Macht Rot-Grün in NRW eine andere Politik als Schröder-Fischer? Die Frage ist umstritten.
von Dirk Hansen, Manuel Kellner, Birger Scholz*
Bei Diskussionen darüber unter Linken tauchen zwei Extrempositionen auf. Die einen meinen, es habe sich nur die Rhetorik verändert, letztlich seien die Unterschiede zur «Agendapolitik» der Zeit von Gerhard Schröder unbedeutend; andere glauben, den Schwenk zu einer Reformpolitik im positiven Sinne zu erkennen, was auch – unabhängig davon, was zum Thema derzeit verlautbart wird – auf eine rot-grün-rote Zusammenarbeit auf Bundesebene im Jahr 2013 hinauslaufen könnte.
Um das Ergebnis unserer Überlegungen vorwegzunehmen: Wir sehen erste Ansätze einer Akzentverschiebung des Profils und der realen Politik der NRW-SPD – nicht mehr und nicht weniger. Sie entspricht den vorsichtigen rhetorischen Versuchen des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, sich bis zu einem gewissen Grad von der Agendapolitik abzusetzen (ohne wirklich mit ihr zu brechen) und findet ihre Erklärung in der dramatischen wahlpolitischen Erosion der SPD und in der Präsenz der Partei Die LINKE.
Beim Sozialen nachbessern
In der NRW-SPD hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass bei der überlieferten «Kernkompetenz», nämlich dem Sozialen, dringend nachgebessert werden muss. Statt als Partei der Sozialkürzungen möchte man als Partei der Vorsorge wahrgenommen werden. Das ist nicht nur Rhetorik. Die Haushaltspolitik der Regierung Kraft bedeutet im Ansatz eine Abkehr vom Primat der Haushaltskonsolidierung.
Die Einhaltung der sog. «Schuldenbremse», die von allen im Bundestag vertretenen Parteien außer der LINKEN mit Verfassungsrang ausgestattet wurde, rückt unter Ministerpräsidentin Kraft in weite Ferne. Im Jahr 2020 müssen die Bundesländer nach Vorgaben der «Schuldenbremse» strukturell ausgeglichene Haushalte ausweisen. NRW müsste demnach seine Ausgaben ab 2011 jedes Jahr um 500 Millionen Euro kürzen.
Stattdessen hat die Landesregierung die Ausgaben deutlich erhöht. Bereits im Nachtragshaushalt 2010 wurde die Nettoneuverschuldung kräftig angehoben, hauptsächlich deshalb, weil die Regierung vorsorglich einmalige Effekte eingestellt hat – allen voran die üppigen 1,3 Mrd. Euro Risikoabsicherung für die WestLB, die frühestens 2012 anfallen. Zudem erhielten die Kommunen eine Soforthilfe von 300 Mio. Euro und es wurden 1500 neue Stellen für Lehrerinnen und Lehrer geschaffen.
Der im Juli zur Verabschiedung anstehende Haushalt 2011 wird ausweislich der vorab veröffentlichten Eckwerte kein Konsolidierungshaushalt sein. So werden die Ausgaben in den Bereichen Bildung, Soziales und Kommunen um 1,1 Mrd. Euro angehoben, und die Landesregierung plant, die pauschale jährliche Stellenkürzung um 1,5% auszusetzen. Dies überrascht nicht, hat doch die Fraktion DIE LINKE immer betont, dass ein Haushalt mit Personalabbau ein Überschreiten der «Roten Haltelinie» wäre und demnach abgelehnt würde.
Akzentverschiebungen
Während die Schröder-SPD Sozialabbau und Ausgabenkürzungen mit der vermeintlichen Notwendigkeit einer nachhaltigen Haushaltspolitik begründete, dreht Ministerpräsidentin Kraft den Spieß um und deutet Ausgabensteigerungen als präventive Investitionen, die spätere Ausgaben reduzieren würden. Das ist zwar volkswirtschaftlich und auch sozialpolitisch richtig, bewirkt aber keine zukünftige Konsolidierung des Landeshaushalts.
Sichtbar wird diese Akzentverschiebung auch bei der Art der Investitionen: Während zur Entlastung der Kommunalhaushalte empfohlen wird, weniger Wohnfläche bei Hartz-IV-Empfängern anzurechnen, wird massiv in den Ausbau der Betreuung der Unterdreijährigen und in die Kinder- und Jugendpolitik investiert. «Bildung» lautet das Schlüsselwort dieser Politik, die Menschen für den Markt optimal qualifizieren – und sie im Falle eines Scheiterns der Verfolgungsbetreuung der Jobcenter übergeben will.
Diese Inkonsequenz gegenüber einem wirklichen Politikwechsel zeigt sich auch darin, dass die NRW-SPD nicht offensiv eine Verfassungsklage gegen die Schuldenbremse anstrebt. Soweit geht der Mut dann doch noch nicht. Stattdessen verweist die Landesregierung in der Einnahmen- und Haushaltsdebatte auf die ausschließliche Steuerkompetenz des Bundes, unterschlägt aber dabei, dass unter Mitwirkung von SPD und Grünen die Spitzen- und Unternehmenssteuern massiv gesenkt wurden, mit der Folge, dass Landes- und Kommunalhaushalte gefesselt und ausgedünnt wurden.
Der Kurs der SPD in Hessen nach der Ära Ypsilanti verdeutlicht, wie unklar es bleibt, ob die SPD auf Bundesebene wirklich einen – noch so bescheidenen – Schwenk nach links vollziehen wird. So hat die SPD in Hessen der Schuldenbremse aus der Opposition heraus zugestimmt. Für die Bundesebene erscheint es uns daher eher unwahrscheinlich, dass die derzeitige SPD-Politik in NRW verallgemeinert werden könnte.
Keine Reformprojekte mit der LINKEN
Bislang haben die Regierungsparteien in NRW auch keine Neigung gezeigt, fortschrittliche Reformen zusammen mit der LINKEN gegen CDU und FDP durchzusetzen. Zur Forderung, das RWE-Hochspannungsnetz in Landeseigentum zu übernehmen, lassen sie sich auf Expertenanhörungen und Ausschussberatungen ein, auf mehr bislang nicht. In der Bildungspolitik haben SPD und Grüne zwar die Kopfnoten abgeschafft, aber für das gemeinsame Lernen in den ersten sechs Klassen – das war ihr eigenes Wahlkampfversprechen – alles vermieden, was im Parlament hätte verabschiedet und somit mit der LINKEN hätte abgesprochen werden müssen. Stattdessen sollen die Schulen, die das wollen, das «Turbo-Abitur» nach 12 Schuljahren wieder abschaffen dürfen, was von den Schulen nicht angenommen wird, nachdem sie gerade erst mit viel Mühe umgestellt hatten. Wichtiger noch: Die Gemeinschaftsschule wird – anders als im Wahlkampf versprochen – nur als lokale Bedarfsentscheidung eingeführt und tangiert den Fortbestand der Gymnasien nicht.
Für die LINKE scheint uns wichtig, dass sie die reale Akzentverschiebung der SPD-Politik in NRW wahrnimmt und versucht, diese mit konkreten Vorschlägen für eine Politik im Interesse der Beschäftigten, der Erwerbslosen und der lernenden Jugend voranzutreiben. Aber ohne Illusionen: Nichts deutet darauf hin, dass die SPD bereit wäre, dem Kapital etwas Substanzielles wegzunehmen oder – denken wir an die Bundesebene – die Bundeswehr wieder auf ihre grundgesetzlich festgelegte Rolle der Landesverteidigung zurückzuführen.
Die Frage, ob die SPD weiter nach links gedrängt werden kann, entscheidet sich dabei nicht vorrangig in den Landtagen. Wichtiger ist eine Partei DIE LINKE mit aktiven Mitgliedern, die in enger Vernetzung mit den außerparlamentarischen Bewegungen die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse ändert.
Stand: 20.1.2011
Dirk Hansen ist persönlicher Referent von Carolin Butterwegge, MdL der LINKEN;
Manuel Kellner ist persönlicher Referent von Michael Aggelidis, MdL der LINKEN;
Birger Scholz ist Fachreferent für Wirtschaft und Energie der Fraktion der LINKEN.
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