Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2014
Der britische Regisseur Ken Loach sprach in Berlin über Notwendigkeit und Möglichkeit einer neuen vereinigten Linken

von Thomas Eipeldauer

Es gibt nicht viele Filmemacher wie Ken Loach. Die Heldinnen und Helden seiner Werke sind diejenigen, die in den Blockbuster-Movies nicht vorkommen oder nur die Kulisse abgeben, vor der sich die eigentliche Geschichte abspielt: Die kämpferischen Reinigungsarbeiterinnen in Bread and Roses (2000), die spanischen Anarchisten und Sozialisten in Land and Freedom (1995) oder die sympathischen Whiskey-Diebe aus der schottischen Unterschicht in The Angels’ Share. Es sind Geschichten von Unterdrückung, Ausbeutung und Widerstand, sensibel und authentisch erzählt, mit einem unvergleichlichen Blick für die Schönheit des Lebens der arbeitenden Klasse und derjenigen, die für eine Gesellschaft streiten, in der zu leben lohnt.

Das dürfte auch die hauptstädtische Kulturschickeria überzeugt haben, denn Loach war auf der Berlinale zu Gast und wurde dort mit dem «Goldenen Ehrenbären» geehrt. Abseits von dem Glamour und den heuchlerischen Würdigungen jener Presseerzeugnisse, die ansonsten für Arbeiterklasse und Sozialismus kaum Sympathien aufbringen können, sprach der renommierte Regisseur am Vormittag in kleinerem Kreis im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte.

Geladen hatte die Neue Antikapitalistische Organisation (NAO), ein Zusammenschluss linker sozialistischer Gruppierungen [siehe Seite 5], im Verbund mit der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (ARAB), dem «Forum Betrieb, Gewerkschaft und soziale Bewegungen» und dem Arbeitskreis Internationalismus der IG Metall. «Die Krise in Europa und die Neuformierung der radikalen Linken» stand auf dem Programm, der Saal war mit gut 150 Leuten übervoll.

Loach, der in Begleitung seines Drehbuchautors Paul Laverty kam, begann mit einer Beschreibung der Auswirkungen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise auf die Arbeiterinnen und Arbeiter: «Es ist vollkommen klar, dass die Krise in Europa sich vertieft. ... Aus der Perspektive der arbeitenden Menschen wird die Situation schlechter und schlechter. Es gibt Massenarbeitslosigkeit, und jene, die in Arbeit stehen, sehen sich Arbeitsbedingungen gegenüber, die entsetzlich sind. Es gibt für die Mehrheit der Beschäftigten keine Sicherheiten mehr. Sie sind über Leiharbeitsfirmen beschäftigt, sie haben befristete Verträge, oder sind gleich im Rahmen sogenannter 0-Stunden-Verträge angestellt.»

Die neoliberale Offensive des Kapitals, wie sie in den vergangenen Jahren zu beobachten sei, habe eine lange Vorgeschichte, die in Betracht gezogen werden müsse – gerade auch aus linker Perspektive: «Aus der britischen Sichtweise gab es zwei kritische Momente: Der erste war die Wahl von Margaret Thatcher 1979. Das war der Zeitpunkt, zu dem der Nachkriegskompromiss des Sozialstaates angegriffen wurde. Von da an begannen die Angriffe auf Gemeineigentum und die Privatisierungen. Fabriken wurden geschlossen, ganze Industrien wurden zerstört und innerhalb von drei Monaten gab es 3 Millionen Arbeitslose. Die Frage war: Wie würde die Arbeiterklasse darauf antworten? Es gab sehr viel Militanz an der Basis, und die Gewerkschaftsführung erfüllte ihre historische Mission: Sie führten die Menschen in die Niederlage. Einzelne Arbeitergruppen wollten in Aktion treten, die Führung sagte: Jetzt nicht, lasst uns verhandeln.» Das Ergebnis war die Niederlage der Arbeiterbewegung.

Der zweite kritische Moment ereignet sich 1984 und 1985, als die britischen Bergarbeiter streikten und die gesamte Linke den Streik unterstützte, die sozialdemokratische Labour Party und die Gewerkschaftsführungen den Ausstand aber verrieten und die Arbeiter erneut verloren. «Seither betreibt die Gewerkschaftsführung eine Politik des ‹neuen Realismus›, die eine Anpassung an die rechten Regierungen bedeutet. Das betraf nicht nur die Gewerkschaftsführungen, sondern natürlich auch Tony Blair.»

Die Spaltung überwinden

Von damals an habe es, so Loach, keine Partei mehr gegeben, die in der Lage gewesen wäre, die Interessen der Werktätigen zu vertreten. Es gebe zwar kleine sozialistische Gruppen, die prinzipienfest und oft dogmatisch auftreten, die aber haben keinen nennenswerten Massenanhang. Um sich neu zu organisieren, brauche man vor allem zwei Einsichten. Zum einen müsse man verstehen, wie Kapitalismus entsteht, denn nur so könne man sich davor bewahren, sich irgendwann als Sozialdemokrat wiederzufinden.

Zum anderen aber plädiert Loach für eine Überwindung der Spaltung der radikalen Linken: «Als ich in meinen späten Zwanzigern war, war ich im Umfeld einer Organisation namens Socialist Labour League, eine trotzkistische Organisation. Ein guter Freund von mir namens Paul Foot war in einer anderen Organisation, die nannte sich International Socialism. Eine andere trotzkistische Organisation. Wir lebten in derselben Nachbarschaft und da gab es einen Park. Wir hatten beide kleine Kinder, trafen uns im Park und die Kinder spielten Fußball. Und dann, es war ein Freitag, bekam ich einen Anruf. Es war der Generalsekretär der Socialist Labour League. Er sagte: Was bekomme ich zu hören? Deine Kinder spielen Fußball mit dem Feind? Ich war jung und sagte: Tut mir leid. Und wir hörten auf Fußball zu spielen. Es war fast dreißig Jahre später, da saß ich auf einem Podium mit Paul Foot. Und wir waren uns in allen Fragen einig. Das ist der Schaden, den Sektierertum anrichten kann.»

Die Bedeutung der gemeinsamen Organisierung der Linken steht auch in den Ausführungen Paul Lavertys im Mittelpunkt. Er entwickelt die eigentlich entscheidende Frage der Protestbewegungen in den vergangenen Jahren seit Beginn der Krise: Die Menschen in der europäischen Peripherie, in Griechenland, Spanien, Portugal, Griechenland, erfuhren in den vergangenen fünf Jahren eine dramatische Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen. Massenarbeitslosigkeit, Lohnabbau, Armut, Perspektivlosigkeit. An einem bestimmten Punkt schlug die Verzweiflung in Wut um, es kam zu den Platzbesetzungsbewegungen von der Puerta del Sol bis zum Syntagma-Platz. Die überwiegend jungen Aktivisten haben über Monate einen ausdauernden und kreativen Kampf geführt. «Sie trafen einander in Diskussionsrunden über Wochen, dann auch in den Stadtteilen. Doch dann ist diese Energie wieder verpufft ... Mein Hauptpunkt ist der: Nach einer Krise mit soviel Wut und Empörung ist die Rechte nicht am Boden, sondern in der Offensive.» Die Frage sei also: «Wie können wir das Gemeinsame bündeln und effektiv die Macht des Kapitals angreifen?»

Der Ansatz zur Lösung dieser Frage, da sind sich alle Anwesenden einig, bestünde in einer Vereinheitlichung der gespaltenen radikalen Linken. Allerdings, das wird die Diskussion zeigen: So groß dieses Bedürfnis ist, so schwer dürfte es zu befriedigen sein. Die zersplitterte Linke gerade in den westlichen Metropolen zusammenzuführen, erscheint ob der Vielfalt an unterschiedlichen Positionen wie die Quadratur des Kreises, also unmöglich. Angesichts der Verhältnisse, in denen wir leben, wird langfristig gleichwohl nichts anderes übrig bleiben, als dieser Unmachbarkeit mit der alten Maxime Che Guevaras zu begegnen: «Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche.»

Mit freundlicher Genehmigung von www.hintergrund.de.

 

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