Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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Adam Weglowski

Polen hatte nicht nur zur Zeit der Volksrepublik und unter der PiS-Regierung Schwierigkeiten, einen sorgfältigen und ehrlichen Umgang mit seiner Geschichte zu pflegen. Auch heute noch – nicht nur in Polen – wird der Beitrag der polnischen Armee unter General Berling, die an der Seite der Roten Armee gegen die Truppen des nationalsozialistischen Deutschlands kämpfte, häufig ignoriert oder kleingeredet. Dabei hätte ihr Einsatz den gleichen Respekt verdient wie andere Kapitel des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. (d. Red.)

Im Folgenden dokumentieren wir den vollständigen Artikel von Adam Weglowski, Journalist und Buchautor. Er war Chefredakteur der Zeitschrift Focus Historia und war an historischen Recherchen und Untersuchungen beteiligt. Artikel von ihm erschienen u. a. in Przekroj, Ciekawostki historyczne und Tygodnik Powszechny. Zudem ist er Autor mehrerer Krimis und historischer Sachbücher. (d. Red.)

Polnische Soldaten – nicht vorgesehen im Gedenken

Im Mai jährt sich zum 80. Mal die Einnahme Berlins – auch durch polnische Soldaten. Doch während viele andere Kapitel der Kriegs- und Befreiungsgeschichte erinnert und gewürdigt werden, spielt die Rolle der polnischen Truppen unter sowjetischem Oberkommando kaum eine Rolle. Woran liegt das? Gilt ihr Einsatz bis heute als politisch belastet, weil sie Teil der polnischen „Volksarmee“ waren – also jener Formation, die in der Nachkriegszeit mit dem Aufbau des Kommunismus in Verbindung gebracht wird? Und erinnert sich im Westen überhaupt noch jemand an die Beteiligung Polens an der Berliner Operation?

Das polnische Parlament hat kürzlich festgelegt, wer 2025 offiziell als Schirmherrinnen und Schirmherren des Jahres gewürdigt werden soll – aus Anlass besonderer Verdienste oder runder Jahrestage. Auf der Liste stehen unter anderem Olga Boznanska, Maria Pawlikowska-Jasnorzewska, Franciszek Duszenko, Wojciech Jerzy Has, Wladyslaw Reymont, Antoni Slonimski, Kazimierz Sosnkowski, Pater Józef Tischner und Stefan Zeromski – sowie die ersten Könige Polens und die in Katyn, Charkiw und Miednoje ermordeten Soldaten.

Die polnischen Soldaten, die 1945 mit der Roten Armee in Berlin einmarschierten, fehlen. Offenbar hält man es politisch nicht für vertretbar, im selben Jahr sowohl die Opfer Stalins als auch diejenigen zu würdigen, die unter sowjetischem Kommando kämpften.

Dabei dient der Tag der Flagge, der jedes Jahr am 2. Mai begangen wird, der Erinnerung an die polnischen Soldaten, die an diesem Tag 1945 die rot-weiße Fahne auf der Berliner Siegessäule hissten.

Ist das nicht eine widersprüchliche Erinnerungspolitik?

Warum haftet den Soldaten der polnischen „Volksarmee“ bis heute ein Hauch von Entwertung an – nur weil sie an der Ostfront kämpften?

Die anderen Eroberer von Berlin

Piotr Korczynski, Militärhistoriker, Autor und stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift Polska Zbrojna. Historia. antwortet:

Nach 1989 wurde fast jedem, der in der polnischen Volksarmee diente, pauschal das Etikett angehängt, am Aufbau des Kommunismus in Polen mitgewirkt zu haben. Gleichzeitig feiern wir am 2. Mai den Tag der Flagge – zur Erinnerung an eben jene Soldaten der ‚verfluchten‘ Ersten Polnischen Armee, die 1945 die rot-weiße Fahne im eroberten Berlin hissten. Das ist doch eine absurde, fast schizophrene Situation. Auch die Zweite Polnische Armee wird kaum differenziert wahrgenommen – meist nur durch das negative Bild ihres berüchtigten Kommandeurs General Swierczewski. Dabei wird selten gefragt, unter welchen Bedingungen junge Männer und Frauen kämpften, von denen viele im Kessel von Bautzen ihr Leben ließen.

Dominik Czapigo, langjähriger Dokumentarfilmer und Redakteur bei der Stiftung KARTA-Zentrum, stellt fest:

Viele dieser Soldaten standen vor der schwierigen Entscheidung, an der Seite einer Macht zu kämpfen, die sie eigentlich als Feind betrachteten. Sie wussten oft genau, dass es keinen Ausweg gab.

Ein Blick in ihre Biographien zeigt, wie komplex die Realität war: Einige dieser Männer waren polnische Zivilisten, die unter Stalin ins Exil verschleppt worden waren und nicht in die Exilarmee von General Anders aufgenommen wurden. Andere – darunter auch ehemalige Partisanen – wurden eingezogen, als die Rote Armee durch Ostpolen vorrückte. Und es gab natürlich auch idealistische Kommunisten sowie sowjetische Offiziere, die in der polnischen Armee dienten.

Wer darf Held sein – und wer nicht?

Piotr Korczynski meint:

Natürlich dürfen die Verbrechen des kommunistischen Regimes in Polen nicht verschwiegen werden – und ja, einige Angehörige der polnischen Streitkräfte waren persönlich daran beteiligt. Aber zugleich waren viele Soldaten der Ersten und Zweiten Polnischen Armee selbst Opfer dieses Systems – genauso wie die Kämpfer des Unabhängigkeitsuntergrunds oder jene, die aus den westlichen Streitkräften nach Polen zurückkehrten. Das Blut dieser Männer in ‚besseres‘ und ‚schlechteres‘ zu unterteilen, die blutigen Schlachten, an denen polnische Soldaten beteiligt waren – von Lenino über Prag, die pommersche Mauer, Kolobrzeg, die Oder und Bautzen bis hin zur Einnahme Berlins – einfach totzuschweigen, ist nicht nur historisch falsch, sondern – ich scheue mich nicht, dieses Wort zu verwenden – einfach nur gemein.

Diese Tausenden Soldaten pauschal als „Installateure des Kommunismus“ abzustempeln, ist unzulässig. Ihre persönlichen Überzeugungen waren oft ganz andere.

Zwischen Front und Verrat – Iwan Serow über die Berling-Soldaten

Der berüchtigte NKWD-General Iwan Serow, mitverantwortlich für das Massaker von Katyn, schrieb im April 1945 an seinen Vorgesetzten Lavrentiy Beria über die politische Stimmung innerhalb der polnischen Berling-Armee. In seinem Bericht heißt es, unter den Soldaten und Offizieren der Ersten Polnischen Armee, die im Verband der Ersten Weißrussischen Front kämpfte, herrsche eine „ungesunde Stimmung“ – insbesondere im Hinblick auf ein mögliches Zusammentreffen mit der Anders-Armee.

Weiterhin zitierte Serow Äußerungen polnischer Soldaten, wie:

Auf der anderen Seite Berlins marschieren die Engländer – und mit ihnen die Anders-Armee. Wenn wir aufeinandertreffen, werden viele unserer Gefreiten und Offiziere zu Anders überlaufen. Die Sowjetmacht hat uns in Sibirien genug leiden lassen.

Gut, dass die polnische Armee bald auf die Anders-Armee trifft. Sie werden gemeinsam kämpfen und unsere sogenannte demokratische Regierung stürzen, die das Volk in den Hungertod treibt.

Wenn der Krieg in Deutschland vorbei ist, werden wir weiterkämpfen – gegen Russland.

Sie drängen uns ihre ‚Demokratie‘ auf. Aber sobald wir uns mit der Anders-Armee zusammenschließen (…) übernimmt die Londoner Exilregierung die Macht. Und Polen wird wieder so sein wie vor 1939. England und Amerika werden uns helfen, die Russen zu vertreiben.

In Reaktion auf diese Äußerungen empfahl Serow die Verhaftung all jener Berling-Soldaten, die sich offen mit der Anders-Armee solidarisieren oder die provisorische (moskautreue) Regierung kritisieren wollten. Zudem sollten die Radios in den Einheiten beschlagnahmt werden, um den Empfang von Nachrichten aus London zu unterbinden. Doch so sehr Serow auch bemüht war – es gelang ihm nicht, die Unzufriedenheit vollständig auszulöschen. Er konnte sie nur zum Schweigen bringen.

Ein Tropfen auf den heißen Stein?

An der Berliner Operation vom 16. April bis 2. Mai 1945 nahmen rund 165.000 polnische Soldaten teil. Im Vergleich zu den mehr als zwei Millionen sowjetischen Rotarmisten scheint das ein Tropfen auf den heißen Stein gewesen zu sein. Doch für die Polen war es ein brutaler Endkampf – sie erlebten nicht nur die erbitterten Gefechte gegen die Wehrmacht, sondern auch die ganze Härte von Stalins Krieg: Racheaktionen, Vergewaltigungen, entfesselte Gewalt – und manche wurden selbst zu Beteiligten.

Andrzej Rey, ein früherer Soldat der Heimatarmee, der zur polnischen „Volksarmee“ eingezogen wurde, erinnerte sich rückblickend:

Die Opfer dieser Grausamkeiten – und manchmal auch die Täter – waren oft nichtdeutsche Zivilisten: Zwangsarbeiter aus ganz Europa, die ins Reich verschleppt worden waren, und befreite Kriegsgefangene unterschiedlichster Nationalitäten. Ich erinnere mich an eine Begegnung mit französischen Kriegsgefangenen aus einem Stalag – wir ertappten sie beim Plündern und Vergewaltigen.
Bis heute bereue ich, dass ich sie entgegen der Befehle einfach davonkommen ließ (…). Als ich in der Nacht durch das Villenviertel zurück zu meinem Quartier ging, hörte ich plötzlich eine Frau auf Polnisch um Hilfe rufen. Ich sprang durch ein eingeschlagenes Fenster und fand mich in einem Zimmer wieder, in dem ein Mädchen in zerrissener Kleidung verzweifelt gegen einen sowjetischen Soldaten ankämpfte. Als der Kerl mich sah, griff er nach seiner Pepescha. Ohne zu zögern leerte ich mein ganzes Parabellum-Magazin in ihn – wie auf einen tollwütigen Hund.
Das Quartier meines Zuges war nicht weit entfernt. Zur Sicherheit nahm ich zwei Männer mit, wir eskortierten das völlig verstörte Mädchen zu einem polnischen Konvoi, der gerade abfuhr. Ich drückte ihr ein paar Goldmünzen in die Hand – Beute, die meine unverbesserlichen Kameraden in den Trümmern von Kolobrzeg gesammelt und mir für den Notfall gegeben hatten. Auf dem Weg erzählte sie mir, dass sie an der Untergrund-Universität in Warschau Medizin studiert hatte und nach der Niederschlagung des Aufstands zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert worden war.
In dieser Nacht konnte ich trotz der Erschöpfung lange nicht schlafen – trotz des weichen Teppichs, auf dem ich lag. In Gedanken ging ich noch einmal alles durch, was ich hier erlebt und zum Teil auch selbst mitgetragen hatte.

(Quelle: Dominik Czapigo, Berlingowcy. Zolnierze tragiczni)

13.000 Polen auf den Straßen Berlins

Etwa 13.000 polnische Soldaten nahmen an den Straßenkämpfen im Berliner Stadtzentrum teil – eine Beteiligung, die damals als Ehre galt. Im Vergleich zu den über zwei Millionen sowjetischen Soldaten erscheint das wenig, doch die polnischen Einheiten waren keineswegs bloß Staffage.

Korczynski betont:

Es mag so wirken, als seien die beiden polnischen Armeen – formal so genannt, tatsächlich aber eher Korpsgröße – im sowjetischen Frontsystem unbedeutend gewesen. Manche behaupten, ihre Teilnahme an der Berliner Operation sei nach Stalins Willen vor allem propagandistisch motiviert gewesen, um die künftige kommunistische Herrschaft in Polen zu legitimieren.
Doch das ist ein Zerrbild. Die 1. Tadeusz-Kosciuszko-Infanteriedivision sowie polnische Artillerie- und Pioniereinheiten spielten eine militärisch zentrale Rolle bei der Eroberung der Reichshauptstadt.
Den Sowjets fehlte in Berlin die Infanterie – Füsiliere zum Schutz ihrer Panzer. Es gibt keinen schlimmeren Albtraum für Panzerbesatzungen als Häuserkampf ohne Infanteriedeckung. Allein im Stadtzentrum brannten die Deutschen etwa 200 sowjetische Panzer nieder. Auch bei der Artillerieunterstützung waren die Polen unverzichtbar – und ihre Pioniere bauten unter Beschuss Übergänge über die vielen Kanäle.

Lech Tryuk, Soldat und früherer Warschauer Aufständischer, der mit seiner Einheit in Berlin kämpfte, erinnert sich:

Ich bekam mit meiner Gruppe von zwanzig polnischen Soldaten zwei sowjetische Panzer zugewiesen – wir sollten sie in der Bismarckstraße sichern. Doch der eigentliche Vorstoß erfolgte aus einer Seitenstraße, denn die Bismarckstraße war schwer befestigt. In den Häusern waren Bunker eingebaut (…). Die Goethestraße war weniger stark verteidigt und führte direkt in Richtung Reichstag.
Es gab keine Barrikaden, aber die Häuser links und rechts waren voller Hitlerjugendlicher mit Panzerfäusten. Sie zerstörten aus dem Untergrund heraus etliche sowjetische Panzer (…). Wenn ich auf der einen Seite [der Straße] vorrückte, passte ich auf, ob nicht irgendwo ein Deutscher auftauchte und schoss. Die Kameraden auf der anderen Seite hielten Wache. Wir bewegten uns zügig.
Wir durchbrachen den deutschen Widerstand ohne größere Probleme. In den Häusern, wo sich die Deutschen besonders verbissen wehrten, setzten sowjetische Trupps Flammenwerfer ein. Das war, sagten viele, die Vergeltung für das Warschauer Ghetto. Wie damals die Juden wie brennende Fackeln aus den Fenstern sprangen, so sah man nun auch Deutsche herausspringen. Wir wussten, der Krieg war vorbei. Und doch spielten sie weiter ihre Machtspiele, Raum für Raum. Die Sowjets warfen einfach Granaten hinein, und ein fünf- oder sechsstöckiges Haus brannte wie Zunder – und die Deutschen bruzelten darin (…). Ich stand da und starrte voller Genugtuung. Als ehemaliger Aufständischer kochte es in mir hoch.
Bei der Totenmesse für General Komornicki habe ich als Kamerad und Freund eine Rede gehalten und gesagt, dass ich es auf dem Gewissen habe, froh zu sein, die Deutschen brennen zu sehen. Was sie uns angetan hatten, das bekamen sie nun zurück. Der Priester hat mich freigesprochen.

(Quelle: Kaja Kazmierska, Jaroslaw Palka, Zolnierze ludowego Wojska Polskiego. Historie mówione.)

Manche mögen sich an dieser Erinnerung stoßen. Aber das ist Krieg – und das ist die Wahrheit darüber, wie Krieg Menschen verändert, welche Entscheidungen er ihnen abverlangt. Zum Vergleich: Auch die ersten polnischen Könige – die derzeit mit viel Pomp als Schutzheilige des Jahres 2025 gefeiert werden – waren keine Heiligen.

Die polnische Flagge auf der Siegessäule

Ein starkes Symbol für die polnische Beteiligung an der Eroberung Berlins war das Hissen der polnischen Flagge auf der Berliner Siegessäule.
Der mittlerweile verstorbene Hauptmann Antoni Jablonski, einer der Männer, die damals die rot-weiße Fahne hissten, erzählte mir im Jahr 2010, wie es dazu kam:

Wir waren zu fünft an der Siegessäule – außer mir noch Oberleutnant Nikolai Troicki, Zugfeldwebel Kazimierz Otap und die Kanoniere Eugeniusz Mierzejewski und Aleksander Kasprowicz – [Anm. d. Verf.].
Ich diente bei der Artillerie, genauer gesagt im Funktrupp, und war für die Feuerleitung zuständig. Beim ersten Vorstoß in Richtung Siegessäule schlugen noch deutsche Granaten ein – es war zwei Uhr nachts, im Mai, stockdunkel. Wir drangen tief in deutsche Stellungen vor. Dann sahen wir einen Turm. Unser Kommandeur, Oberleutnant Troicki, sagte: ‚Jungs, das ist die Siegessäule. Die wurde damals, um 1870 [1873; Anm. d. Verf.], gebaut, als Wilhelm gegen Frankreich gewann.‘ Wir gingen hinein. Auf den Stufen lagen deutsche Feldtelefonkabel – offenbar war das ein Beobachtungspunkt. Wir kappten die Leitungen und versteckten uns. Die Treppe war eng gewunden und aus Eisen, aber niemand kam herunter, um nachzusehen, warum die Verbindung unterbrochen war. Troicki hieß uns die Maschinengewehre bereitzuhalten und wir stiegen mit jeweils zehn Metern Abstand nach oben. Ganz oben sahen wir nur einen Telefonapparat – und die Statue eines Engels, etwa drei Meter hoch, errichtet als Symbol des Sieges.
Wir gingen zunächst wieder hinunter, um uns offiziell zu melden. Doch die Kämpfe gingen noch weiter, deutsche Granaten schlugen ein. Erst später kam der Kommandant zu uns und sagte: ‚Jungs, die Deutschen kapitulieren bereits.‘ Da beschlossen wir, die Fahne zu hissen. In der Funkstation hatten wir ein großes Laken – rot und weiß, drei auf drei Meter –, das wir sonst ausbreiteten, damit unsere eigenen Flugzeuge uns nicht bombardieren. Wir fällten einen Baum im Park neben der Säule und nähten das Laken mit dem deutschen Telefonkabel fest, das wir zuvor gekappt hatten. Zu fünft kletterten wir auf die Säule, bis hinauf zur Statue. Und an der Hand des Engels befestigten wir das rot-weiße Laken.

Bemerkenswert ist, dass die polnischen Behörden die symbolträchtige Aktion an der Siegessäule zunächst überhaupt nicht öffentlich machten. Antoni Jablonski erzählte weiter:

Unter Rokossowski [Marshall der UdSSR, 1949 zum Marschall von Polen ernannt; Anm. d. Verf.] war es im Hauptquartier jahrelang still darüber, dass wir diese Aktion durchgeführt hatten. Dabei wusste das Kommando Bescheid – wir hatten es gemeldet. Aber gesprochen wurde nur über die Fahnen, die die Russen gehisst hatten.

Erst in den 1960er Jahren wurden Jablonski und seine Kameraden durch die Zeitung Panorama des Nordens überhaupt als die Männer identifiziert, die die rot-weiße Flagge auf der Siegessäule angebracht hatten. Es ist also falsch zu glauben, die sogenannten Berling-Männer seien in der Volksrepublik Polen bedingungslos auf ein Podest gestellt und sofort zu Helden stilisiert worden. Ihre Sichtbarkeit hing – wie so oft – vom politischen Klima, den Beziehungen zu Moskau und den jeweils aktuellen propagandistischen Bedürfnissen ab.

Die Berling-Soldaten wurden in der Volksrepublik Polen gezielt für die militärische Propaganda eingesetzt – etwa durch Patenschaften, Veteranentreffen, museale Inszenierungen usw., beschreibt der Historiker Dr. Tomasz Leszkowicz in seinem Buch über die Volksarmee Polens als Institution der historischen Erinnerungspolitik.

Ein zentrales Element dieser militärischen Erinnerung waren Ausstellungen von Waffen und Ausrüstungsgegenständen, wie sie von Einheiten der polnischen Volksarmee im Krieg verwendet worden waren. Leszkowicz schreibt:

Neben persönlichen Erinnerungsstücken, die Veteranen zur Verfügung stellten, waren typische Exponate: Mosin-Nagant-Gewehre, Simonow- und Tokarjew-Automatikgewehre, Pepeschas, Diegtiarjow-Handmaschinengewehre mit Rundmagazin, TT-Pistolen, Nagant-Revolver, Panzerabwehrkanonen, Granaten sowie schwere Maxim-Maschinengewehre auf Rädern und das DSzK-Modell 192.
Auch Mörser und leichte 45-mm-Panzerabwehrkanonen fehlten nicht – ebenso wenig wie Messgeräte, Fernmeldeausrüstung und Artilleriemunition. Alles stammte aus sowjetischer Produktion (…).
Dies verstärkte das Bild eines Krieges, der vor allem an der Ostfront geführt wurde und eine eigene Symbolik trug – etwa das klassische Motiv des Rotarmisten mit Pepescha.
In den Ausstellungen der Kosciuszko-Einheiten fanden sich übrigens ebenso gerne dekorativ eingesetzte Sensenköpfe – eine bewusste Anknüpfung an traditionelle polnische Freiheitsmotive.

Polnischer Soldat und deutscher Antifaschist

In Polen wurde an Schulen und in der Armee über die Beteiligung polnischer Soldaten an der Schlacht um Berlin gesprochen. Im Westen hingegen – außerhalb geschichtswissenschaftlicher Kreise – ist kaum bekannt, dass Polen aktiv an der Eroberung der Hauptstadt des Dritten Reiches beteiligt war. Auch international wird dieses Thema kaum aufgegriffen – insbesondere nicht im Rahmen der polnischen Geschichtspolitik nach 1989, in der der Fokus auf der Aufarbeitung der „weißen Flecken“ und der Entlarvung kommunistischer Propaganda lag.

Doch wer glaubt, dass in der Volksrepublik Polen problemlos an den Kampf der polnischen Soldaten in Berlin erinnert wurde, irrt – zumindest wenn man die unterschiedlichen geschichtspolitischen Interessen der polnischen und ostdeutschen Führung berücksichtigt.

Dr. Rafal Zytyniec hat diese Spannungen in zwei Beiträgen ausführlich untersucht. Aus seinen Untersuchungen geht hervor, dass ein zentrales Beispiel für die divergierenden politischen Absichten der langwierige Bau eines Denkmals im Berliner Bezirk Friedrichshain war, das 1972 schließlich eingeweiht wurde. Es trug den Namen: „Denkmal für den polnischen Soldaten und den deutschen Antifaschisten“. Die polnische Seite wollte den militärischen Beitrag polnischer Soldaten hervorheben, die DDR hingegen die Existenz und Bedeutung einer deutschen antifaschistischen Bewegung betonen. Beide Perspektiven mussten in einem gemeinsamen Symbol vereint werden.

Zytyniec beschreibt:

Der ursprüngliche Entwurf des Bildhauers Arnd Wittig zeigte nur zwei Figuren: einen polnischen Soldaten und einen deutschen Antifaschisten. Erst im Juni 1971 ergänzte Wittig seine Skizze um eine dritte Figur – einen sowjetischen Soldaten (…). Durch die zusätzliche Darstellung eines Rotarmisten passte sich das Denkmal der offiziellen Erinnerungshierarchie der DDR an.

Der Rotarmist symbolisierte jene übergeordnete Kraft, unter der Polen und Deutsche offenbar nur gemeinsam handeln konnten.

Zur Einweihung sagte der Ministerpräsident der DDR:

Mit diesem Denkmal ehren wir zugleich die deutschen Kommunisten und Antifaschisten, die sich dem Nazifaschismus und seinem imperialistischen Annexionskrieg mutig entgegengestellt haben. Der heldenhafte Kampf, den polnische Kommunisten und Patrioten gemeinsam mit deutschen Kommunisten und Antifaschisten in der Hölle der faschistischen Gefängnisse und Konzentrationslager führten, wird uns unvergesslich bleiben. Auch dort verband sie die Klassensolidarität, verwurzelt im revolutionären Bündnis des polnischen und deutschen Proletariats.

Das Denkmal diente letztlich vor allem dazu, die antifaschistische Opposition in der DDR rückblickend zu mythologisieren – sie größer erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich war.

Erinnerung mit Verspätung

Nach der Einweihung des Denkmals in Berlin-Friedrichshain versäumten es auch die kommunistischen Schriftsteller und Journalisten nicht, die deutschen Antifaschisten hervorzuheben. Ein Autor schrieb etwa:

In Spandau (…) trafen polnische Soldaten auf deutsche Antifaschisten, die aktiv am Kampf gegen die Nazi-Armee teilgenommen hatten. Ein Deutscher in Zivil, mit einem roten Band am Revers, meldete sich bei einem polnischen Unterleutnant, dessen Einheit auf zurückweichende Nazis schoss – um bei der Identifizierung von Wehrmachtseinheiten zu helfen.

Zytyniec ordnet diese Passage kritisch ein:

Hier wird das klassische Muster der pars pro toto-Argumentation bemüht: Ein einzelner deutscher Antifaschist, eingeführt im Kontext des heldenhaften polnischen Kampfes um Berlin, soll symbolisch für eine breite, aktive Widerstandsbewegung in Deutschland stehen – die es in dieser Form so nicht gab.

Heute erinnern mehrere Gedenkstätten in Berlin und in der Lausitz an den Einsatz polnischer Soldaten. Doch es dauerte lange, bis ein Denkmal ausschließlich den Polen gewidmet wurde, die an der Befreiung Berlins beteiligt waren. Erst im Jahr 2020 wurde ein solches Denkmal an einem authentischen Ort errichtet – in unmittelbarer Nähe der Gebäude der Technischen Universität Berlin, wo im Mai 1945 schwere Kämpfe stattfanden.

Es handelt sich um einen drei Meter hohen Fahnenmast, versehen mit einer Karte der damaligen Gefechte und folgender Inschrift:

In Gedenken an die Soldateninnen und Soldaten der 1. Polnischen Armee, die 1945 als Teil der Anti-Hitler-Koalition an der Schlacht um Berlin teilnahmen und in Charlottenburg und Tiergarten für die Befreiung Polens und Europas vom Faschismus kämpften. Die Gebäude der damaligen Technischen Hochschule, die am 2. Mai 1945 durch die 1. Tadeusz-Kosciuszko-Division befreit wurde, stellten eine der am stärksten umkämpften Stellungen auf dem Weg zur Reichskanzlei dar.

Verlorene Stimmen des Krieges

Die Zeitzeugen dieser Ereignisse werden immer weniger. Piotr Korczynski sagt:

Ich kenne noch persönlich einige, die als Soldaten der 1. und 2. Polnischen Armee an diesen blutigen Kämpfen teilgenommen haben. Einige wenige hoffe ich noch zu erreichen – ich weiß, dass es sie gibt. Doch eine weitaus größere Gruppe ist bereits verstorben. Wir können uns nur noch an sie erinnern – und leider wächst diese Gruppe von Tag zu Tag.
Die Zeit und die Biologie sind unerbittlich. Schon bald werden wir die Geschichte des Zweiten Weltkriegs nur noch aus Büchern und Archiven kennen. Umso schmerzhafter ist es, wenn der Einsatz der polnischen Ostfront-Soldaten ausgelöscht oder in politische Kategorien zerlegt wird.
Die weiß-rote Flagge über Berlin entsprach damals der polnischen Staatsraison so gut es eben ging. Die Trauer der Veteranen darüber, dass ihr Einsatz und ihr Opfer nachträglich totgeschwiegen wurden, ist bei jedem Treffen spürbar gewesen – ganz gleich, ob es sich um Überlebende aus Lagern oder dem Exil handelte, die nicht in die Anders-Armee gelangt sind, oder um Wehrpflichtige, Partisanen oder Freiwillige, die in die polnische Armee eintraten, weil sie vor einer unmöglichen Alternative standen: Sibirien oder Berling-Armee. Viele meldeten sich freiwillig – weil sie in polnischer Uniform gegen die Besatzer kämpfen wollten. Diesen Menschen pauschal eine kollektive Schuld zuzuschreiben, ist eine Ungerechtigkeit, die jenen gleicht, die in den sowjetischen Politbüros über Menschenleben entschieden haben.

Damit wird eine wichtige Frage aufgeworfen: Es ist kaum anzunehmen, dass Wladimir Putin anlässlich des 80. Jahrestags der Berliner Einnahme in die deutsche Hauptstadt eingeladen wird – zu stark ist das Echo der russischen Aggression gegen die Ukraine. Selbst die bloße Erwähnung sowjetischer Soldaten in diesem Zusammenhang dürfte für viele bereits beunruhigend genug sein.

Vergangenheit anerkennen – gemeinsam erinnern

Ist das nicht eine Gelegenheit, der polnischen Erinnerungspolitik neuen Atem zu geben?
Da Polen 1946 bei der berühmten Siegesparade in London nicht vertreten war – wäre es nicht an der Zeit, dass die Regierung sich dafür einsetzt, dass zum diesjährigen 80. Jahrestag des Kriegsendes Veteranen aus allen polnischen Armeeformationen an den Gedenkfeierlichkeiten teilnehmen können – sowohl jene aus der „Volksarmee“ als auch aus den westlichen Verbänden?

Korczynski bestätigt:

Aber natürlich. Wir dürfen dabei nur nicht vergessen, dass es sich um sehr alte und meist schwerkranke Menschen handelt – viele von ihnen sind auf Rollstühle oder Krankenhausbetten angewiesen. Gerade an diesem letzten großen Gedenkjahr, zu dem noch einige Veteranen aller Fronten des Zweiten Weltkriegs zu Lebzeiten kommen können, sollten sie ausnahmslos alle besonders gewürdigt werden. Wir, die wir im Frieden leben, können uns kaum vorstellen, wie entsetzlich ihre Kriegserfahrungen waren. Und möge es so bleiben – für uns und für alle kommenden Generationen.

Der Artikel erschien im Original am 03.05.2025 auf der Webseite von oko.press (https://oko.press/polacy-zdobywcy-berlina-zapomniani).

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