von Kai Böhne
Das Jahr 1968 im Spitzensport
Walter Ulbricht und Erich Honecker lächelnd und händeschüttelnd mit breitkremprigen Sombreros auf dem Kopf – dieses seltsame Foto stammt aus dem Bildband 1968 im Sport. Die Hüte waren ein Mitbringsel des Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees der DDR, gefeiert wurde das erfolgreiche Abschneiden der DDR-Sportler bei den Olympischen Spielen in Mexiko.
Heute werden verschiedene weltweite Strömungen, die seit Mitte der 60er Jahre gegen überkommene politische, kulturelle und soziale Verhältnisse und Normen protestierten, unter dem Begriff der «68er-Bewegung» zusammengefasst. Bei der Rückschau spielt der vermeintlich unpolitische Sport meist eine untergeordnete Rolle.
Der Hildesheimer Arete Verlag hat mit einem schmalen Bildband einen schlaglichtartigen, kenntnisreichen Blick auf die wenig beachteten Umbrüche im Bereich der Leichtathletikstadien, Sporthallen, Fußballplätze, Rennstrecken und Boxarenen geworfen. Mit symbolträchtigen Fotos und kurzen, prägnanten Texten wird auf sportliche Eckpunkte des Ausnahmejahrs eingegangen.
Die beiden US-amerikanischen 200-Meter-Läufer Tommie Smith und John Carlos demonstrierten im Oktober bei der olympischen Siegerehrung für die Black-Power-Bewegung. In langen schwarzen Strümpfen und hochgezogenen Trainingshosen standen sie auf dem Siegertreppchen, blickten starr nach unten und reckten ihre Faust, die in einem schwarzen Handschuh steckte, gen Himmel. Für ihren Protest wurden sie suspendiert und mussten das Olympische Dorf sofort verlassen.
Auch Arthur Ashe, der erste afroamerikanische Tennisspieler, der in ein US-Daviscup-Team berufen wurde und der erste schwarze Sieger eines Grand-Slam-Turniers in Wimbledon, hatte Rassismus erlebt. Als Jugendlicher musste er auf öffentlichen Plätzen trainieren, weil ihn der örtliche Tennisclub nicht aufnahm. Gemeinsam mit anderen gründete Ashe die erste Tennisspielergewerkschaft, bekämpfte das Apartheidregime in Südafrika und setzte sich für schwarze Jugendliche im weißen Tennissport ein.
Im Sommer 68 hatte der Langstreckenläufer und mehrfache Goldmedaillengewinner Emil Zátopek das «Manifest der 2000 Worte», ein Reformpapier des Prager Frühlings, unterzeichnet. Als im August russische Panzer die tschechoslowakische Reformbewegung niederschlugen, gehörte auch Zátopek zu den Demonstranten. Sein Engagement kostete ihn seine Arbeitsstelle und er musste sich anschließend mit Hilfsarbeiten durchschlagen.
Bob Beamon gelang mit 8,90 Metern der Sprung seines Lebens. Der Weitsprungweltrekord konnte über zwei Jahrzehnte lang nicht überboten werden. Dick Fosbury revolutionierte die Hochsprungtechnik, indem er die Latte lässig und ästhetisch rückwärts überquerte. Bislang hatten sich die Hochspringer immer bäuchlings über die Latte gerollt.
In Europa wurden Johan Cruyff und George Best zu den ersten Popstars auf dem grünen Rasen, für deren Leben und Eskapaden sich auch Unterhaltungsmagazine interessierten. In Deutschland gewann der 1.FC Nürnberg die Deutsche Fußballmeisterschaft mit einem Trainer, dessen pädagogisches Konzept den Idealen der 68er-Bewegung diametral entgegen stand. Trainer Max Merkel galt als autoritärer Schleifer, der das Konzept «Zuckerbrot und Peitsche» favorisierte.
Boxer Muhammad Ali hingegen verkörperte mit seinem Widerstand gegen staatliche Autoritäten und den Vietnamkrieg ähnliche Ziele wie die antiautoritäre Bewegung. Im Dezember musste Ali eine einwöchige Haftstrafe wegen Fahrens ohne gültigen Führerschein antreten.
Sieben Essays von Zeitzeugen und Sportwissenschaftlern und ein Ausblick auf die Folgejahre erweitern und runden die kurzweilige Zusammenstellung ab und belegen: Die Leitbilder und das Lebensgefühl der 68er haben auch deutliche Spuren im Leistungssport hinterlassen.
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