Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2025

Die Auseinandersetzung um den §218 geht weiter
von Laura Roth

Nach wie vor ist die reproduktive Selbstbestimmung von Frauen ein umkämpftes Terrain. Der Vormarsch von rechten Strömungen und die Zunahme von immer mehr rechten oder gar rechtsextremen Regierungen führen zu verstärkten Angriffen auf das Recht von Frauen, über ihren Körper, ihre Sexualität und ihr Leben insgesamt frei entscheiden zu können.

Beim derzeitigen Rechtsruck kommt den Themen Geschlecht und Geschlechterrollen eine besondere Bedeutung zu. Zugrunde liegt die Auffassung von einer biologischen Zweigeschlechtlichkeit und von naturgegebenen Unterschieden sowie einer hierarchischen Ungleichheit zwischen Frauen und Männern. Abweichungen hiervon gelten als »unnatürlich« und werden nicht toleriert.
Reaktionäre Auffassungen über Geschlecht und Geschlechterrollen haben das Potenzial, ein gemeinsamer Nenner für antiemanzipatorische und antidemokratische Projekte zu sein, die ansonsten zunächst nicht viel gemeinsam haben – z.B. neofaschistische und christlich-fundamentalistische Strömungen. Die Gefahr besteht, dass dies bis ins konservative Lager hinein reicht und extrem rechte Kräfte salonfähig macht.
Deutschland gehört beim Schwangerschaftsabbruch im europäischen Vergleich zu den Ländern mit den restriktiveren Regelungen. Er ist im berühmten §218 des Strafgesetzbuchs geregelt. Dieser besagt, dass ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich illegal ist, aber unter bestimmten Bedingungen ohne Strafverfolgung bleibt.
Dennoch bleibt er eine Straftat und stigmatisiert und kriminalisiert Patientinnen und die beteiligten Ärzt:innen. Das hat Auswirkungen auf die Versorgungslage. Denn obwohl nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz die Länder ein ausreichendes Angebot an ambulanten und stationären Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherstellen müssen, ist die Versorgung damit in Teilen Deutschlands sehr schlecht.
Gerade in einigen ländlichen Gebieten in Süd- und Westdeutschland gibt es gar keine Möglichkeit für eine Abtreibung. Andernorts erreichen Ärzt:innen, die Abtreibungen anbieten, das Rentenalter und für Nachfolger:innen ist es wenig attraktiv, Schwangerschaftsabbrüche in ihr Leistungsspektrum aufzunehmen, da ihnen z.B. verwehrt wird, für diesen Zweck im Belegverfahren OP-Säle anzumieten. Oder sie werden von Abtreibungsgegner:innen angefeindet und öffentlich diffamiert.

Die ELSA-Studie
Die ELSA-Studie, die sich ganz aktuell mit Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer und den Angeboten der Beratung und Versorgung beschäftigt, bestätigt dies. Unter dem Titel »Ungewollte Schwangerschaften in Deutschland: viele Barrieren, kritische Hilfen« zeigt sie auf, was Fachleute aus Kliniken und Beratungsstellen schon lange feststellen: Frauen, die ungewollt schwanger wurden und sich für einen Abbruch entschieden haben, stehen vor großen Schwierigkeiten. Schon allein die Beschaffung von Informationen darüber, welcher Arzt bzw. welche Ärztin in der näheren Umgebung einen Abbruch vornimmt und mit welcher Methode, ist schwierig.
Erst seit 2019 gibt es endlich eine bundesweite Liste von Praxen auf der Seite der Bundesärztekammer. Auch wenn die Aufnahme auf die Liste freiwillig ist und sie daher keine Vollständigkeit garantieren kann, ist bereits die Existenz dieser Liste eine Verbesserung! In einigen Bundesländern (z.B. in Bayern) war es bis zu dem Zeitpunkt nicht erlaubt, offiziell eine solche Liste zu veröffentlichen. Ungewollt Schwangere kamen nur mühsam an Praxisadressen.
Eine weitere Hürde für einen Schwangerschaftsabbruch ist, einen zeitnahen Termin zu bekommen. Aufgrund der gesetzlichen Zwölf-Wochen-Frist ist dies jedoch unabdingbar. In einigen ländlichen Gegenden muss ein Fahrtweg von über 100 Kilometer in Kauf genommen werden. Gerade für Frauen, die nur über wenig Geld verfügen oder die, aus welchem Grund auch immer, nicht offen gegenüber ihrem Partner oder ihrer Familie über einen Abbruch sprechen möchten, bedeutet eine mehrstündige Anreise und Rückreise eine nicht zu verantwortende Belastung.
Die Elsa-Studie zeigt auch: Ein Schwangerschaftsabbruch hat keinen längerfristigen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden der betroffenen Frau. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Anti-Choice-Bewegung existiert kein Post-Abortion-Syndrom, also kein erhöhtes Risiko, später deshalb an einer Depression oder Angststörung zu erkranken. Als belastend werden vielmehr die Hürden und die Stigmatisierung rund um den Abbruch empfunden. Dieses Ergebnis stimmt mit anderen internationalen Studien überein.
Darüber hinaus zeigt die Studie, dass es heutzutage eine breite Zustimmung zur Forderung gibt, den §218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Sogar 75 Prozent der befragten Ärztinnen und Ärzte, die keine Abtreibung durchführen, befürworten die Streichung des §218. Insgesamt scheint es in Deutschland inzwischen eine Mehrheit für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu geben.

Auf halbem Weg steckengeblieben: die Ampel
Die Ampelregierung hat 2022 den §219a, das sog. Werbeverbot, abgeschafft und ein Belästigungsverbot in das Schwangerschaftskonfliktgesetz aufgenommen. Beide Gesetzesänderungen sind echte Verbesserungen. Der §219a hat es Ärzt:innen erschwert darüber zu informieren, dass zu ihrem Leistungskatalog auch Schwangerschaftsabbrüche gehören. Wenn sie dennoch die Information auf ihre Homepage stellten, konnte es passieren, dass sie von Aktivist:innen der Anti-Choice-Bewegung gezielt mit Klagen überzogen wurden.
Mit dem Belästigungsverbot und der Einrichtung einer besonderen Schutzzone vor Praxen und Beratungsstellen wurde endlich die sog. Gehsteigbelästigung verboten und dem Umstand Rechnung getragen, dass Frauen sich mit einer ungewollten Schwangerschaft immer in einer besonders belastenden Situation befinden.
Leider gelang es der Ampelregierung nicht mehr, den §218 zu reformieren und aus dem Strafgesetzbuch zu nehmen. Zwar gibt es die Empfehlung einer extra eingesetzten Expert:innenkommission, Schwangerschaftsabbrüche in der frühen Phase zu legalisieren. Eine Chance ist damit verpasst, denn eine CDU-geführte Regierung wird hier keine Reformen befürworten.
Im Gegenteil, die Aussagen so mancher Partei lassen darauf schließen, dass auch in Deutschland – wie in Polen, den USA und Ungarn – versucht werden wird, es Frauen wieder so schwer wie möglich zu machen, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. Wer es sich nicht leisten kann, viel Geld für einen Abbruch, zum Beispiel im Ausland, zu bezahlen, wird gezwungen sein, die Gesundheit oder gar das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.
Ärzt:innen und Aktivist:innen von vor 1976, als der §218 noch nicht straffrei war, erinnern sich noch persönlich an die tragischen Schicksale von Frauen nach verpfuschten Abtreibungen. Die jüngeren unter uns sind erschüttert über neuere Berichte von Frauen, die wegen eines kompletten Abtreibungsverbots lebensgefährlichne Schwangerschaften ausgesetzt waren odernicht überlebensfähige Kinder austragen mussten.
Der Einsatz für den legalen und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen ist daher entscheidend für die Selbstbestimmung von Frauen. Die Forderung »Weg mit §218 – My Body, my Choice« ist angesichts der Angriffe von rechts auf Frauenrechte wichtiger denn je!

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Folgende HTML-Tags sind erlaubt:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>



Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.


Kommentare als RSS Feed abonnieren