Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 02/2010
Nachruf
von Ingo Schmidt

Im Kampf für soziale Gerechtigkeit war Jörg Huffschmid unermüdlich. Seinen Kampf mit dem Krebs hat er verloren. Am 5.Dezember ist er an den Folgen der Krankheit gestorben.

Jörg war auf dem Weg zu einer Karriere im bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb, als ihn Ende der 60er Jahre die Studentenrevolte einholte. Sein 1969 bei Suhrkamp erschienenes Büchlein Die Politik des Kapitals trägt noch deutliche Spuren des drögen Ökonomenhandwerks. Statt Marx- oder anderen Klassikerzitaten präsentierte er in jenem Buch empirisches Material zur Vermögenskonzentration und deren Einfluss auf die Wirtschaftspolitik. Es wurde dennoch, von Aktivisten ebenso wie von ihren Gegnern, als ein Schlüsseltext der rebellierenden Studenten wahrgenommen.
Mit Recht: Für eine Zeit konnte sich auch Jörg der Faszination der Revolte nicht entziehen. Eine Assistentenstelle bei dem sozialliberalen Philosophen Habermas lehnte er ab und wandte sich mit Teilen der radikalen Studenten Proletariat und Parteiaufbau zu. Die Chance auf eine Professur für Politische Ökonomie an der Reformuni Bremen hat er sich dann aber doch nicht entgehen lassen und ist vom Hyperaktivismus seiner maoistischen Parteiaufbaugenossen zu der weitaus betulicheren DKP gewechselt. Er gehörte einige Jahre ihrem Parteivorstand an und beteiligte sich Ende der 80er Jahre an deren Erneuerungsversuchen, verließ die Partei aber mit den meisten anderen Mitgliedern nach dem Zusammenbruch des osteuropäischen Staatssozialismus. Mit PDS, WASG und schließlich DIE LINKE hat er zusammengearbeitet, sich von Parteiämtern aber fern gehalten. Als Parteiarbeiter war Jörg wenig erfolgreich, als Wirtschaftspolitiker spielte er eine Schlüsselrolle für die Linke in Westdeutschland und, seit Mitte der 90er Jahre, in Europa Ost und West.
Als Reaktion auf das 1975 von der sozial-liberalen Koalition durch den Bundestag gepeitschte Kostendämpfungsgesetz erarbeitete Jörg mit einer Reihe anderer linker Ökonomen, darunter seinen Studienfreunden Rudolf Hickel und Herbert Schui, ein Memorandum Alternative Wirtschaftspolitik. Dass daraus die gleichnamige Arbeitsgruppe entstehen würde, war damals noch keinem der Beteiligten bewusst. Doch genau so ist es gekommen. Seit 1979 erscheinen die Alternativen der Wirtschaftspolitik jährlich. In den frühen 90ern machte sich Jörg daran, einen Arbeitszusammenhang linker Ökonomen aus verschiedenen europäischen Ländern aufzubauen. 1995 trat erstmals die Europäische Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik an die Öffentlichkeit.
Die strategische Ausrichtung dieser deutschen und europäischen Memoranden war, deutlich zu machen, dass es zu jedem Zeitpunkt politische Alternativen zu den vermeintlichen Sachzwängen Haushaltskonsolidierung, Inflationsbekämpfung und Förderung internationaler Wettbewerbsfähigkeit gibt. Von links ist dieser Ansatz als reformistisch, von rechts als typisch linke Träumerei kritisiert bzw. verketzert worden. Die Entwicklung so mancher Linksregierung, von Mitterands sozialistisch-kommunistischer Koalition bis zu Schröders rot-grünem Bündnis scheinen die Kritik von links und rechts zu bestätigen. Reformistische Forderungen taugen zwar zur Mobilisierung von Wählern; sind die Linkspolitiker aber erst einmal im Amt, müssen sie sich dennoch den kapitalistischen Machtverhältnissen unterwerfen und «die Politik des Kapitals» ausführen. Diese Zusammenhänge waren Jörg durchaus bewusst - schließlich hat er ein Buch darüber geschrieben.
Vom maoistischen Abenteurertum geheilt, hat er sich allerdings entschieden, nicht Binsenwahrheiten über kapitalistische Ausbeutung und Herrschaft zu verbreiten, sondern gezielt und beharrlich jene Akademiker und Aktivisten anzusprechen, deren Sehnsucht nach einem anderen Leben bzw. einer anderen Welt noch von «Sozialstaatsillusionen» durchsetzt war.
Wenngleich keine der Forderungen alternativer Wirtschaftspolitik in der BRD bzw. Europa erfüllt wurde, und wohl auch in Zukunft nicht erfüllt wird, haben Ausarbeitung und Diskussion der Memoranden einen positiven Effekt gehabt. Über die Jahre bzw. Jahrzehnte haben sie zur Schaffung eines Netzwerks von linken Akademikern, Gewerkschaftern, Journalisten und Basisaktivisten beigetragen, in dem «die Politik der Linken» diskutiert werden kann. Hieran hat Jörg gearbeitet, lange bevor Netzwerke und Zivilgesellschaft auf der Linken modern wurden. Als es soweit war, hat er sich den Diskussionen jedoch nicht verschlossen, sondern, insbesondere durch seine Mitarbeit bei Attac, die Debatte mit einer neuen Generation linker Aktivisten gesucht.

Waren seine empirischen Studien zur Vermögenskonzentration eine Ergänzung und auch Gegengewicht zur Marx-Exegese der frühen 70er Jahre, so waren seine Untersuchungen zum Finanzmarktkapitalismus ein heilsames Gegenmittel gegen postmoderne Spekulationen in den 90er Jahren. Jörgs 1999 bei VSA erschienene Politische Ökonomie der Finanzmärkte war einerseits eine Adaption der «Politik des Kapitals» an die Bedingungen des Finanzmarktkapitalismus, zeigte andererseits aber auch, dass die kapitalistische Ökonomie von organisierten Vermögensinteressen und nicht von einem verselbstständigten und wild gewordenen Kapitalfetisch beherrscht wird.
An der Einschränkung und schließlichen Überwindung dieser Herrschaft müssen wir nun ohne Jörg weiterarbeiten. Zeit seines Lebens galt für die von ihm maßgeblich vorangetriebene alternative Wirtschaftspolitik, was Marx und Luxemburg über die Gewerkschaften gesagt haben: eine «Sisyphus-Arbeit» aber auch eine «Schule des Sozialismus». Wir trauern um unseren Freund und Genossen Jörg Huffschmid. Vergessen wir nicht, dass wir uns Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen müssen. Mach’s gut, Jörg.

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