Regie: Antje Hubert. Deutschland 2012
von Gaston Kirsche
Die Wilstermarsch ist flach. Fruchtbares Land an der Unterelbe, auf halber Strecke zwischen Hamburg und der Nordsee. Durchzogen von Wettern, breiten Entwässerungsgräben. Was Wettern sind, wussten in Hamburg auf einmal viele, als 1976 bekannt wurde, dass mitten in die Marsch, direkt ans Elbufer, ein Atomkraftwerk gebaut werden sollte. Die damalige radikale Linke beteiligte sich massenhaft an den Protesten: Der Bauplatz muss wieder zur Wiese werden! Brokdorf eins, zwei und drei – diese Durchnummerierung der von der Staatsgewalt massiv bekämpften Demonstrationen war und ist bis heute Bewohnern aus Brokdorf und Umgebung vertraut. Die Regisseurin Antje Hubert hat einige, noch heute aktive AKW-Gegner in der Umgebung des AKW gefilmt.
Ein leicht verwackelter Schwenk über die Kuhweiden der weiten Wilstermarsch. Aufgenommen vermutlich mit einer Super-8-Handkamera, vor dem Oktober 1976. Verwaschene, leicht überbelichtete Farben. Eine Menschentraube schart sich um einen Mann mit Megafon, der gegen den geplanten Bau des AKW redet. Schnitt. Natostacheldraht auf massiven Stahlzäunen, ein Wassergraben, uniformierte Wachschützer mit Schäferhunden, ein schwerer Wasserwerfer rollt durchs Bild, hundertschaftenweise Polizei mit Helmen und gezückten Knüppeln – der gleiche Ort, ein paar Wochen später.
Mitten in der Nacht kamen die schweren Baufahrzeuge und die Polizei, BGS, mit Panzerfahrzeugen. «Ich bin aufgewacht, als plötzlich schwere Fahrzeuge direkt hinterm Haus am Deich entlang fuhren», erzählt eine Bäuerin, «mein Mann ist gleich hingefahren und konnte nicht glauben, was er sah.» Der Bauplatz des AKW war in einer Nacht-und Nebel-Aktion zu einer Festung ausgebaut worden. Staatsgewalt und Atomindustrie hatten Fakten geschaffen, um einer Bauplatzbesetzung zuvor zu kommen.
Marlene und Ali Reimers waren nicht die einzigen Brokdorfer Milchbauern, die von Anfang an dabei waren im Widerstand gegen das AKW. Als ihr achtjähriger Sohn bei einem Fußballspiel im Tor stand, riefen Zuschauer: «Im Tor steht Kommunisten-Reimers!» Und das war nicht als Anerkennung gemeint.
Die Regisseurin Antje Hubert hat in den letzten vier Jahren die beiden Reimers und den bekanntesten Kläger gegen das AKW aus der Wilstermarsch, Karsten Hinrichsen, sowie weitere Mitstreiter interviewt und im Alltag begleitet. Beim Stallausmisten ebenso wie bei der monatlichen Mahnwache am Tor des AKW. Mit der Faust in der Tasche filmte sie die Brokdorfer, als sie von der beschlossenen Laufzeitverlängerung für die AKW erfuhren.
11.März 2011: In Fukushima explodieren drei AKWs. Die Brokdorfer beteiligen sich an von zentralistischen Kampagnenbüros geplanten Aktionen, die Regisseurin begleitet sie dabei: Menschenkette von Brunsbüttel über Brokdorf bis Krümmel. Drei AKWs. Es gelingt. Zu den Protestierenden gesellen sich auch Promis von SPD und Grünen, die zu ihrer Regierungszeit mit der Mogelpackung Atomausstieg das AKW Brokdorf am Netz gelassen haben. Karsten Hinrichsen braucht nur wenige Worte für seine Ansprache: «Wir müssen auf unsere eigene Kraft vertrauen, selbst protestieren, dürfen uns nicht auf irgendwelche Politiker verlassen!» Seine Mitstreiter nicken zustimmend.
«Das Ding am Deich» porträtiert sie, lässt sie bei sich zu Hause alles erzählen, wie es damals und die Jahrzehnte hindurch so war, Ordner voller Flugblätter und alte Transparente hervorholen. Keine Dorfidylle tut sich hier auf – sie haben mit hohem Einsatz gekämpft, den ganzen Alltag hindurch. Ostentativ wurden sie von Zivilpolizisten beschattet, die sich an der Hofeinfahrt aufgebaut hatten. «Welche Nummer hatte der Hof von Marlene und Ali nochmal im Polizeifunk? War das 27 oder 207?»
Noch heute kommen einer alten Bäuerin die Tränen, wenn sie erzählt, wie der Kaufmann sie in seinem Laden beschimpft hat: «Euch sollte man alle am nächsten Baum aufhängen.»
Die Regisseurin fokussiert sich auf die alten Kämpfer. Den städtischen, radikal linken Widerstand lässt sie weitgehend außer Acht – abgesehen von den spektakulären Bildern der gemeinschaftlichen, militanten Versuche, den AKW-Bauplatz zu besetzen und sich gegen die Polizei zu wehren. Diese Fokussierung bleibt unerklärt im Film. Sie ginge in Ordnung, wenn dafür die Härten im Umgang in der Dorfgemeinschaft, die Autoritätshörigkeit und Fortschrittsgläubigkeit der Mehrheit der Dorfbewohner stärker thematisiert würde. So bekommt sie die dörfliche Gesellschaft nicht in den Film. Zwar interviewt sie den Bürgermeister – einen überzeugten Anhänger der Atomindustrie, ihrer «sauberen, gut bezahlten Arbeitsplätze» und ihrer Gewerbesteuerzahlungen. Aber wer hinter ihm steht, bleibt nebulös.
Darüber hilft auch die minimalistische Filmmusik nicht hinweg, die streckenweise durch ihre Permanenz nervt. Etwas Stille, Windgeräusche, ein paar Anti-AKW-Lieder hätten gut gepasst. Eine weitere Schwäche des Filmes ist, dass der Umgang mit dem historischen Filmmaterial nicht benannt wird. In einem Interview mit der «Szene Hamburg» erzählt die Regisseurin, dass sie durch den Film «Im Norden, da gibt es ein schönes Land» auf die Milchbauern Ali Reimers und Heinrich Voß aufmerksam geworden ist. Ihr Film hätte gewonnen, wenn er genau diesen Zugang offengelegt hätte.
Eine verpasste Chance, auch um bewusst an den heute noch bewegenden Film «Im Norden, da gibt es ein schönes Land» von 1977 anzuknüpfen, der die drei ersten Jahre des Widerstands dokumentiert und so durchschlagend die brutalen Bürgerkriegsmanöver der Polizei zeigt und wie der militante Protest durch seine Solidarität und Kollektivität sich der Staatsgewalt entgegenstellen konnte.
Es gibt eine reichhaltige Tradition der Dokumentation über den Widerstand gegen Atomkraft, die dankenswerterweise in der «Bibliothek des Widerstands» des Laika-Verlags auf DVDs verfügbar sind. «Das Ding am Deich» ist eine wichtige, aktuelle Ergänzung zu ihnen. Es ist spannend und bewegend zu sehen, wie die gealterten AKW-Gegner ihren Widerstand weiterleben.
Der Film ist ab 29.11.2012 als DVD erhältlich. Infos: www.dingamdeich.de.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.