Zu: «Der Verlust des proletarischen Internationalismus. Syrien und deutsche Linke», SoZ 3/2012
von Harald Etzbach
Mein in der SoZ 3/2012 erschienener Artikel zum «Verlust des proletarischen Internationalismus» hat einiges an Reaktionen hervorgerufen, positiv-zustimmende, aber auch – wie nicht anders zu erwarten – ablehnende Kritik. Wenn man einmal dümmliche Denunziationen wie die, ich sei faktisch ein Gesinnungsgenosse des israelischen Geheimdienstes, beiseite lässt (ein «Stil», von dem ich eigentlich gehofft hatte, er habe in der Linken keinen Platz mehr), so bleiben doch einige Stellungnahmen, mit denen eine Auseinandersetzung notwendig erscheint.
Joachim Guilliard, dessen Blog ich in meinem Artikel als Beispiel für jene Richtung der deutschen Linken anführe, die rein geopolitisch argumentiert und dabei mehr oder weniger zwangsläufig an die Seite von Machthabern gerät, deren wesentliche Qualifikation darin besteht, sich irgendwie antiwestlich zu gebärden, hat mir auf der Mailingliste des Koordinationskreises Palästina Israel (KoPI) geantwortet. Seine Hauptsorge sei es, so Guilliard, «dass der Bürgerkrieg weiter angeheizt wird und das Land wie der Libanon vor über 30 Jahren in Chaos und Gewalt versinkt». In ähnlicher Weise habe er bereits zuvor im Falle Libyens und Iraks argumentiert.
Nun gibt es aber einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Fall Irak auf der einen und Libyen und Syrien auf der anderen Seite. War der Einmarsch im Irak 2003 schlicht und ergreifend eine klassische imperialistische Intervention gegen einen unliebsam gewordenen Diktator mit dem Ziel der Kontrolle von Erdölressourcen, so sind die Ereignisse des letzen Jahres in Libyen und Syrien Folgen der Aufstände der Bevölkerung selbst gegen ihre Unterdrücker.
Dass bereits dieser absolut grundlegende Unterschied nicht begriffen wird, zeigt die politisch und analytisch katastrophalen Folgen eines geopolitisch verflachten Denkens in Teilen der Linken und der Friedensbewegung. Niemand, der nicht völlig naiv ist, wird bestreiten, dass es Versuche des Westens, der Türkei, Saudi-Arabiens und der Golfstaaten gibt, die Entwicklungen in Syrien für jeweils eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Aber was heißt dies letztlich? Bedeutet es, dass die Menschen etwa in Syrien aus Angst vor dieser Form der «Enteignung» auf Widerstand und Rebellion von vornherein verzichten sollen? Und ist es dann die Aufgabe ausgerechnet der deutschen Linken und der Friedensbewegung, dies von ihnen zu fordern?
Logik des Kalten Krieges
Wo wird im Übrigen in jenen Kreisen der Friedensbewegung, die heute so kritisch gegenüber der syrischen Aufstandsbewegung sind, die Rolle Russlands (oder auch Chinas oder des Iran) in Syrien mit gleicher Deutlichkeit kritisiert? Wann wurde eine Einstellung der russischen oder der iranischen Waffenlieferungen an das Regime gefordert? Welche eigenen Interessen verfolgt gerade Russland in Syrien, etwa durch die Kontrolle des Mittelmeerhafens Tarus? Oder ist Russland nach Ansicht mancher Friedensbewegter gar kein kapitalistisches Land mit eigenen imperialen Interessen? Repräsentiert Russland vielleicht einen «besseren» Imperialismus, der den «schlechteren» US-Imperialismus «in Schach» hält?
Wenn man das geopolitische Denken in einigen Teilen der Friedensbewegung näher betrachtet, wird schnell klar, wie groß die Anhänglichkeit an die Logik des Kalten Krieges hier immer noch ist.
Von einer emanzipatorischen Linken aber ist anderes zu verlangen, nämlich die Unterstützung jenes «unabhängigen Sektors» (wie es Helmut Weiss im Labournet vor kurzem nannte) der syrischen Opposition, der sich der platten Alternative «Assad oder Imperialismus» verweigert.
Dabei wird man möglicherweise feststellen, dass auch ein größerer Teil dieses unabhängigen Sektors nicht in einer sozialistischen/kommunistischen/marxistischen Tradition steht, an die der oder die langjährig geschulte westliche Linke ohne weiteres anknüpfen könnte. Viele derjenigen, die sich heute z.B. in den lokalen Komitees organisieren, werden schlicht und ergreifend vor allem ihre unmittelbaren eigenen Lebensinteressen verteidigen. Wie könnte es auch anders sein? In Syrien wie in vielen Ländern des Nahen Ostens ist die Linke entweder zerschlagen und ins Exil gedrängt, oder aber vom Regime kooptiert worden (wie etwa die Syrische Kommunistische Partei, die Teil der von der Baath-Partei geführten Progressiven Nationalen Front ist).
Für Anton Holberg, der in der April- und Mai-Ausgabe der SoZ Stellung zur Syrien-Problematik genommen hat, ist nun aber das Fehlen einer revolutionären Partei, die überdies auch noch eine Massenbasis haben soll, Grund genug, Äquidistanz zu beiden Seiten des syrischen Konflikts zu halten. Auch wenn Holberg aus einer andern politischen Tradition zu kommen scheint als die in der Logik des Kalten Kriegs befangene Linke, so läuft sein Argument doch letztlich auf das Gleiche hinaus:
Die Menschen, die in Syrien gegen ein brutales Regime kämpfen, sollen sich bitteschön so verhalten und sich in der Form organisieren, wie wir – die westliche Linke – es für richtig halten – und das dann auch noch ungeachtet der jeweiligen nationalen oder regionalen historischen Entwicklung. Dann, aber auch nur dann, könnten wir über eine Unterstützung nachdenken.
In letzter Konsequenz führt Holbergs Argument allerdings zur Liquidation des Internationalismus überhaupt, denn wo auf dieser Welt gibt es revolutionäre Parteien mit einer Massenbasis? Holberg wird mir zustimmen, dass sich derartige Parteien an den Fingern einer Hand (bestenfalls zweier Hände) abzählen lassen. Notwendig sind andere Dinge: Die konkrete und praktische Solidarität mit den Menschen, die sich in Syrien (und in anderen Ländern) an der Basis organisieren und Widerstand leisten; ihnen zuhören und lernen und ihnen soweit als möglich ein Forum bieten, auch mit unseren bescheidenen Möglichkeiten von Gegenöffentlichkeit. Vor allem aber sollten wir die eigenen Positionen (und durchaus auch Bedenken) in offener und nichtbevormundender Weise formulieren.
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