Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen
von Daniel Kreutz
Angela Kleins Kritik an der Forderung nach einem AfD-Verbot in SoZ 11/2024 teile ich vollständig. Hinzugefügt hätte ich die Frage, wie das Verbot in der »antifaschistischen«, Anti-AfD-Öffentlichkeit wirkt.
David Stein betont in seiner Verteidigung der Verbotsforderung in SoZ 12/2024 zurecht, dass gegen die harte Rechte »in erster Linie (!) eine selbstbewusste Massenbewegung … nötig ist« und konstatiert, dass es daran mangele und das Verbot dem Bemühen um die Bewegung nicht im Wege stehe.
Ich wage jedoch die Prognose, dass das Verbot in der Zivilgesellschaft weithin so verstanden würde, als sei das Problem damit im wesentlichen erledigt.
Wozu dann noch Anstrengungen gesellschaftlicher Auseinandersetzung »von unten« gegen die harte Rechte? Und da nicht nur die ultrareaktionären bis faschistischen Meinungen in den Köpfen von AfD-Aktiven und -Wählenden, sondern auch deren informelle, »social-media«-basierten Netzwerke von dem Verbot unberührt blieben, wäre die Gefahr des Wiederauferstehens unter anderem Namen durchaus ernst zu nehmen.
Der Feind steht auch in der Mitte
Allerdings ist die autoritäre Gefahr, der wir gegenüberstehen, keineswegs auf die AfD beschränkt. Angela wies völlig zutreffend darauf hin, dass eine belastbare inhaltlich-programmatische Abgrenzung zwischen AfD und »extremer Mitte« (Grüne, SPD, CDU, FDP) kaum möglich ist. Nicht nur ist der internationale Aufstieg der neuen harten Rechten das Produkt einer Periode, die von Regimes der »extremen Mitte« dominiert ist. Deren Neo-»Liberalismus« trat von Beginn an autoritär auf, besonders gegenüber Erwerbslosen und Geflüchteten.
Die rassistischen Narrative in der Flüchtlingspolitik gehören spätestens seit dem »Asylkompromiss« einer informellen Großen Koalition von 1992 zu ihrem Inventar. 2018 erklärte nicht Björn Höcke, sondern Bundesinnenminister Seehofer die »Migrationsfrage« zur »Mutter aller politischen Probleme«. Die Hetze gegen »faule Arbeitslose«, die unlängst mal wieder verschärft durch die Lande tönte, hat ebenfalls in der Mitte eine lange Tradition.
Die Mitte verschärfte das Demonstrations- und das Polizeirecht, kriminalisierte die »Klima-Kleber«, müht sich um Ausgrenzung nichtamtlich Andersdenkender aus der gesellschaftlichen Debatte über die Kriege in der Ukraine und in Gaza, belehrt antizionistische Jüdinnen und Juden darüber, was Antisemitismus ist und will für »Kriegstüchtigkeit« sorgen. Der oberste Verfassungsgrundsatz von der Menschenwürde taugt ihr allenfalls für Sonntagsreden. Die AfD redet, aber die Mitte macht’s. Diese ist die Krankheit, die AfD ihr widerwärtiges Symptom. Oder besser: »Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen« (Horkheimer).
Faschisierung der Demokratie?
Angela meinte in ihrem Kommentar, es gebe »keine feste Mauer zwischen einer bürgerlichen Demokratie und einem autoritären oder faschistischen Staat«, auch Hitler sei »legal an die Macht gekommen«. Nun gibt es in der Geschichte ohnehin keine »feste Mauern«, weil jede Staats- oder Gesellschaftsform aus ihren Vorgängerinnen hervorgeht, wo die Kräfte zu ihrer Inthronisierung reiften. Aber es gibt klare systemische Grenzen.
So ist etwa zwischen bürgerlicher Demokratie und Militärdiktatur die scharfe Grenze des putschistischen Gewaltakts gezogen. Auch das bonapartistische Regime ist vom bürgerlich-demokratischen systemisch zu unterscheiden. Und die Rede von einer »legalen« Machtübernahme Hitlers schweigt über die entscheidende Rolle des illegalen Massenterrors der faschistischen Bewegung, der zum »institutionalisierten Bürgerkrieg« wurde.
Droht ein »neues 1933«?
Zweifellos würde eine Regierung(sbeteiligung) der AfD zusätzliche Gefahren für demokratische und soziale Rechte – insbesondere für Geflüchtete und andere Minderheiten – freisetzen, die nicht zu unterschätzen sind. Problematisch erscheint mir aber die in den Protesten gegen die AfD verbreitete Warnung, wir stünden vor einem »neuen 1933«, illustriert mit vermeintlichen Analogien zum Untergang von Weimar. Dabei zeigt ein Blick auf die harten Rechten an der Regierung (Trump I, Bolsonaro, Milei, Meloni, Orban, Modi etc.), dass es nirgends einen Systemwechsel vom »demokratischen« zu einem faschistischen Staat gab.
Zu den Wesensmerkmalen des faschistischen Staates zählt die Vernichtung (!) jeder linken und demokratischen Opposition, bis in die Poren der Gesellschaft hinein, mittels einer gewaltförmigen Massenbewegung. Da zudem der Kapitalismus – anders als in den 1920er und 1930er Jahren – nirgends einer akuten Gefahr seitens antikapitalistischer Klassenbewegungen ausgesetzt ist, ist nicht ersichtlich, warum die herrschende Klasse, die mit ihrem »demokratischen« Regime doch gut fährt, auf einen – durchaus riskanten – Systemwechsel zum Faschismus setzen sollte.
Profitiert vom Reden über eine akute Faschismusgefahr, gegen die es gelte, »unsere Demokratie« zu verteidigen, nicht vor allem die »extreme Mitte«, die im Kostüm der »guten Demokraten« allzu gern die Schäfchen um sich scharen würde? Und muss eine Demokratie, die diese Bezeichnung verdient, nicht erst noch erkämpft werden?
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