Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 11/2024

von Erhard Weinholz
Zur Orientierung der sozialistischen Linken in Russlands Krieg gegen die Ukraine. Eine Entgegnung auf Angela Klein, "Heraus zum Antikriegstag"

Seit langem schon scheint das Weltgeschehen die sozialistische Linke hierzulande stärker zu spalten als das Geschehen im Inland, es spaltet, warum auch immer, selbst jene Linke, die in Opposition zum sog. real existierenden Sozialismus stand und sich dabei in ihrer freiheitlichen und demokratischen Orientierung grundsätzlich einig war (und ist). Derzeit ist es vor allem der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der innerlinke Konflikte bewirkt; charakteristisch für die in der SoZ vorherrschende Position, für das aus meiner Sicht Problematische daran ist wohl Angela Kleins unlängst erschienener Text „Heraus zum Antikriegstag“.

Der 1. September, auf den sich der Titel bezieht, liegt schon eine Weile zurück, der Beitrag hat aber über den Anlass hinaus Bedeutung – als Versuch, vom Ukraine-Krieg ausgehend politische und militärische Absichten der USA und der anderen NATO-Staaten sowie des Putin-Regimes darzustellen. Die Interessen und Absichten der Ukraine spielen in diesem Aufsatz dagegen keine Rolle, wie überhaupt manches in dem Zusammenhang Wichtige hier keine Rolle spielt. Anderes wiederum, das sich nur vermuten lässt und mir obendrein kaum plausibel zu sein scheint, kommt gleichsam als erwiesene Tatsache einher. Das Fehlende sei längst gesagt, auch könne man in einem Text dieses Umfangs nicht alles beweisen oder belegen? Es gibt Dinge, die man nicht oft genug sagen kann, und begründen kann man auch kurz und knapp.

Wenn man über den Ukraine-Krieg spricht, wäre ja zunächst zu klären, an welch einem Verhältnis zum bürgerlich-demokratischen Westen Putin und sein Umfeld überhaupt interessiert sind. Ich denke, sie brauchen ihn als Gegner; erst dann hat es zum Beispiel Sinn, eine Organisation wie Memorial, die sie als Gefährdung ihrer Herrschaft empfinden, als Agenten eben dieses Westens hinzustellen, da er sie unterstützt. Dass der Westen ein ähnlich herrschaftsstabilisierendes Interesse an einem Konflikt mit Russland hat, kann ich dagegen nicht erkennen.

Dieser grundlegende Umstand wird im Text aber nicht erwähnt, es heißt lediglich, Putin (im Text: Russland) habe keine territorialen Ambitionen gegenüber EU-Ländern, richte seine imperialen Bestrebungen … auf das Gebiet der früheren Sowjetunion. Also keine Angst: Der bellt nur, beißt nicht … solange wir artig sind. Allerdings waren auch drei EU-Staaten einst Teil der Sowjetunion, schon daher ist die Argumentation nicht stimmig. Zudem richtet sich imperiales Streben heute weniger auf Eroberung als auf Hegemonie: Eroberung verlangt Krieg, und Kriege lohnen nur selten noch, ökonomisch wie politisch. Im Sinne solcher imperialen Hegemonie hat Medwejew letztes Jahr auch erklärt, Ziel sei es, vom Atlantik bis Wladiwostok eine Friedensordnung unter Russlands Vorherrschaft zu errichten.

Alles nur leeres Gerede? Da haben sich schon manche kräftig geirrt: Putin wird nie und nimmer … alles nur bürgerliche Propaganda … Man sollte grundsätzlich nichts ausschließen, wenn es um die Absichten einer demokratie- und freiheitsfeindlichen Macht wie dieser geht. Sie als das Böse hinzustellen reicht zwar nicht, dennoch muss man fragen: Was ist von Leuten zu halten, die den NATO-Staaten immer wieder mit der Atombombe drohen, die andere wissen lassen, von ihnen würde, wenn man richtig zuschlägt, nur ein nasser Fleck bleiben usw.? Auch dazu im Text kein Wort.

Umso mehr gilt das Augenmerk den angeblichen Zielen der NATO: Das Bündnis, so lese ich, arbeite auf den militärischen Showdown mit Russland und China hin. Ich staune, wie genau die Autorin mit den Kriegsplänen in Ost und West vertraut ist … Ich dagegen kann nicht erkennen, dass die NATO Russland und China erobern oder zumindest militärisch in die Knie zwingen könnte, glaube auch kaum, dass die zuständigen Politiker so realitätsblind sind, dies zu verkennen, und bezweifele zudem, dass sie dergleichen überhaupt wollen.

Es ist schon sonderbar: Putins Regime, dessen Geschichte eine einzige Kette von Verbrechen ist, werden nur sehr begrenzte böse Absichten unterstellt, den NATO-Staaten aber geradezu größenwahnsinnige, obwohl sie sich um des lieben Friedens willen und wohl mehr noch in der Hoffnung auf geschäftliche Vorteile in der Region meines Erachtens sehr zurückhaltend betätigt haben.

Überhaupt haben die USA, wie es aussieht, das kostspielige Amt des Weltpolizisten aufgegeben.
Und was hat das alles mit uns selbst zu tun? Wir würden in der Ukraine, so lese ich in dem bewussten Text, die politischen und wirtschaftlichen Interessen des atlantischen Kapitals verteidigen. Ist der bürgerliche Staat also nur Gehilfe der Kapitalreproduktion und sonst gar nichts? Wer v. d. Leyen und Putin in einem Atemzug nennt, dem stellt sich das anscheinend so dar. Für meine Begriffe dagegen hebt sich die bürgerliche Demokratie bis jetzt noch einigermaßen positiv von Putins Neozarismus ab.

An der Demonstration vom 3. Oktober, von der Paul Michel berichtet, habe ich mich nicht beteiligt, weil mir von Anfang an klar war, dass sich da in der Hauptsache jene versammeln würden, die für ein Ende der Kämpfe (als Frieden würde ich es nicht bezeichnen) die Kapitulation der Ukraine in Kauf nehmen bzw. sogar anstreben. Die Art, wie man mit Stegner umgegangen ist, als er von ihrem Recht auf Selbstverteidigung sprach, hat mich in dieser Meinung bestätigt. Ob ihr diese Selbstverteidigung tatsächlich hilft, ihre Interessen zu wahren, ist nicht garantiert. Garantiert ist aber, dass sie ohne die Militärhilfe des Westens in der Hinsicht chancenlos wäre.

Den russischen Angriff abzulehnen, solche Opferhilfe aber ebenfalls, ist vielleicht bei der politisch-ideologischen Selbstvergewisserung von Nutzen, dem Überlebenskampf der Ukraine hilft es nicht. Die Ukrainearbeit der SoZ, die ich ja auch finanziell unterstützt habe, ist zwar höchst lobenswert, bietet jedoch in dieser Hinsicht keinen Ersatz.

Es gibt hier eine Grundschwierigkeit, die ich in der SoZ nicht reflektiert finde und an dieser Stelle auch nur benennen, nicht weiter analysieren will: dass es im Konflikt bürgerlicher Demokratien mit aggressiven Autokratien oder Diktaturen keine problemlose sozialistische Position zu geben scheint. Denn die Sonderinteressen des Kapitals und das (hoffentlich allgemeine) Interesse an Demokratie lassen sich im Fall solcher Konflikte zwar auf dem Papier strikt voneinander trennen, nicht aber in der Praxis. Das war schon zu Zeiten der Antihitlerkoalition so und ist heute nicht anders.

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