Hannes Hofbauer: Im Wirtschaftskrieg. Die Sanktionspolitik des Westens und ihre Folgen. Das Beispiel Russland. Wien: Promedia, 2024. 254 S., 22 Euro
von Albrecht Kieser
Wirtschaftssanktionen ziehen sich durch die Gewaltgeschichte der Menschheit.
Schon vor fast 2500 Jahren begannen Würgeversuche mit dem Handel, als Athen eine Wirtschaftsblockade gegen Sparta verhängte. Sie mündete in den 30jährigen Peloponnesischen Krieg um die Vorherrschaft im antiken Griechenland.
Hofbauer erzählt davon, als wär’s ein Stück von heute. Auch, wie dieses Kriegsinstrument auf den Verursacher zurückschlagen kann. Zum Beispiel die Kontinentalsperre, die Frankreich vor gut 200 Jahren gegen England verhängte, damit der eigenen Wirtschaft enorm schadete und den Welthandel des englischen Konkurrenten belebte.
Meist aber haben Wirtschaftssanktionen für die Bevölkerung des erpressten Landes tödliche Folgen. Im Irak starben in den 90er Jahren 300.000 bis 500.000 Menschen, meist Kinder, durch den Wirtschaftskrieg, mit dem das Hussein-Regime in die Knie gezwungen werden sollte. Die damalige US-Außenministerin Albright bekannte später, diese Opfer seien es »wert gewesen«.
Sanktionen, Blockaden, Embargos, Beschlagnahmungen: »Gelingende« Wirtschaftskriege waren und sind »ein stilles, tödliches Mittel und kosten kein Leben außerhalb der boykottierten Nation« (US-Präsident Woodrow Wilson 1919). Aus diesem Grunde sind sie so beliebt, aber heute ohne Zustimmung der UNO völkerrechtlich illegal.
Ein Blick zurück
So auch der aktuelle westliche Wirtschaftskrieg gegen Russland, dem sich das Buch zu zwei Dritteln widmet. Er hat einen langen Vorlauf, der 1917 mit den Sanktionen gegen die revolutionäre Sowjetunion beginnt, im Zweiten Weltkrieg unterbrochen wurde, um ab 1947 wieder aufgenommen zu werden.
Die COCOM, das Coordinating Committee der USA und der Westalliierten, unterwarf zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs den gesamten Sowjetblock einer kompletten Wirtschaftsblockade – parallel zum Wiederaufforstungsprogramm Westeuropas durch den Marshallplan. Mit beiden Instrumenten wollten die USA ihre Vorherrschaft in der Welt sichern.
Erst 1994 wurde das Blockadesystem offiziell beendet, nicht zuletzt wegen der wachsenden Kritik aus Westeuropa, das vom Wirtschaftsverkehr mit den östlichen Nachbarn profitieren wollte.
Der Wirtschaftskrieg wurde nach 1945 zum allgegenwärtigen Herrschaftsinstrument der USA und seiner westlichen Verbündeten. 1949 setzten die USA gegen China ein ähnliches Kriegsprogramm ins Werk wie gegen Russland, ChinCOM.
Blockaden richteten sich außerdem gegen den Irak, gegen Jugoslawien, gegen den Iran, gegen Kuba – und zerstörten Hunderttausende und Millionen Leben einfacher Menschen.
Auch Privatpersonen der Feindstaaten wurden mit Boykottmaßnahmen und Einziehung ihrer Vermögen verfolgt. Für die Koordination der Programme und ihrer Nachläufer ist bis heute eine Spezialabteilung beim US-Finanzministerium zuständig, die OFAC, das »Amt zur Kontrolle von Auslandsvermögen«.
Das Ziel all dieser Sanktionen ist, ein angegriffenes Land unter die eigene Herrschaft zu zwingen. Es mag klappen oder auch nicht – in jedem Fall richten diese Kriege Verheerungen an, die auch in Jahrzehnten nicht behoben werden können.
Boomerang
Allerdings können, wie die Geschichte lehrt, die angestrebten Zerstörungen auch den Verursacher in den Abgrund reißen. Wie im aktuellen Wirtschaftskrieg gegen Russland: Die Verteuerung der Energiekosten, der Einbruch von Exporten und das Abschneiden von wirtschaftlich existenziellen Importen bringt die europäischen Staaten an den Rand schwerer Wirtschafts- und Gesellschaftskrisen.
Die USA, deren Wirtschaftsbeziehungen zu Russland prozentual erheblich weniger ins Gewicht fallen, profitieren hingegen, z.B. von wachsenden (schmutzigen) Energieexporten nach Europa. Hofbauer rechnet die Milliarden vor, die bisher in diesem Krieg verloren gegangen sind.
Dass Europa einen Teil seiner Kriegsverluste durch Beschlagnahme russischer Vermögen zurückzuholen versucht, qualifiziert Hofbauer als einen in diesem Umfang noch nie da gewesenen und von keinerlei Recht gedeckten Raubzug.
Ein Raubzug, der übrigens lange vor dem ebenso wenig vom Völkerrecht gedeckten Angriff Russlands auf die Ukraine begann.
Mittlerweile konfisziert und blockiert auch Russland Milliardensummen westlicher Firmen, wie Hofbauer in einem extra Kapitel zeigt.
Die Kriegsverluste des transatlantischen Westens könnten allerdings noch deutlich steigen. Denn viele Staaten überlegen, ob sie nicht besser ihre Geschäfte anstatt in Dollar in einer anderen Währung abwickeln, auf die die USA keinen so einfachen Zugriff haben. Trump drohte ihnen deshalb Anfang Dezember: Wenn sie »den mächtigen US-Dollar ersetzen« wollten, würde er »Zölle von 100 Prozent auf Waren aus diesen Ländern verhängen«.
Wir sind im Wirtschaftskrieg. In diesem Krieg verlieren alle Seiten. Das Buch von Hannes Hofbauer zeigt das auf eindrucksvolle Weise.
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen
Spenden
Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF
Schnupperausgabe
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.
Kommentare als RSS Feed abonnieren