Wer kann schon von sich sagen, ein Gedankengang gehöre ihm?

Bert Brecht hielt nicht viel vom Recht auf geistiges Eigentum. Wir auch nicht. Wir stellen die SoZ kostenlos ins Netz, damit möglichst viele Menschen das darin enthaltene Wissen nutzen und weiterverbreiten. Das heißt jedoch nicht, dass dies nicht Arbeit sei, die honoriert werden muss, weil Menschen davon leben.

Hier können Sie jetzt Spenden
Europa 1. Mai 2025

… ohne Einmischung fremder Mächte
von Stefan Godau

Der kürzlich stattgefundene und von Protesten begleitete Besuch des US-Vizepräsidenten JD Vance machte erneut deutlich, dass Trump fest entschlossen ist, seine imperialistischen Gelüste zu verwirklichen – auch auf Kosten des Verhältnisses zum NATO-Mitglied Dänemark. Was bedeutet dies für die kommenden Jahre und für das Verhältnis zur dänischen Kolonialmacht?

Die Geschichte der grönländischen »Nation« beginnt mit der (Wieder-) Entdeckung der Insel durch den lutherischen Missionar Hans Egede im Jahre 1721.
Das damalige dänisch-norwegische Königreich beutete die einheimischen Inuit als billige Arbeitskräfte im Walfang und in der Fischerei aus und demütigte sie; ähnlich wie die Siedler Amerikas die Native Americans behandelten. Grönland war eine völlig von Dänemark abhängige Kolonie.
Dies änderte sich erst mit dem Zweiten Weltkrieg, als Grönland für die USA strategisch interessant wurde und Dänemark mehr oder weniger offen mit Nazideutschland kollaborierte. Der damalige US-Präsident Truman beabsichtigte 1946 sogar, Grönland zu kaufen. Dies führte zu diplomatischen Verstimmungen und dazu, dass die USA seitdem die Pituffik-Militärbasis im Osten des Landes unterhalten.

›Nord-Dänemark‹
Im Kalten Krieg war Dänemark ein treuer Vasall der USA und konnte mit Grönland und den Inuit machen, was es wollte. 1953 wurde das »Bundesland« Nord-Dänemark gegründet und Grönland nach und nach »zwangsdänisiert«: Mit einer »Buschzulage« wurden dänische Verwaltungskräfte, Lehrpersonal und anderes Personal in die Arktis gelockt. Wohnhäuser, Wohnsiedlungen und andere Gebäude sehen aus wie in jeder dänischen Stadt.
Inuit gelten als ungebildete, gewalttätige Alkoholiker:innen und sind auch in Dänemark häufig rassistischer Diskriminierung ausgesetzt. Dabei war es der dänische Kolonialismus, der für Alkoholismus, eine extrem hohe Selbstmordrate, eine um 13 Jahre niedrigere Lebenserwartung und Gewalt verantwortlich ist. Die dänischen Herrschenden haben immer wieder darüber diskutiert, das Grönländische auch als Verkehrssprache abzuschaffen und ausschließlich Dänisch als Amtssprache anzuerkennen.
Traurige Berühmtheit erlangte die Tatsache, dass die Behörden insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren grönländische Kinder von ihren Eltern getrennt haben, sie zwangsweise psychologischen Eignungstests unterzogen, nach Dänemark schickten und dort zwangsadoptieren ließen. Auch wurde in den letzten Jahren durch Journalis­t:innen bekannt, dass dänische Ärzte in den 1970er Jahren grönländischen Frauen bereits im Teenageralter Spiralen einsetzten, um die Geburtenrate künstlich niedrig zu halten. Der grönländische Ministerpräsident spricht hier treffend von »Völkermord«.
Für einigen Furor sorgte der Dokumentarfilm »Grönlands weißes Gold«, der recht genau zeigt, wie die Inuit jahrzehntelang für den Abbau des Rohstoffs Kryolit ausgenutzt wurden und wie das dänische Kapital daran verdiente. Von grönländischer Seite wurde der Film wegen seiner realistischen Darstellung gefeiert; vom dänischen Fernsehen wurde er jedoch nach Protesten aus dem Programm genommen, da sich Regierung, Kapital und rechte Parteien in Dänemark angegriffen fühlten.

Falsche Hoffnungen
Zusammenfassend lässt sich sagen: Grönland wurde jahrhundertelang als abhängige Halbkolonie gehalten; mit allen negativen ökonomischen, sozialen und psychischen Konsequenzen. Bis heute fühlen sich viele Grönländer:innen auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert, da selbst für einfache Tätigkeiten die Beherrschung der dänischen Sprache vorausgesetzt wird. Da erscheint es als durchaus verständlich, wenn viele Grönländer:innen Illusionen in Trump haben.
Es ist davon auszugehen, dass Englisch (vielleicht auch Chinesisch?) in den nächsten Jahren und Jahrzehnten Dänisch als Schulsprache verdrängen wird. Besonders der Rückgang des Eises macht Grönland im globalen Machtkampf nicht nur strategisch interessant. Mineralische Rohstoffe wie Lithium und Gold wecken Begehrlichkeiten bei US-amerikanischen und chinesischen Konzernen.

Was macht die Linke?
Leider beschränken sich die dänischen Linksparteien – die Sozialistische Volkspartei (SF) und die Rot-Grüne Einheitsliste (Enhedslisten) – darauf, Trump als Rowdy anzuklagen und an die Regierung Frederiksen zu appellieren – jene Mette Frederiksen, die nicht nur einer rassistischen Regierung vorsteht und dafür regelmäßig von Sahra Wagenknecht gelobt wird, sondern in ihren Regierungsjahren auch für Grönland nichts getan hat.
Auch diese »Linken« erwecken den Eindruck, der dänische Kolonialismus sei irgendwie humaner oder sozialer als der US-Imperialismus. Es gab in der dänischen Linken, von kleineren Gruppen abgesehen, nie eine wirkliche Beschäftigung mit der Rolle Dänemarks als Kolonialmacht.
Zwar gab es auch einige grönländische Studierende, die, inspiriert von den nationalen Befreiungskämpfen weltweit und den Protestbewegungen während ihres Studiums in Dänemark dort politisch aktiv waren und 1976 die Gründung der grönländischen Linkspartei Inuit Ataqatigiit (etwa: »Menschengemeinschaft«) beeinflussten; die dänische Linke startete jedoch nie eine breite Solidaritätskampagne.
Inuit Ataqatigiit befindet sich seit 2002 in wechselnden Koalitionen mit konservativen und sozialdemokratischen Parteien und tritt dort allzu kompromisslerisch auf – auch wenn die Situation auf einer Insel in der Arktis mit etwa 60.000 Bewohnerinnen und Bewohnern natürlich eine andere ist als auf dem europäischen Festland. Sie präsentiert sich in einer Art »Volksfront« und fordert »Respekt« für Grönland ein. Damit unterscheidet sie sich nicht großartig von allen anderen Parteien. Das hat sie bei der jüngsten Wahl im März dieses Jahres Stimmen gekostet.
Ein zweiter Grund für die 15 Prozentpunkte Stimmenverlust (von 37,4 auf 21,6 Prozent), ist die Vernachlässigung ökonomischer Themen. Zwar ist es richtig, aus Umweltschutzgründen auf eine Begrenzung der Fischerei zu setzen, jedoch muss auch die Tatsache zur Kenntnis genommen werden, dass dies aufgrund der ökonomischen Unterentwicklung durch den dänischen Kolonialismus oft die einzige Einnahmequelle ist.

Demos für die Unabhängigkeit
Dabei wäre eine linke Opposition sowohl zu Trumps Großmachtträumen als auch zur dänischen Arroganz dringend nötig. Die grönländische Sozialdemokratie (statt 30,1 nur noch 14,9 Prozent), die dem dänischen Kolonialismus nie ernsthaften Widerstand entgegengesetzt hat, befindet sich derzeit in ihrer größten Krise. Ihr Vorsitzender ist noch am Wahlabend zurückgetreten und ihre einzige Abgeordnete im dänischen Parlament hat ihren Übertritt zur bürgerlich-nationalistischen Naleraq (von 12,3 auf 24,8 Prozent gestiegen) erklärt.
Einen Hoffnungsschimmer bieten die Demonstrationen für grönländische Unabhängigkeit in Grönland und Kopenhagen sowie die Proteste von Exil-Grönländer:innen gegen die Zwangsadoptionen in verschiedenen skandinavischen Städten. Auch muss Inuit Ataqatigiit hart bleiben in ihrer Ablehnung des Uranbergbaus.

Teile diesen Beitrag:
Kommentar zu diesem Artikel hinterlassen

Folgende HTML-Tags sind erlaubt:
<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>



Spenden

Die SoZ steht online kostenlos zur Verfügung. Dahinter stehen dennoch Arbeit und Kosten. Wir bitten daher vor allem unsere regelmäßigen Leserinnen und Leser um eine Spende auf das Konto: Verein für solidarische Perspektiven, Postbank Köln, IBAN: DE07 3701 0050 0006 0395 04, BIC: PBNKDEFF


Schnupperausgabe

Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo.


Kommentare als RSS Feed abonnieren