Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
Nur Online PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 10/2016
Zum 75. Geburtstag von Frank Deppe

von Thomas Goes

Ich habe nie bei Frank Deppe studiert. Als ich ihn das erste Mal erlebte, lag ich gerade in den letzten Zügen meiner Dissertation. Einen Bezug hatte ich dennoch zu ihm, und das schon seit Jahren. Als ich mein Studium an der Universität Oldenburg begann und anfing Hochschulpolitik zu machen, begegnete mir die sog. „Marburger Schule“ in Gestalt „unseres Lehrers Abendroths“. Es waren ältere GenossInnen in der PDS, die so zu sprechen pflegten. Das waren Erinnerungsreste, die mich erreichten.

Ich begann von ihm zu lesen, was ich bekommen konnte. Zwei Maximen haben mich besonders beeindruckt. Zum einen die Losung, man solle sich niemals vom linken Flügel der (real existierenden) ArbeiterInnenbewegung trennen; zum anderen, dass man für sie und nicht von ihr leben sollte. Unter diesem Stern bin ich dann – zugegeben: als leicht zu beeindruckender junger Student – auf Schriften von Frank Deppe gestoßen. Ich habe ihn zwar nie systematisch studiert, einzelne seiner Arbeiten öffneten mir aber verschiedene Male neue Perspektiven, als ich auf der Suche war. Wichtig war Deppe für mich insbesondere als Symbol dafür, dass es Intellektuelle gab und geben kann, die sich auf die arbeitenden Klassen beziehen, noch dazu auf die real existierende Gewerkschaftsbewegung, gleichzeitig aber eine ganz andere, eine befreite Gesellschaft wollen. Anfang der 2000er gab es davon nicht mehr viele. Von Multituden und EZLN hörte ich in der radikalen Linken mehr als von Vertrauensleuten, Tarifbewegungen oder konkreter Arbeiteremanzipation. Wenn ich an Frank Deppe denke, dann also nicht an einen Lehrer, sondern an eine Art Flaschenpost – eine Flaschenpost, die Spätgeborenen nützlich ist. Kann es für Intellektuelle Schöneres geben?

Das Buch, das ich von ihm am besten erinnere und mir lange das nützlichste war, titelt „Einheit und Spaltung der Arbeiterklasse“. Das lag insbesondere am innerlinken Zeitgeist. Dass es keine „homogene Arbeiterklasse“ mehr gäbe, war damals eine der vielen Begründungen dafür, warum die alte ArbeiterInnenbewegung (wieder einmal) für tot erklärt wurde. Deppe drehte in dem Buch den Spieß um: Fragmentierung bzw. Spaltung ist das Normale, die Einigung aus dieser Lage heraus eine politische Aufgabe bzw. ein Prozess, an dem neben Gewerkschaften auch Bildungsorganisationen, Intellektuelle und politische Organisationen beteiligt sind. Erfolgsgarantien nicht mit inbegriffen.

Klassenorientierung und ganz sicher „gewerkschaftliche Orientierung“ waren damals in der radikalen studentischen Linken nicht unbedingt der letzte Schrei. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es – es war die Zeit von attac und Globalisierungskritik – jenseits kürzerer Texte des Deppe-Schülers Hans-Jürgen Urban Arbeiten gegeben hätte, die jungen Studierenden analytisch begründet hätten, weshalb es sinnvoll sein könnte, sich für Gewerkschaften zu interessieren und sich möglichst in diese einzumischen. Ich las auch die wildcat und beschäftigte mich erst mit dem Operaismus, dann mit post-operaistischen Autoren. Aber die Bundesrepublik ist eben nicht Italien, und bis heute habe ich den Eindruck, diese Strömungen beschäftigen sich eher mit imaginierten, denn mit den wirklichen Kämpfen unserer Gesellschaft. Ich zumindest war unzufrieden. Man musste im zum Teil vergessenen Erbe wühlen, und Deppe gehörte dazu. Später las ich sein „Autonomie und Integration“, in dem er kapitalismus- und klassentheoretisch einen Begriff klassenautonomer Gewerkschaftspolitik herausarbeitete. Hinzu kamen seine kürzeren Beiträge für die Zeitschrift Sozialismus. Das alles waren Gelegenheitslektüren, die aber durchaus prägend waren.

Ich las das alles ohne die Hitze und Sektiererei, die die 70er und 80er Jahre ausgemacht haben müssen. Der Geruch der DKP hat mich nie gestört, wenngleich ich damals wie heute antistalinistisch dachte. „Meine“ Marburger Schule (ich denke auch an Reinhard Kühnl) stand wie selbstverständlich neben Ansätzen aus der Frankfurter Kritischen Theorie. Dass etwa die sog. „Frankfurter Gewerkschaftsforschung“ bzw. deren linkssozialistische Vertreter (der junge Walter Müller-Jentsch, Eberhard Schmidt, Rainer Zoll etc.) als „linksradikale“ Alternative zu „Marburg“ betrachtet werden könnte, lernte ich erst in Jena, als ich Doktorand beim Deppe-Schüler Klaus Dörre wurde.

Ich teilte diese Einschätzung damals nicht, ich teile sie heute nicht. Das intellektuelle Perlentauchen, bei dem man Erbschaften fernab der Auseinandersetzungen entdecken kann, die sie bei ihrer Entstehung begleitet haben, hat Vorteile. Man kann zusammendenken, was ihre Schöpfer auseinandergerissen haben. Die linkssozialistische Strömung, die in der Zeitung express mündete, stand für mich für etwas, was ich bei Deppe eigentlich immer vermisst habe und bis heute vermisse: Eine gründliche Analyse der Bürokratisierung unserer Bewegungen und der daraus folgenden Machtungleichheiten einerseits, eine stärkere politische Auseinandersetzung mit der politischen Produktivkraft der Selbsttätigkeit und Selbstorganisation subalterner Menschen andererseits.

Und doch: Wenn man in Deppes Arbeiten blättert, wird ein intellektuelles Arbeitsprogramm deutlich, dessen Fortführung sich lohnen würde. Neben der politischen Theorie sind dies insbesondere Anstöße zur Aktualisierung der Kapitalismus- und Imperialismusanalyse, die Auseinandersetzung mit dem ArbeiterInnenbewusstsein, die Analyse der Gewerkschaften und autoritärer Staatlichkeit. Sicherlich, heute müsste man vieles anders machen. Anregungen für Eckpunkte eines wissenschaftlichen Forschungsprogramms, das auch in Zukunft einen Nutzen für diejenigen haben könnte, die um Verbesserungen und Befreiung streiten, bietet sein Werk aber allemal. Nicht wenig in einer wissenschaftlichen Welt, deren Gedächtnis häufig nur bis vorgestern reicht.

Teile diesen Beitrag:

Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.