch mit dem Recht auf eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung.
Die politische Unabhängigkeit sollte herausführen aus feudaler Rückständigkeit und ihren Abhängigkeiten. Sie war ein Schritt auf dem Weg des historischen Fortschritts, der nicht übersprungen werden konnte. Ob die inneren Verhältnisse nach der Unabhängigkeit bürgerlich-kapitalistische oder nicht-bürgerliche waren, war zweitrangig.
Bekanntlich standen Lenin und Trotzki mit dieser Position in der bolschewistischen Partei auf ziemlich einsamem Posten. Ihre Umsetzung stieß sich in der Ukraine hart an der Realität des Bürgerkriegs, d.h. des internationalen Klassenkampfs. So wollte selbst Lenin der Ukraine keine außen- und militärpolitische Eigenständigkeit zugestehen.
Heute herrscht das Kapital auf der ganzen Welt. Sein imperiales Interesse ist nicht mehr, Eigenstaatlichkeit zu verhindern, sondern eher, den Zerfall rivalisierender Staaten zu fördern, um sie wirtschaftlich abhängiger und somit leichter beherrschbar zu machen.
Auch in der Ukraine stellt sich heute nicht die Frage nach dem eigenen Staat. Die Ukraine ist ein eigener Nationalstaat mit allem, was dazu gehört. Ein Nationbuilding im Sinne des Kampfs um die nationale Unabhängigkeit ist nicht mehr erforderlich. Darum kann es also im gegenwärtigen Krieg nicht gehen. Der Kampf der Ukraine gegen Russland ist kein antikolonialer Kampf.
II.
Bekanntlich hat Lenin scharf unterschieden, wer die Forderung nach Selbstbestimmung erhebt, ob sie aus einem imperialistischen oder aus einem vom Imperialismus unterdrückten Land kommt. Er bestand darauf, dass die Arbeiterklasse im imperialistischen Land unbedingt für das Recht der unterdrückten Nation auf Lostrennung eintreten müsse, und gleichzeitig darauf, dass die Arbeiterklasse des unterdrückten Landes unbedingt einen internationalistischen Standpunkt beziehen – also die Zusammenarbeit mit der Arbeiterklasse des imperialistischen Landes suchen müsse.
Belege dafür gibt es zur Genüge. So schreibt Lenin 1916:
"Die Sozialisten der unterdrückten Nationen [müssen] auf der vollständigen und bedingungslosen, auch organisatorischen Einheit der Arbeiter der unterdrückenden Nation besonders bestehen und sie ins Leben rufen. Ohne dies ist es unmöglich, auf der selbständigen Politik des Proletariats sowie auf seiner Klassensolidarität mit dem Proletariat der anderen Länder … zu bestehen."
Was war der Sinn dessen? Beidesmal war es derselbe universalistische Ansatz und dasselbe Ziel: alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die der internationalen Einheit der Arbeiterklasse im Wege stehen können. Der Fokus war stets auf die Internationale gerichtet.
In der Ukraine ist heute ein solcher Ansatz so gut wie nicht zu finden. Linke ukrainisch-russische Zusammenarbeit ist, neben propagandistischer Zusammenarbeit, meist Solidaritätserklärung russischer Antikriegsaktivist:innen mit der Bevölkerung der Ukraine. Umgekehrt ist ein Bemühen, gegen den chauvinistischen antirussischen Strom in der Ukraine anzuschwimmen, kaum festzustellen.
III. Der Charakter des Krieges
Mit dem Verweis auf das Recht auf Selbstbestimmung wird in der aktuellen Debatte über den Krieg in der Ukraine das (mehr oder weniger direkte) Eingreifen der westlichen imperialistischen Regierungen auf der Seite der ukrainischen Regierung von Linken gutheißen. Die Regierungen werden aufgefordert, ihre Waffenlieferungen zu verstärken, manchmal wird ihnen sogar Verrat vorgeworfen, weil sie Langstreckenwaffen zurückhalten, aus Angst, selbst Opfer russischer Angriffe zu werden. Das Argument ist einfach: Die Ukraine wurde angegriffen, also hat sie ein Recht sich zu verteidigen – mit allen Mitteln. Mit allen Mitteln?
Bei Marx haben wir gelernt, dass der Charakter eines Krieges sich nicht danach bestimmt, wer angegriffen hat, sondern nach dem Charakter der Regime, die ihn führen, und ihren Intentionen. Im Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland ist der Fall klar: Russland ist eine imperialistische Macht, die Ukraine nicht; Russland verbindet mit dem Überfall auf die Ukraine das zweifache Ziel, sein Reich möglichst weitgehend wieder in die Grenzen der alten Sowjetunion zurückzuführen und eine Pufferzone zur NATO zu schaffen; die gegenwärtige ukrainische Regierung will das Land enger an die EU und an die NATO binden und sich aus dem ehemals sowjetischen Einflussbereich lösen.
Ginge es nur um das Verhältnis zwischen diesen beiden Ländern, wären unsere Sympathien ungeteilt auf der Seite der Ukraine.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte ist, dass die NATO-Staaten mit eigenen Interessen an diesem Krieg beteiligt sind, weshalb er nicht mehr ein reiner Verteidigungskrieg der Ukraine gegen Russland, sondern ein imperialistischer Krieg ist, der von Seiten der NATO mit dem erklärten Ziel geführt wird, „Russland soweit zu schwächen, dass es nicht mehr auf die Beine kommt“. Es geht da nicht um den Schutz und das Wohl der ukrainischen Bevölkerung, im Gegenteil: Der gleichzeitige Abbau demokratischer und sozialer Rechte ist ein deutlicher Beweis dafür, dass es der NATO und den USA darum geht, die Ukraine vollständig in den eigenen Einflussbereich zu zerren und ihre Rohstoffe und ihre qualifizierte Arbeitskraft auszubeuten.
Das ist ein klassisches imperialistisches Ziel. In einem imperialistischen Krieg aber sind wir Defätisten.
Die Konstellation ist nicht neu: Als in beiden Weltkriegen Deutschland das gegen die Übermacht wehrlose Belgien überfallen hat, wurde dies von der imperialistischen Propagandamaschine der Entente sogleich genutzt, um ihre Bevölkerungen auf die Zustimmung für ihr Kriegstreiben einzuschwören. Lenin fand damals bittere Worte für diesen Schwindel:
„Angenommen, alle an der Einhaltung der internationalen Verträge interessierten Staaten hätten Deutschland den Krieg erklärt mit der Forderung, Belgien zu räumen und zu entschädigen. In diesem Fall wäre die Sympathie der Sozialisten natürlich auf Seiten der Feinde Deutschlands. Aber der Haken ist gerade der, daß der ‚Drei(bzw. Vier)verband’ den Krieg nicht um Belgiens willen führt; das ist aller Welt bekannt, und nur Heuchler suchen es zu vertuschen.“
Man mag einwenden, dass auch Belgien ein imperialistisches Land war (und ist). Ja. Aber Belgien hatte seine Neutralität erklärt und die war von den Großmächten garantiert worden. Das war auch nach damaligen Maßstäben ein Bruch der Konventionen.
Der imperialistische Charakter des Ukrainekriegs wird auch noch an anderer Stelle deutlich: nämlich daran, dass die Ukraine aus eigener Kraft heraus nicht in der Lage ist, den Krieg gegen Russland zu gewinnen. Im Krieg entscheiden die Waffen. Selensky mangelt es schmerzlich an Waffen und an Soldaten. Er ist schon lange nicht mehr sein eigener Kriegsherr und abhängig von Washingtons Gnaden. Über den Ausgang des Krieges wird nicht in Kiew entscheiden, so sehr westliche Propagandisten diesen Eindruck aufrechtzuerhalten wünschen.
Diese imperialistische Dimension mindert ganz und gar nicht das Recht der Ukraine, sich gegen die russische Aggression zu wehren. Sie besagt nur, dass Linke in der Solidarität mit der Ukraine nicht den westlichen Imperialismus anrufen können, ohne damit dessen eigene Interessen zu unterstützen. Sie kann dessen militärischen Aktionen nicht unterstützen. Sie kann sich nicht in eine wie auch immer geartete Gemeinschaft mit ihm begeben. Sie kann Solidarität nur auf der Basis einer völligen Klassenunabhängigkeit leisten. Und da sie nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft und unter eigenem Kommando militärische Hilfe zu organisieren, muss sie sich auf humanitäre Hilfe mit Gewerkschaften und sozialen Bewegungen beschränken.
Das ist ein gänzlich anderer Standpunkt als der von Teilen der Friedensbewegung, die, weil sie in Russland immer noch die alte Sowjetunion sieht oder mindestens einen schwächeren Imperialismus, den es gegen den stärkeren zu verteidigen gelte, eine rein geopolitische Argumentation bemüht, in der die Lage und die Interessen der ukrainischen Arbeiterklasse keine Rolle spielen. Das ist ebensowenig eine internationalistische Haltung wie der militärische Schulterschluss mit der NATO.
IV.
Was heißt das für das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine?
Dreierlei Ebenen sind berührt. Zum einen heißt das:
- wir erkennen an, dass die Linke nicht in der Lage ist, militärisch etwas in die Waagschale zu werfen. Wenn wir dazu aber nicht in der Lage sind, dürfen wir auch keine solche Propaganda machen, denn die mündet immer in der Anrufung derer, die unser Feind sind – und auch der Feind des ukrainischen Volkes;
- wir formulieren somit auch keine Kriegsziele für die Ukraine. Darüber hat allein die ukrainische Bevölkerung zu entscheiden. Wir fordern allerdings, dass dabei den Minderheiten im Land die gleichen Entscheidungsrechte zugebilligt werden wie der Mehrheitsbevölkerung. Wir stellen uns nicht weniger gegen den ukrainischen Nationalismus wie gegen den großrussischen Chauvinismus;
- wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand, weil nicht erkennbar ist, dass die Ukraine in absehbarer Zeit die russischen Truppen aus dem Land vertreiben kann; unter diesen Bedingungen die Kriegshandlungen aufrechtzuerhalten, schwächt die Ukraine täglich mehr, als dass sie sie stärkt.
Die ukrainische Bevölkerung hat ein Interesse daran, dass die Kampfhandlungen so schnell wie möglich aufhören: Sie zahlt in jeder Beziehung die Zeche, während die Besserverdienenden sich dem Kriegsdienst entziehen und eine aufstrebende Mittelklasse den Krieg zu nutzen versucht, um sich der Oligarchenherrschaft zu entledigen (sie nennen es: „das sowjetische Modell loswerden“; oder: “eine rechtsstaatliche Ordnung herbeiführen“) und selber an die Fleischtöpfe zu kommen.
So findet mitten im Krieg der neoliberale Umbau der Ukraine und ihr Zuschnitt auf EU-Normen statt. Das lässt klar erkennen, was der innenpolitische Zweck des Krieges ist und warum die ukrainische Arbeiterklasse damit nichts am Hut haben kann. Es ist nicht ihr Krieg. Und anders als in anderen nationalen Befreiungskriegen verbessert das Bündnis mit der Mittelklasse ihre Lebensbedingungen nicht, es verschlechtert sie.
V.
Das berührt die zweite Ebene in diesem sog. nationalen Befreiungskrieg, die innere nationale Einheit.
Eingangs wurde ausgeführt, weshalb Lenin der nationalen Unabhängigkeit auch unter bürgerlicher Führung den Vortritt vor einer sozialistischen Umwälzung einräumte. Nun ist, wie gesagt, die Ukraine ein voll ausgebildeter Nationalstaat. Freilich wird er angegriffen – wobei das Ausmaß der angestrebten russischen Besetzung des Landes keineswegs feststeht. Es hängt im Gegenteil in höchstem Maße von Zugeständnissen ab wie der Aufnahme der Ukraine in die NATO, der Stationierung von NATO-Truppen auf ukrainischem Boden usw. Diese sind aber mit den Regierungen der NATO-Staaten auszuhandeln, nicht mit der ukrainischen Regierung, was nochmals den interimperialistischen Charakter des Krieges unterstreicht.
Die Tatsache, dass die Ukraine angegriffen wird und sich verteidigen muss, macht ihren Kampf noch nicht zu einem nationalen Befreiungskrieg. Es ist ein konventioneller Krieg zwischen zwei bürgerlichen Staaten, dem alle Merkmale eines Volkskriegs fehlen. Zu Anfang hat es diese noch gegeben, auch linke Versuche einer Bildung selbständiger militärischer Einheiten. Das Militär hat jedoch sehr schnell die Kontrolle darüber wiedererlangt, die Verhängung des Kriegsrechts hat kritische Meinungen unterdrückt und die „Reform“ des Arbeitsrechts, die Privatisierungen und die anhaltende Korruption haben ihr übriges getan, die Bevölkerung diesem Krieg zu entfremden. Die wachsende Zahl von Deserteuren ist ein Ausdruck davon.
Natürlich „wünscht“ sich die ukrainische Bevölkerung die Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität in den Grenzen von 1991. Das reicht aber nicht, um den Krieg zu „ihrem“ Krieg zu machen – wobei in Rechnung zu stellen ist, dass die Unterstützung für Selenskys Kriegführung je nach Landesteil unterschiedlich ausgeprägt ist.
Das hat auch mit dem schwach ausgeprägten inneren Zusammenhalt der ukrainischen Nation zu tun.
Man kann den Krieg in der Ukraine verstehen als den Versuch, diesen mangelhaften Zusammenhalt durch „Blut und Eisen“ zu kompensieren, ihn auf dem Weg des Krieges erst zu schaffen.
Wer immer in der Ukraine sich dafür die deutsche Reichsgründung zum Vorbild genommen hat, hat seine Lage jedoch deutlich missverstanden. Bismarck führte Eroberungskriege, keine Verteidigungskriege, wenn er sie auch als solche ideologisch verbrämte. Und er brauchte dafür keine Unterstützung einer militärischen Großmacht, im Gegenteil: er attackierte Großmächte wie Österreich oder Frankreich.
Die Ukraine war in der letzte Phase der Sowjetunion deren industriell und kulturell entwickeltster Teil. Ihr Absturz nach ihrem Ende als sowjetischer Staat war bedeutend stärker als der in Russland, ihre staatlichen Institutionen deutlich schwächer und die Neuorientierung der nunmehr entstehenden Oligarchen nach verschiedensten Richtungen ausgerichtet. Eine innere nationale Einheit konnte so nicht zustande kommen, zumal die Ukraine keine solche Tradition hat. Es hätte eines gemeinsamen Aufbauprojekts bedurft, nicht des Auseinanderfallens in tausend private Raubzüge, um eine solche Einheit zu schaffen. Ein Krieg, der die bestraft, die den Kopf für ihn hinhalten, und letztlich in der Schuldknechtschaft mündet, kann und wird eine solche Einheit nie herstellen.
VI.
Es spielt noch eine dritte Ebene mit hinein, die in der Debatte etwas vernachlässigt wird, weil sie zum wiederholten Mal zur Auseinandersetzung mit der Sowjetunion zwingt: das ist der postsowjetische Charakter der Ukraine und die spezifische Belastung, die er für die Linke in Europa bedeutet.
Im größeren Teil der nachsowjetischen Ukraine hat sich – befeuert durch die orangen Revolutionen und durch den russischen Angriffskrieg erst recht – ein starker Wille entwickelt, sich dem liberalen Kapitalismus anzuschließen. Viele verstehen unter dem Recht auf Selbstbestimmung im Grunde den Anschluss an die EU (schon’ weniger an die NATO).
Das ist nun ebenfalls nichts Neues: Die mittel-osteuropäischen Staaten haben das um 1990/91 herum ebenso getan. Der Unterschied ist, dass in Polen, Tschechien, Ungarn usw. damals nur westliche ausländische Mächte hineinregiert haben, während Russland sich völlig raushielt. Die „Wende“ verlief also unblutig. Auch hierbei konnte die Linke im Westen nur zusehen. Wir waren natürlich gegen ihren Beitritt zur NATO und zur EU. Aber wir konnten das nicht verhindern – es war ihre mehrheitliche Entscheidung, und es war der Preis, den die Linke dafür zu zahlen hatte, dass das Erbe der Oktoberrevolution so schändlich vertan worden war.
Diesen Preis bezahlen wir immer noch, und es ist notwendig, die Entwicklungen in der Ukraine unter diesem Gesichtspunkt zu sehen.
Das Recht auf Selbstbestimmung schließt das Recht mit ein, über die eigene außenpolitische Orientierung zu entscheiden. Wenn eine Vertreterin von BeLikeNina also am Ende der Ukraine-Veranstaltung in Berlin im Juni 2024 sagt: „Wir wissen, wo wir hingehören“, dann raubt uns das den Atem, aber wir haben es zu respektieren und können auch verstehen, dass ihnen die westliche Lebensweise mehr zusagt.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass die damit verbundenen Hoffnungen wohl bitter enttäuscht werden – und dass wir das sagen müssen. Das hat nichts mit Belehrung zu tun – es reicht, auf die Erfahrungen hinzuweisen, z.B. in Ostdeutschland. Damit geraten wir aber in einen Abstand zu ihnen, den zu überbrücken es mindestens einer Generation bedarf. Unsere Ausgangspunkte sind schlicht grundverschieden: Wir wollen aus dem liberalen Kapitalismus raus, sie wollen hinein. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied der Position, den man auch mit schönen Worten nicht verkleistern kann. Wir haben das erlebt mit der PDS, später Die Linke: Dass sie so rechts geworden ist, hängt wesentlich damit zusammen.
Das heißt, es bleibt in Europa eine Ost-West-Spaltung der Linken, die sich jetzt wieder in der Frage der Haltung zum Ukrainekrieg manifestiert. Diese Spaltung lässt sich nicht voluntaristisch überwinden; vielmehr müssen wir versuchen, Brücken zu schlagen im Bewusstsein, dass diese Spaltung vorhanden ist.
VII.
Recht auf Selbstbestimmung beinhaltet heute deutlich mehr als nur die staatliche Unabhängigkeit. Es muss den neuen Methoden imperialistischer Dominanz Rechnung tragen und die Schuldenfrage in den Mittelpunkt stellen. Nationale Selbstbestimmung ist ohne Demokratie und Freiheit von kolonialer Ausbeutung nicht möglich.
Was also ist internationalistische Pflicht in so einem Fall?
- die Kräfte in der Ukraine zu stärken, die sich der neoliberalen Zurichtung widersetzen – durch gewerkschaftliche Zusammenarbeit, humanitäre Hilfe und eine Kampagne für die Schuldenstreichung;
- gemeinsam reale Aufbau- und Zukunftsperspektiven im europäischen Rahmen von unten zu entwickeln;
- die Aufrüstung der NATO und ihre Kriegstreiberei zu bekämpfen.
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