Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 03/2014
Neues Leitbild der deutschen Offensivkultur

von Angela Klein

Es soll mal wieder ein Schlussstrich gezogen werden: Nazideutschland ist vorbei, Gedenkstätten haben wir jetzt genug. Womit wir mehr als alle anderen unseren guten Willen bewiesen haben. Reparationszahlungen sind auch passé, die wären «65 Jahre nach den kriegerischen Auseinandersetzungen [auch] ohne Präzedenz», ließ die Bundesregierung die Linksfraktion wissen, die wegen einer Entschädigung für die Massaker der Wehrmacht in Griechenland angefragt hatte. Mit diesem ganzen «überholten Pazifismus» (Bundespräsident Gauck) ist jetzt Schluss. Deutschland trägt wieder Verantwortung für die Welt, pardon: «für die Stabilität des globalen Systems» (Außenminister Steinmeier) – unter dem tun wir’s ja nicht. «Deutschland muss führen, damit Europa nicht schwächer wird» (Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe).

Bei jedem dieser Sätze kriegt man Pickel. Hat die deutsche Regierung nicht gerade durch ihr Krisenmanagement halb Europa in den sozialen Abgrund und die EU in eine politische Krise getrieben? Spielt sie nicht gerade in der Ukraine mächtig mit dem Feuer, indem sie ein Bündnis aus Nationalisten und bewaffneten Rechtsextremen anfeuert, das Land zu spalten? Begehren nicht gerade die Bosnier gegen das Regime von Dayton auf – gegen die aberwitzigen Spaltungen entlang angeblich ethnischer Grenzen, die nur der Sicherung einer neokolonialen Herrschaft über den Balkan dienen?

Pünktlich zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkriegs erhebt sich in Deutschland wieder Kriegsgeschrei. Sekundiert auch von der Historikerzunft, die uns gerade vom Odium, Deutschland habe eine Hauptverantwortung für den Ersten Weltkrieg getragen, reinwäscht, damit wir uns unserer militaristischen und imperialistischen Vergangenheit nicht mehr zu schämen brauchen – die anderen waren ja auch nicht besser.

Die Mission lautet: Die Mehrheiten in der Bevölkerung gegen eine deutsche Kriegsbeteiilgung kippen. Der Pfaffe geht, wie immer, voran. Er kleidet die neue Mission in fromme Worte, die die Wirklichkeit verdrehen, damit die moralischen Bedenken übertönt werden. Hören wir also Gauck, Starredner auf der Siko: «Neben aufrichtigen Pazifisten … gibt [es bei uns jene], die Deutschlands historische Schuld benutzen, um dahinter Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit zu verstecken … So kann aus Zurückhaltung so etwas wie Selbstprivilegierung entstehen.» Steinmeier hat diese Forderung nach einem Schlussstrich so zugespitzt: «Die Kultur der Zurückhaltung darf nicht zu einer Kultur des Heraushaltens werden.»

Das neue Leitbild der deutschen Offensivkultur stützt sich auf zwei Begründungen:

– Im Falle schwerer Menschenrechtsverletzungen gibt es eine moralische Pflicht, militärisch einzugreifen: «Das Prinzip der staatlichen Souveränität und der Grundsatz der Nichteinmischung dürfen gewalttätige Regime nicht unantastbar machen.» Sprich: Wir haben grundsätzlich das Recht, Regime zu dulden oder auch nicht. Gewalttätig sind eh immer nur die anderen, außerdem definieren wir, was gewalttätig ist. Wenn bei uns Demonstranten Halstücher und Regenschirme tragen, gilt das als «Schutzwaffen» und als Beweis für potenzielle Gewalttätigkeit. Wenn in der Ukraine faschistische Banden mit Schusswaffen auf die Polizei losgehen, Munitionsdepots, Gewerkschaftshäuser und Büros missliebiger Parteien hochgehen lassen, gilt das als «tapferes Ausharren gegenüber der Brutalität der Sicherheitskräfte».

– Ein bißchen Eigeninteresse ist aber auch dabei: «Deutschland ist so tief verwoben mit der Welt wie wenige andere Staaten. Somit profitiert Deutschland besonders von der offenen Ordnung der Welt. Und es ist anfällig für Störungen im System … Die Bundesrepublik sollte sich [deshalb] früher, entschiedener, und substantieller einbringen.»

Was Gauck hier nur andeutet, wird in einem Strategiepapier aus dem vergangenen Jahr, das seiner Rede die Blaupause geliefert hat, entschiedener und substanzieller ausgedrückt: «Da aber, wo Störer die internationale Ordnung in Frage stellen; wo sie internationale Grundnormen … verletzen; wo sie Herrschaftsansprüche über Gemeinschaftsräume oder die kritische Struktur der Globalisierung geltend machen oder gar diese angreifen; wo mit anderen Worten Kompromissangebote oder Streitschlichtung vergeblich sind: Da muss Deutschland bereit und imstande sein … auch militärische Gewalt anzuwenden.» («Neue Macht – Neue Verantwortung». Ein Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik und des German Marshall Fund, September 2013.)

Hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs unterscheiden sich die Rechtfertigungen für den Krieg kaum: Auch damals verteidigten «wir» die «Zivilisation» gegen die «Barbarei» des russischen Zarentums. Und auch damals ging es darum, Platz zu machen, damit deutsche Wirtschaftskraft sich uneingeschränkt entfalten könne. Der Pfarrer predigt Moral und Verantwortung, ausgeschenkt aber werden Imperialismus und Krieg.

Als «machtpolitischen Befreiungsschlag eines ‹erwachsenen› Deutschland» feierte die Presse die Rede (etwa Spiegel-Online am 2.2.14), als «Akzentverschiebung» von historischer Bedeutung. Macht ausüben soll jetzt nicht mehr als anrüchig gelten: Das ist das Trommelfeuer, dem die deutsche Bevölkerung jetzt verstärkt ausgesetzt wird.

Keine günstigeren politischen Voraussetzungen könnte es dafür geben als eine große Koalition. Einträchtig steht das neue Duo von der Leyen–Steinmeier auf der Sicherheitskonferenz nebeneinander und wiederholt papageienartig, was Gauck vorgekaut hat. Einen Dissens scheint es lediglich in der Frage zu geben, ob militärische Gewalt nur mit einem Mandat der UN ausgeübt werden darf, oder auch ohne.

Im Koalitionsvertrag stehen konkrete Vorschläge für die Umsetzung: «Steigerung der Attraktivität der Bundeswehr.» Ein Herzensanliegen von Frau von der Leyen, die Opferbereitschaft von Frauen wieder für den vaterländischen Dienst einspannen. Mutter von sieben Kindern und oberste Heerführerin, welch eine Karriere! Das ist «Emanzipation», wie sie Alice Schwarzer immer erträumt hat. Die Bundeswehr soll familienfreundlich werden, mit Kinderbetreuung, familiengerechten Arbeitszeiten und einer Akzeptanz des Krieges als selbstverständlicher, nicht als auszurottender Teil der Gesellschaft.

«Der Zugang der Bundeswehr zu Schulen, Hochschulen, Ausbildungsmessen und ähnliche Foren ist für uns selbstverständlich.» Gegen das schönfärberische Bild, das diese von sich selbst und dem Krieg zeichnet, werden sich die jungen Generationen wieder zur Wehr zu setzen haben – vielleicht hilft da der Kontakt zu Soldaten, die mit psychischen traumatischen Belastungsstörungen aus dem Afghanistankrieg gekommen sind. Und warum sollte sich eine Gesellschaft noch Gedanken über die berufliche Zukunft ihrer Kinder machen, wenn sie sie an die Front schicken kann? Die Bundeswehr hat ein massives Rekrutierungsproblem.

«Bestmögliche Ausrüstung für unsere Soldaten.» Die Rüstungsindustrie soll «schlagkräftig» werden, sie kann sich die Hände reiben ob der Aufträge, die es jetzt hageln wird. Der Verteidigungsetat ist der einzige, der trotz Schuldenbremse nicht reduziert wird. Und viel anlagesuchendes Kapital, das bislang auf dem Trockenen saß, wird in der Rüstung wieder eine lukrative Rendite finden. Unter anderem will die Bundesregierung «ihren Beitrag zum Aufbau der NATO-Raktenabwehr leisten, die wir für den effektiven Schutz vor der Bedrohung durch Raketen in den Händen von Risikostaaten benötigen». Auch die Herstellung einer EU-Drohne ist im Koalitionsvertrag verankert, und die Kampfdrohne, die mit de Maizière untergegangen war, ist nicht vom Tisch. Die Genehmigung für Rüstungsexporte war 2012 so hoch wie noch nie.

Die Wiederkehr des deutschen Militarismus zu bekämpfen, wird eine Hauptaufgabe für Linke werden. Schließlich wurde der Erste Weltkrieg nur möglich, weil die Sozialdemokratie ihm nichts entgegengesetzt hat.

 

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