Der Betrieb aus Florenz feierte den dritten Geburtstag seiner Besetzung
von Hans Köbrich
Am 12.Juli feierten die Kolleg:innen von exGKN for Future zusammen mit den Unterstützer:innen in der Mitte von Florenz drei Jahre Besetzung.
Als der Gelenkwellenhersteller GKN im Jahr 2018 vom Finanzfonds Melrose gekauft wurde, begann dieser sukzessive die Werke zu schließen. Erst wurde GKN Birmingham geschlossen und andere Fabriken der Luftfahrtindustrie. Dann wurde GKN Kaiserslautern dichtgemacht und im Frühjahr 2023 das GKN Werk in Zwickau. Der Streik für einen Sozialtarifvertrag hatte die Schließung für Mitte 2026 zu Ergebnis. Schon im Juli 2021 war das Aus für das GKN Werk in Florenz verkündet worden. Der Belegschaft wurde ihre Kündigung per E-Mail mittgeteilt. Doch am nächsten Morgen stürmte die Belegschaft die Tore und hält das Werk bis heute besetzt.
Eine Delegation von über zwanzig Menschen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich besuchten nun am diesjährigen 12.Juli das Werk und anschließend das Fest und nahmen an der nächtlichen Demonstration durch die historische Innenstadt von Florenz teil. »Siamo tutti exGKN« (Wir sind alle exGKN), schallte es aus tausend Kehlen, und immer wieder wurde die Hymne der Besetzter:innen angestimmt, die einige von uns auf der Fahrt schon eingeübt hatten. Bengalos beleuchteten die Nacht und die Aufschrift auf den Transparenten der Besetzer:innen, »Insorgiamo!« (Erheben wir uns!) ist seit drei Jahren der Schlachtruf.
Konversionspläne
Nachdem der Zug bei der Stadtverwaltung angekommen war, wurde nachdrücklich auf die Forderungen hingewiesen, die die Belegschaft an die Regionalregierung gestellt hat: Florenz, bzw. die Regionalregierung der Toskana, soll das Werk für 20 Millionen kaufen und der Genossenschaft sowie anderen ähnlich gelagerten Initiativen zur Verfügung stellen. Hintergrund ist ein Gesetz in Italien, das Unternehmen verpflichtet, ein Re-Industrialisierungskonzept vorzulegen, wenn sie Werke schließen und die Beschäftigten entlassen. Weder Melrose noch der spätere Käufer Borgomeo haben ein Re-Industrialisierungskonzept vorgelegt. Aus diesem Grund sind auch die bisher ausgesprochenen Kündigungen von den Arbeitsgerichten für unwirksam erklärt worden.
Das Konzept des Collettivo di Fabbrica enthält allerdings auch eine »sozialintegrierte Fabrik«, wo nicht nur zusammen gearbeitet wird, sondern in der auch gesellschaftlich gedacht und gehandelt wird und ein politischer und kultureller Austausch stattfindet.
Der ursprüngliche Plan der Belegschaft, der gemeinsam mit der Klimabewegung und Unterstützer:innen von der Universität Pisa entwickelt wurde, sah vor, die Produktion umzustellen: Statt Gelenkwellen für noch mehr Pkw herzustellen, sollten Teile für Fahrzeuge des öffentlichen Nahverkehrs produziert werden. Dies hätte vorausgesetzt, dass eine Verkehrswende weg vom Individualverkehr politisch gewollt gewesen wäre. Das war aber weder bei der jetzigen noch bei der vorherigen Regierung der Fall.
Öffentliche Bushersteller, die die Gelenkwellen hätten kaufen können, gibt es leider nicht. Den Besetzern, die bis heute weder Geld verdienen noch produzieren können, blieb nichts anderes übrig, als nach Produkten zu schauen, die einerseits umweltfreundlich sind, andererseits von Metallarbeitern hergestellt werden können. Die Produktideen sind Lastenräder und Photovoltaikanlagen.
Die Lastenräder sind derzeit in der Erprobungsphase. Anfang Juli dieses Jahres startete eine Promotour quer durch Deutschland, mit der großes Interesse und auch eine höhere Anzahl von Anteilsscheinen für die Genossenschaft eingeworben werden konnten. Eine zweite Tour startete am 19.August in Oldenburg und führte über Bremen, Oldendorf und Hamburg nach Buchholz in der Nordheide.
Die ersten praktischen Erfahrungen haben die Genoss:innen im Frühjahr eher unfreiwillig gemacht. Für April war ein Arbeiterliteraturfestival geplant. Die Kulturveranstaltungen in der Fabrik fanden bisher immer großes Interesse. Kurz vor dem Festival wurde die Stromversorgung für das ganze Werk gekappt. Das Festival musste an einen anderen Ort verlegt werden.
Um trotzdem Strom für die Besetzer im Werk zu haben, wurden kurzfristig eine Photovoltaikanlage und dazugehörige Speicher organisiert und aufgestellt. Strom für Licht für die ständigen Besetzergruppen sowie für den Betrieb der Bar ist also vorhanden. Wir selber konnten dort die Spezialitäten des Hauses ausprobieren: ein Aperitif-Getränk, sowie ein selbstgebrautes Bier, das auf Straßenfesten zu Solipreisen verkauft wird, womit zumindest ein gewisser Beitrag für den Lebensunterhalt der verbliebenen Belegschaft erwirtschaftet werden kann. (Auf dem Soli-Fest kostete das Bier 5 Euro. Trotzdem war die Schlange so lang, dass man mindestens eine halbe Stunde anstehen musste.)
Trotz allem Hoffnung
Kein Zweifel: die Lage des besetzten Betriebes ist prekär. Da die Kündigungen unwirksam sind, gibt es kein Arbeitslosengeld. »Besitzer« jeder Couleur zahlen keinen Lohn. Deshalb musste ein Teil der Belegschaft sich eine andere Arbeit suchen, um die Familien über die Runden zu bringen. Die Genossenschaft jedoch steht. Und wer von denen, die bisher hier gearbeitet haben, wieder einsteigen will, nachdem die Produktion angelaufen ist, wird vorrangig wieder eingestellt.
Voraussetzung, um nötige Investitionen zu tätigen, ist ein Startkapital von einer Million Euro. Bisher sind über 850000 Euro an Genossenschaftsanteilen gezeichnet worden. Es fehlen noch knapp 150000. Ein Genossenschaftsanteil beträgt 500 Euro. Die Summe kann aber auch von Unterstützer:innengruppen zusammengelegt werden. Mit der Zeichnung fließt zunächst noch kein Geld, erst wenn das Ziel erreicht ist, werden die Summen abgerufen. (Das Risiko ist also überschaubar.)
Die Metallarbeitergewerkschaft FIOM, in der viele Arbeiter:innen organisiert sind, ist zwar nicht unbedingt begeistert von der Genossenschaftsidee, gibt aber Rechtsschutz, und die Prozesse sind ja bisher alle gewonnen worden.
Stadtverwaltung und Regionalregierung stehen dem Projekt nicht feindlich gegenüber. Immerhin hat der Bürgermeister von Florenz die Zufahrtsstraße zum Werk auf 7,5 Tonnen begrenzt. Um die teilweise noch original verpackten großen Werkzeugmaschinen abtransportieren zu können, sind aber wesentlich größere Lkw erforderlich.
So gibt es durchaus Hoffnung, auf der Basis eines »Re-Industrialisierungsplans«, den die Beschäftigten vorlegen, eine Produktion im Interesse der Gesellschaft und der Beschäftigten aufzunehmen. Insorgiamo! E siamo tutti exGKN!
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