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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2024

Das Netzwerk Care Revolution feiert im Oktober sein zehnjähriges Bestehen
von Matthias Neumann

Das Netzwerk Care Revolution ist ein Zusammenschluss von Gruppen und Einzelpersonen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die in verschiedenen Feldern sozialer Reproduktion – Hausarbeit, Gesundheit, Pflege, Assistenz, Bildung, Sexarbeit – aktiv sind. Uns verbindet, dass wir die unter Kostendruck leidende entlohnte und die abgewertete unentlohnte Sorgearbeit ins Zentrum der Gesellschaft holen wollen. Soziale Beziehungen sollen gesellschaftlich gestützt werden, nicht Unternehmensprofite und die Instrumentalisierung von Menschen durch Menschen.

Was uns zur Gründung des Netzwerks Care Revolution bewogen hat, hat auch zehn Jahre nach der Gründung Bestand: Erstens: Mit wenigen Ausnahmen sind die einzelnen Gruppen Sorgearbeitender zu vereinzelt und zu verwundbar, um alleine substantielle Veränderungen zu erkämpfen. Umso dringender benötigen wir Bündnisse zwischen beruflich und unentlohnt Sorgearbeitenden und Nutzer:innen der Einrichtungen.
Zweitens: Bedürfnisse, gerade auch in der Sorge, sind nicht verhandelbar. Deshalb ist diese Gesellschaft so zu verändern, dass alle sich diese Bedürfnisse erfüllen können.
Drittens: Bei Sorgearbeit geht es ganz zentral um Geschlechterverhältnisse. Daher ist nicht nur die Qualität der sozialen Infrastruktur Thema für uns, sondern auch patriarchale Normen in Gesetzen und in den Köpfen, die zu Überlastung und (Alters-)Armut vor allem von Frauen führen.
Viertens: Die grundlegende Ignoranz insbesondere gegenüber der unentlohnten Sorgearbeit ist in die kapitalistische Gesellschaftsformation eingeschrieben. Ohne Kapitalismuskritik geht es also nicht.
Unser größtes Projekt in der Coronazeit war die Kampagne »Platz für Sorge«. Die Bedeutung, aber auch die Überlastung der Beschäftigten in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Kitas wurde während der Pandemie offensichtlich, ebenso wie die der unentlohnten Sorgearbeit, die insbesondere in der Kombination von Kita- und Schulschließungen und Homeoffice in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit geriet.
Lokale Bündnisse organisierten Aktionen auf öffentlichen Plätzen. Die alltäglichen Bedrängungen und notwendigen grundlegenden Veränderungen wurden deutlich, als Betroffene von ihren Erfahrungen und Kämpfen erzählten. Immer wieder wurden zentrale Plätze in »Platz der Sorge« umbenannt. In dieser Kampagne lernten wir einmal mehr: Bündnisse brauchen ein konkretes Ziel, zu dessen Durchsetzung man sich verabredet.
Gerade die, deren Care-Alltag prekär oder unerträglich ist, müssen spüren können, dass dieser durch gemeinsame Aktion verändert werden kann.
Auch nach der Coronapandemie haben wir uns nicht nur mit Prekarität und Erschöpfung herumzuschlagen, die die strukturelle Sorglosigkeit des Kapitalismus mit sich bringt. In einer Welt, die sich in so vieler Hinsicht zum Schlimmeren wandelt – Klimakatastrophe, Kriege und Aufrüstung als neue Normalität, brutale Politik gegenüber vor Gewalt, Diktatur und Armut Fliehenden, völkisch-autoritäre Strömungen in greifbarer Nähe zur Macht usw. –, ist Care nicht mehr getrennt von den Themen anderer sozialer Bewegungen verhandelbar.
Wir brauchen Erfolge in »kleinen« Sorgekämpfen, aber wenn wir die großen Rahmenbedingungen außer acht lassen, haben wir schon verloren. Care-Revolution-Gruppen beteiligen sich daher immer öfter auch an Klima- oder Friedensaktionen oder an Aktionen zur Unterstützung von Migrant:innen. Und weiterhin werden wir, wie in den zehn Jahren zuvor, die Bedeutung auch der unentlohnten Arbeit und derer, die sie leisten, beispielsweise in Krankenhausbündnissen verankern.
Wir stehen aber auch vor Fragen, die über Care im engen Sinn hinausgehen: Wie positionieren wir uns zu Kriegen, in denen es offensichtlich keine gute Seite gibt, zu deren Opfern wir aber nicht schweigen können? Wie wird eine carezentrierte, global teilbare, solidarische Lebensweise handfest vorstellbar? Wie geht Kompromisslosigkeit gegenüber autoritären Ressentiments mit ernstnehmender Empathie gegenüber Menschen in verzweifelten Lebenslagen zusammen?
Auf solche Fragen müssen wir Antworten suchen, wenn wir ein dezentral und vielstimmig aufgestelltes Netzwerk bleiben und uns dennoch hörbarer in die anstehenden großen Konflikte einmischen wollen.
Mitte Oktober werden wir mit einem dreitägigen Event in Leipzig zehn Jahre Care Revolution feiern. Wir wollen feiern, weil wir glauben, dass es auch in dieser schwierigen, manchmal deprimierenden Situation so viele ermutigende Kämpfe, soziale und kulturelle Projekte, Ideen und einfach auch alltägliche Hartnäckigkeit gibt, die wir würdigen möchten. Dazu kommen wir im Tagesgeschäft viel zu selten.
Wir wollen in einem Eröffnungspodium am Freitag, in vielen Workshops und einer Party am Samstag zusammenkommen. Am Sonntag geht es dann um unsere weitere Arbeit im Netzwerk – auch hier sind Gäste selbstverständlich sehr willkommen.

Auch wenn das Jubiläum komplett ausgebucht ist, ist auf jeden Fall eine Teilnahme an den Workshops am Samstag möglich. Infos dazu finden sich auf unserer Website care-revolution.org. Kontakt: koordination@care-revolution.org.

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