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Arbeitswelt 1. Juli 2024

Fahren im gesetzlosen Raum
von Volker Brauch

Das Taxiunternehmen ist ein Lehrbeispiel für den neoliberalen Kapitalismus
Uber ist ein weltumspannendes Geschäftsmodell aus dem Silicon Valley Kaliforniens, dessen Ziel die radikale Wertsteigerung investierten Kapitals ist. Das US-Dienstleistungsunternehmen für Personenbeförderung betreibt die fortlaufende Deregulierung bislang gültiger Standards und einen Unterbietungswettbewerb bei der Ausbeutung seiner Beschäftigten. Ein weltweit agierendes, neoliberales Unternehmen reinsten Wassers.

Es ist ganz einfach. Die Uber-App runterladen, Fahrtwunsch eingeben, Abholpunkt und Ziel eingeben. Ankunft, Route, Ankunftszeit und Endpreis werden angegeben, die Bezahlung erfolgt elektronisch. Der Fahrer kennt das Ziel und den schnellsten Weg dorthin. Die Fahrt ist in der Regel billiger als bei herkömmlichen Taxiunternehmen. Was steckt aber tatsächlich dahinter?
Nach eigenen Angaben bedient Uber weltweit 100 Millionen Kunden in 700 Städten, pro Tag sollen es 14 Millionen Fahrten sein. In 16 deutschen Städten ist Uber aktiv, die größten Städte Deutschlands wie Berlin, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf und Frankfurt am Main gehören dazu. Uber begreift sich ausschließlich als Vermittlungsplattform für Fahrdienste, es hat selbst keine Taxis und keine eigene Mietwagenlizenz. Unternehmen mit vergleichbaren Geschäftsbedingungen sind etwa Free Now oder Bolt.
2009 ursprünglich als Limousinenservice in San Francisco gegründet, wird der Konzern finanziert von Investoren wie Benchmark Capital, First Round Capital, Goldman Sachs und Google. Im Juni 2014 erhielt er eine Finanzspritze von 1,2 Milliarden US-Dollar Risikokapital. Im Mai 2016 erklärte der Automobilhersteller Toyota, sich an Uber zu beteiligen. Der Börsengang erfolgte im Mai 2019. Auch PayPal stieg bei Uber mit 500 Millionen US-Dollar ein. Im Juni 2019 wurde bekannt, dass sich Uber an der Internetwährung Libra beteiligt.
Über den Lieferservice Uber Eats bietet der Konzern zudem in vielen Ländern der Welt, auch in vielen deutschen Städten, einen Essenslieferservice an. Ab 2017 nutzt McDonald’s den Lieferservice von Uber Eats.
Selbst der Axel-Springer-Verlag erwarb eine finanzielle Beteiligung an Uber. In Kooperation mit dem Unternehmen Yandex expandiert Uber sogar in Russland, Aserbaidschan, Armenien, Belarus, Georgien und Kasachstan im Online-Taxi-Geschäft. Im Mai 2020 gab Uber die Beteiligung am Elektro-Tretroller-Anbieter Lime mit einem Betrag von 170 Millionen US-Dollar bekannt, dessen Dienste über die Uber-App angezeigt werden. Der Geschäftsbereich von Elektrotretrollern und Mieträdern wurde an Lime abgetreten.
Im Februar 2024 meldete der Konzern für das Jahr 2023 einen Nettogewinn von 1,9 Milliarden US-Dollar.

Geschäftspraktiken
Für Kunden kommt Uber mit seinem Angebot wie ein normales Taxiunternehmen daher. Da Uber nach eigenem Selbstverständnis kein Arbeitgeber für die Fahrer ist, die für es arbeiten, zahlt das Unternehmen weder Mindestlohn noch irgendwelche Sozialabgaben. Abgerechnet wird lediglich die geleistete Fahrt. Ruhezeiten interessieren Uber nicht.
Die Abwälzung aller Unkosten auf prekär Beschäftigte und Scheinselbständige einerseits und die Abschöpfung von Gewinnen andererseits machen den Kern von Uber aus – der Aufwand ist gering, die Profite mit etwa 25 Prozent pro Fahrt hoch. Unkosten, Unterhalt und Risiko trägt der Fahrer. Für Uber ist das leicht verdientes Geld ohne größere Arbeit oder Risiko.
Die Fahrer sind über lokale Subunternehmer angestellt, sie bekommen keinen Mindestlohn oder Stundenlohn, sondern lediglich eine Umsatzbeteiligung an ihren Subunternehmern. Das Lohndumpingmodell einer Untervergabepraxis von mehreren Subunternehmern funktioniert vollkommen legal. Natürlich könnte Uber durch vertraglich vereinbarte Richtlinien bei der Vergabe an Subunternehmer faire Standards absichern, ein Interesse an seinen Beschäftigten besteht aber nicht.
Bei herkömmlichen Taxiunternehmen gibt es klare gesetzliche Vorgaben wie z.B. feste Kilometer-Tarife, die von den jeweiligen Kommunen vorgegeben sind. Zudem sind Taxis verpflichtet, jeden Fahrgast anzunehmen, 24 Stunden verfügbar zu sein, und sie müssen nach jeder Fahrt zum Betriebssitz zurückkehren. Erst danach kann ein neuer Fahrauftrag angenommen werden.
Das Ignorieren dieser Regelungen von Uber führt zu einem klaren Wettbewerbsnachteil für herkömmliche Taxibetreiber. Die Taxibranche beklagt etwa ein Drittel Umsatzrückgang und sogar Insolvenzen, weil sie gegen die Auflösung fester Taxitarife nicht ankommt. Viele Taxifahrer fühlen sich hintergangen und abgezockt.
Die Missachtung gesetzlicher Vorgaben ist ein wiederkehrendes Motiv von Uber, da die Profite im gesetzlichen Graubereich erzielt werden. Wären ihre Transportfahrzeuge als ordnungsgemäßer Geschäftsbetrieb tätig, müssten Uber und Co. deutlich teurer werden. Es geht immer um einen Unterbietungswettbewerb zu unfairen Bedingungen.
Laut Bericht des Regionalprogramms rbb 24 sind allein in Berlin etwa 20 Prozent aller Mietwagenfahrten illegal unterwegs – eine Form der organisierten Kriminalität, die sich Bolt, Free Now, Uber u.a. teilen. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin hat erklärt, dass Mietwagenfirmen mit gefälschten Plattformen, also Briefkastenfirmen, Autos ohne Konzession in ihren Diensten fahren lassen. Als nicht ordnungsgemäß angemeldete Transportfahrzeuge sind Fahrgäste bei Unfällen nicht versichert. Das bedeutet, dass fast jedes fünfte Fahrzeug in Berlin als taxiähnlicher Wagen privat und nicht gewerblich unterwegs, also illegalen Mietwagenfirmen zuzuordnen ist.
Dieser expandierende Bereich ist von den staatlichen Behörden kaum zu überwachen und zu reglementieren. Technisch nicht auf der Höhe und personell unterbesetzt laufen die Behörden der Entwicklung deutlich hinterher.
Aber auch die häufig niedrigen Preise und günstigen Fahrten werden bei Uber nicht in jedem Fall angeboten. Bei Kongressen, Messen, Festen oder in der Urlaubszeit können sich die Preisaufschläge schnell einmal verdoppeln und verdreifachen. Angebot und Nachfrage sind hier entscheidend.
Jeder Taxifahrer benötigt zur Ausübung seines Berufs einen Personenbeförderungsschein, der erst nach einer Prüfung ausgestellt wird. Lange Zeit ließ Uber seine Fahrer ohne diesen Schein, ohne Taxikonzession, ohne Mietwagenerlaubnis auf die Straße. Die taxiähnlichen Fahrten wurden über die Uber-Pop-App abgewickelt. Erst die Grundsatzentscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main im März 2015, das diese Praxis als wettbewerbswidrig einstufte, untersagte dem Unternehmen eine derartige Genehmigung und Auftragsvergabe.
Nicht weiter überraschend, dass der Konzern seine Steuern nicht in dem Land abführt, in dem er aktiv ist, sondern als Uber B.V. steuergünstig in den Niederlanden.
Auch weltweit ist die Konzernpraxis hemmungslos. Wie 124000 interne Dokumente zwischen 2013 und 2017 belegen, missachtete Uber systematisch Gesetze, täuschte Polizisten, nutzte Gewalt gegen Fahrer aus und manipulierte Regierungen. Die Dokumente belegen, wie politische Entscheidungsträger wie US-Präsident Biden, Olaf Scholz während seiner Bürgermeisterschaft in Hamburg oder Emmanuel Macron heimlich beeinflusst wurden.
Die sog. Uber-Files wurden an den britischen Guardian geleakt und mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) geteilt. Uber und der Konzern Lyft gaben allein im kalifornischen Wahlkampf 200 Millionen US-Dollar aus, so viel wie niemals zuvor in diesem US-Bundesstaat.

Widerstand
Die Scheinselbständigkeit bei Uber-Fahrern bedeutet den Ausschluss jeglicher Sozialleistung wie Kranken-, Renten-, oder Arbeitslosenversicherung. Schon früh kam es zu Widerstand, der auch vor Gerichten ausgefochten wurde. Das Genfer Kantonsgericht in der Schweiz bspw. entschied im November 2020, dass Fahrer als Angestellte und nicht als Selbständige anzusehen sind, eine nicht unerhebliche Entscheidung. Auch die Klage vor dem Schweizer Bundesgericht brachte für die Uber Switzerland GmbH keinen Erfolg, das Genfer Taxigesetz behielt Gültigkeit.
Einen ähnlichen juristischen Vorstoß gab es auch in Österreich. Allerdings gewann Uber in zwei Gerichtsverfahren, und darf hier seit 2020 sein aktuelles Geschäftsmodell rechtmäßig betreiben. Die Wiener Taxifunkzentrale unterlag dem US-Unternehmen, da das Gericht Uber als Vermittlungsplattform einstufte.
In der Vergangenheit gab es auch eine Reihe von Auseinandersetzungen mit den Betroffenen. Zahlreiche Taxifahrer in Europa protestierten gegen Uber mit Konvois und Blockaden. In Paris und Lyon wurden Uber-Fahrer sogar tätlich angegriffen. In den USA wurde Uber untersagt, in Notsituationen seine Preise willkürlich anzuheben. In Indonesien, Thailand, Spanien und den Niederlanden wurde der Dienst in der zweiten Jahreshälfte 2014 landesweit verboten. Im März 2021 demonstrierten Düsseldorfer und Kölner Taxifahrer mit einem Autokorso gegen die ungleichen rechtlichen Bedingungen.
Will man den neoliberalen Kapitalismus im Kern verstehen, bietet Uber ein hervorragendes Lehrbeispiel.

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