Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

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PDF Version Artikellink per Mail  | Soz Nr. 12/2024

In Liebe, Eure Hilde, Deutschland 2024, Regie: Andreas Dresen; Drehbuch: Laila Stieler
von Peter Nowak

Nur mit einem Schal vermummte junge Leute überkleben mit weißen Papierstreifen, auf denen politische Parolen stehen, Plakate in einer Unterführung. Die Szene sieht auf den ersten Blick wie die Aktion junger Leute aus, die heute mit Adbusting-Aktionen politische Plakate bspw. der Bundeswehr oder der Polizei verfremden. Doch was machte der Mann in Offiziersuniform in dem Bild?

Schnell stellt sich heraus, dass wir hier im Berlin des Jahres 1942 sind. Der NS-Staat hatte seine terroristische Gewalt auf ganz Europa ausgeweitet. Trotzdem widersetzen sich Widerstandsgruppen auch in Deutschland der faschistischen Macht: dazu gehört auch das Netzwerk Rote Kapelle. In dem kürzlich angelaufenen Film In Liebe, Eure Hilde stehen mit Hilde und Hans Coppi zwei wichtige Protagonist:innen dieser Widerstandsgruppe im Zentrum des Film von Andreas Dresen.
Die beschriebene Szene, in der Mitglieder der Roten Kapelle NS-Plakate überkleben, die zum Besuch der NS-Propagandaausstellung »Das Sowjetparadies« auffordern, ist einer der wenigen Momente, in denen die Protagonist:innen bei der gefährlichen politischen Arbeit gezeigt werden.
Mit Harro Schulze-Boysen, auch ein Gründer der Roten Kapelle, hatten sie einen Offizier bei der Aktion zum Schutz dabei. Denn ihre Überlegung war, wenn die Aktion beobachtet wird, würde die Anwesenheit eines Mannes in Offiziersuniform vor Verfolgung schützen.
Tatsächlich sind die Aktivist:innen der Widerstandsgruppe nicht bei den Plakataktionen aufgeflogen und auch nicht bei den im Film nur angedeuteten Schutz von Jüdinnen und Juden im NS. Auf die Spur kam ihnen der Staatsapparat durch den Teil ihrer Widerstandstätigkeit, die vor allem in der BRD das Bild von der Roten Kapelle – der Name stammte übrigens vom Verfolgungsapparat – geprägt hat: Sie haben versucht, Informationen aus dem Kriegsapparat an die Sowjetunion zu funken.
Deshalb wurde die Gruppe auch in der Nachkriegs-BRD weiterhin als Spionageorganisation »für den Feind« diffamiert. In der DDR hingegen wurde sie als straff von der KPD geführte Organisation dargestellt, was auch nicht den Fakten entspricht.

Eine neue Lesart
Mittlerweile setzt sich in Film und Literatur eine dritte Lesart über die Geschichte der Roten Kapelle durch, die vor allem betont, dass es sich um junge Menschen gehandelt hat, die mit dem NS-Staat gebrochen haben und ihn beseitigen wollten. Das ist natürlich nicht falsch. Wenn dann aber so getan wird, als hätte es in der Gruppe keine Kommunist:innen gegeben, oder sie wären allerhöchstens Randfiguren gewesen, dann ist auch diese Darstellung kontrafaktisch.
Der Film könnte gerade für Zuschauer:innen, die mit der Geschichte nicht so vertraut sind, diesen Eindruck erwecken. Denn man sieht Hilde, Hans und ihre Freund:innen beim Feiern, in einem Café oder am Strand an der Ostsee. Doch auf den zweiten Blick wird auch hier die politische Arbeit deutlich. So diskutieren sie nachts am Strand über die Probleme beim Funken und im Café über einen politischen Aufruf, den sie schnell verstecken müssen, als eine NS-nahe Frau den Raum betritt.
Auch wird beiläufig erwähnt, dass Hans Coppi und auch Harro Schulze-Boysen nach 1933 in NS-Haft waren, sie also eine politische Geschichte als Antifaschist:innen haben.
Was aber fehlt, sind Informationen über die politischen Inhalte – bspw. des Flugblatts, das sie diskutieren. Das liegt wohl auch daran, dass der Film auch eine Art politische Würdigung des heute über 80jährigen Hans Coppi Jr. ist, der noch in der NS-Haft geboren wurde. Hilde konnte ihn noch für einige Monate in der Zelle behalten, bevor sie hingerichtet wurde.
Die Szenen der Geburt und der Trennung vom Kind im NS-Gefängnis und auch der Gang zur Hinrichtung sind wohl die eindrucksvollsten im Film. Wir sehen, wie Hilde Coppi in den letzten Tagen vor der Hinrichtung ihre ganze Hoffnung darauf setzt, dass das, wofür sie gekämpft hat und schließlich in den Tod ging, in ihrem Sohn weiterlebt. Das ist eine riesige Herausforderung für den heute 80jährigen, der erleben musste, wie mit dem Ende der DDR auch viele Straßen, Schulen und Kollektive, die die Namen seiner Eltern trugen, umbenannt wurden.
Hans Coppi Jr. setzt seine antifaschistische Arbeit bis heute fort. Am Schluss kommt er selber kurz zu Wort und erwähnt auch, dass nur ein Funkspruch von Berlin nach Moskau durchkam, wegen der Reichweiten. Dadurch entsteht der Eindruck der Vergeblichkeit der Arbeit der Roten Kapelle. Leider wird nicht zumindest im Abspann erwähnt, dass dieses Problem den Antifaschist:innen bekannt war und sie deswegen erfolgreicher von Brüssel aus funkten.

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