Wie die Linkspartei wieder unentbehrlich werden könnte
von Peter Grottian
Linke sind bei Lob eher verlegen – aber euch, Katja und Bernd, muss man einfach danken, dass ihr m.W. erstmals in der Geschichte der Partei Die Linke soziale Bewegungen, die Partei und Gewerkschaften zu einem Ratschlag zusammengebracht habt. Das lechzt nach Verstetigung, z.B. im November klösterlich-köstlich sich für drei Tage mit mehr Basisaktivisten und weniger Promis zu versammeln, um das, was heute zartpflänzig begonnen hat, fortzusetzen. Mit zwei bis drei gemeinsamen, größeren Projekten, die wir auf den Weg bringen könnten.
Alex Demirovic hat auf einem Rosa-Luxemburg-Symposium eine vorzügliche, aber für uns alle unbequeme Perspektive für Die Linke entworfen: Relativierung der Staatsfixierung und der Beteiligung an der repräsentativen Demokratie – hin zu einer Partei der Bürgermacht von unten. Damit wären erhebliche Konsequenzen verbunden, die man der Partei in ihrem derzeitigen Zustand schwer zutrauen mag – auch die These, dass zwar die Führungskrise der Linken massiv geschadet hat, aber viel entscheidender nach der NRW-Wahl ist: Dass die Menschen es für eine Zumutung halten, links zu wählen, weil die Kompetenz und Glaubwürdigkeit für die soziale Frage auf den Hund gekommen ist – und linke Wähler in Scharen auf den Sofas bleiben, zur SPD oder den Piraten überlaufen, aber nicht zu den sozialen Bewegungen stoßen. Da müssen doch alle Alarmglocken läuten, wenn die Kraft-SPD mit dem Versprechen des sozialen Herzens Hartz IV vergessen machen kann.
Das Schwergewicht des strategischen Zentrums müsste sich von der Bundestagsfraktion in einer neuen Balance mehr auf eine unverstockte, lebendige, spaßmachende Partei von unten verschieben. Partei als Anhängsel einer öffentlich präsenten Bundestagsfraktion – ein großer Binsenirrtum! Eine Bundestagsfraktion hat ein enges Korsett an Möglichkeiten – eine Partei könnte mehr, wenn sie einen Biss hätte, der sie unverzichtbar und antreibend macht. Und weil wir gerade bei der innerparteilichen Demokratie sind: Ein Hauch von liquid democracy stünde euch gut an, euer basistötendes Delegiertenprinzip gehört abgeschafft. Bewältigt eure Angst, nicht alles unter Regiekontrolle zu haben, lasst die Basis atmen, sich entwickeln – so viele Fehler wie die Parteiführung können die gar nicht machen. Diese zerknautscht-maulende-depressive Basis verdient einen aufrechten Gang. Junge Leute nehmen euch überwiegend als graumäusige, spaßtötende und empathielose Partei wahr – bis zum SDS, bis zu Solid. Eure politische Seele kommt verkommen daher, sie hat keine brennende Kerze am Ende des Tunnels, da kann man so antikapitalistisch-aufgeblasen daher kommen, wie man will.
Die Partei müsste – jenseits aller Strömungsstreitigkeiten – ein spannendes Angebot zu mehr Bürgermacht machen, zumindest ein Diskursangebot zum Herbst, bevor sie wieder in die Logiken der Landtags- und der Bundestagswahlen fällt. Dieses drei- bis viermonatige Zeitfenster ist mutmaßlich entscheidend für eine strategische Neuausrichtung.
Wie aber könnte die aussehen?
Revitalisierung der sozialen Fragen mit Gewerkschaften, kirchlichen Basisorganisationen, Erwerbsloseninitiativen, kritischen Tafeln, Teilen der Sozialverbände, Attac u.a. 12–14 Millionen Menschen schurren an der Armutsgrenze, egal, ob sie wenig verdienen, erwerbslos oder altersarm sind. Die sind Adressaten unseres politischen Verständnisses. […] Mit der sozialen Frage ist Die Linke aufgestiegen und abgestiegen – nicht primär wegen des Führungsstreits.
Partei der Bürgerkommune: Wasser, Energie, Verkehr, Bildung, Demokratie und anderes sind die basics einer Bürgerkommune der Zukunft, und zugleich ein zweites Sozialprogramm. Linke und Recht-auf-Stadt-Bewegungen wären gute Allianzen.
Partei der Demokratie: Der Überdruss an der jetzt praktizierten Demokratie ist übermächtig, die Bürgerinnen und Bürger wollen eine andere Demokratie. Aber Die Linke muss diese andere Demokratie beredt und farbig ausmalen können, sie muss wissen, wie eine Bürgerkommune aussieht – eben nicht nur Bürgerbegehren und Volksentscheide. Partei der Demokratie werden ist profilträchtig, aber die Vision dazu im Parteiprogramm wirkt bürokratisch-verdruckst, jedenfalls nicht aufbrechend. Und wenn Die Linke noch den zivilen Ungehorsam als Protestmittel entdeckt, würde ihr das als Partei der sozialen Frage, der Bürgerkommune und der Demokratie sehr gut zu Gesicht stehen.
Peter Grottian ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der FU Berlin und Bewegungsunternehmer in verschiedenen sozialen Bewegungen. Auszug aus der Wortmeldung zum Ratschlag der Parteivorsitzenden am 15.Juli 2012 in Berlin (www.neues-deutschland.de).
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