Die Lage der Migrant:innen in Mittelamerika
Gespräch mit Alejandro Solalinde
Seit seinem Einzug ins Weiße Haus zählt die Bekämpfung der sog. »illegalen Migration« zu den für Donald Trump wichtigsten »Errungenschaften«.
Inzwischen hat sich der lange Arm der US-Sicherheitsbehörden auch auf die Grenzregion in Mexiko selbst ausgestreckt. Dort warten seit geraumer Zeit zehntausende Migrant:innen vergeblich auf einen Termin, um Asyl oder eine befristete Aufenthaltsbewilligung zu beantragen.
Die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum hat sich geweigert, die von Trump geforderte »militärische Unterstützung« durch die US-Armee auf mexikanischem Boden zu akzeptiere. Sie musste aber im Gegenzug 10.000 mexikanische Nationalgardisten in die Grenzregion schicken, um einen Frontalangriff gegen Schlepper und Drogenhändler durchzuführen. Nur dieses Versprechen konnte die Verhängung von 25prozentigen Zöllen auf alle mexikanischen Waren bis April suspendieren.
Das Gespräch mit dem katholische Priester Alejandro Solalinde, der sowohl bei Migrant:innen als auch bei der Regierung hohes Ansehen genießt, führte Leo Gabriel*.
Alejandro Solalinde ist ein heute 79jähriger Vorkämpfer für die Rechte der Migrant:innen.
Schon in den 1970er Jahren hat er sich für die Millionen mexikanischer Landarbeiter:innen eingesetzt, die unter teilweise lebensbedrohlichen Umständen den Grenzfluss Río Bravo del Norte durchschwammen, um in die USA zu gelangen. Er selbst entging nur knapp mehreren Mordanschlägen von Großgrundbesitzern und deren mafiösen Banden
Padre Solalinde, wie fühlen Sie sich in diesen schwierigen Zeiten? Ist das, was derzeit mit den Migrantinnen und Migranten geschieht, eine neue Situation, oder hat es das immer schon gegeben, nur bekommt die Weltöffentlichkeit heute mehr davon mit?
Die Repression, den Rassismus gegen die Migrantinnen und Migranten und den damit verbundenen Druck der USA auf Mexiko hat es in den letzten Jahrzehnten immer schon gegeben. Neu ist, dass es jetzt einen richtigen Krieg gibt, einen Krieg, den die reichsten Millionäre gegen die Ärmsten führen; denn die Ärmsten der Armen sind nun einmal die Migrantinnen und Migranten.
Mit welchen Methoden führen sie diesen Krieg?
Trump setzt jetzt sogar die US-Armee ein, um die Grenzen von Guatemala und Mexiko zu blockieren. Dabei kümmert es ihn wenig, dass das zum Nachteil der US-Konzerne, der sogenannten Maquiladoras, geschieht. Ihn interessiert nur die Show, die Propaganda, die er damit verbindet.
Aber erreicht er damit sein Ziel, die Grenze total zu schließen?
Total wahrscheinlich nicht, aber zu 90 Prozent. Bereits jetzt hat er erreicht, dass sich der Flüchtlingsstrom um 80 Prozent reduziert hat. Die anderen 20 Prozent bleiben an der Grenze hängen oder verlieren sich irgendwo in Mexiko.
Die Migranten haben also verstanden, dass es nicht geht?
Die Mehrheit von ihnen hat verstanden, dass es nicht geht. Aber nur etwa zehn Prozent kehren an die Orte zurück, woher sie gekommen sind. Die anderen bleiben in Mexiko und wissen nicht, was sie tun sollen. Viele hoffen auf ein Wunder, dass es irgendwann wieder möglich sein wird, in die USA zu gelangen. In der Zwischenzeit suchen sie sich Arbeit in Mexiko, wobei die Regierung sie teilweise unterstützt.
Auch in Ihrer albergue, die Sie in Oaxaca für die Migrant:innen aufgebaut haben?
Weniger. Viele gehen in den Norden, wo jetzt sog. »Entwicklungspole« eingerichtet wurden. Dort verdienen sie zwar nicht so viel wie in den USA, aber immerhin doppelt so viel, wie sie normalerweise in Mexiko verdienen. Allein in Tijuana, wo es viele Maquiladoras gibt, arbeiten Zehntausende.
Das ist wahrscheinlich nur provisorisch, solange sie auf ihre Visa warten, die jetzt nicht mehr ausgestellt werden. Aber was ist die Lösung, wenn das nicht mehr geht? In ihre Heimatorte zurückkehren oder in Mexiko bleiben?
Es ist auf alle Fälle besser, wenn sie in Mexiko bleiben. Hier gibt es Schulen für die Kinder, Spitäler für die Kranken und eine wenn auch kleine Pension für die Alten.
Was unternehmen Sie, damit die Migrantinnen und Migranten das einsehen und in Mexiko bleiben?
Das ist nicht leicht. Denn es ist, als hätten sie einen »Chip« im Kopf, der sie in den Norden zieht. Ich verstehe ja, dass sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten haben, wegen der Lebensumstände und der tagtäglichen Gewalt, der sie ausgesetzt sind. Aber sie verstehen oft nicht, was sie in den USA erwartet, selbst dann, wenn sie es unter dem Einsatz ihres Lebens schaffen, den Río Bravo zu überqueren. Dort gibt es nämlich in der Zwischenzeit eine richtige Hexenjagd auf die sogenannten »Illegalen«.
Haben Sie den Eindruck, dass die Migrant:innen Ihnen mehr glauben als der Regierung, weil Sie Priester sind?
Sie haben großen Respekt vor mir, aber ich habe den Eindruck, dass sie die USA mehr lieben als den lieben Gott. Vielleicht ändert sich das jetzt.
Glauben Sie, dass es wegen der Migration zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, ja sogar zu einem Krieg kommen könnte?
Das glaube ich nicht. Unsere Präsidentin Claudia Sheinbaum hat sich seit ihrem Amtsantritt sehr klug verhalten. Sie hat akzeptiert, dass die mexikanische Nationalgarde die Grenze bewacht, als Trump seine Soldaten zur »Grenzsicherung« auf mexikanisches Territorium schicken wollte.
Aber es geht um mehr; es ist eine Auseinandersetzung zwischen zwei unterschiedlichen Systemen: einem gefräßigen Kapitalismus und einem humanitären Kapitalismus. Mexiko hat ein tief verwurzeltes Erbe kultureller Vielfalt, das den Armen einen religiösen und gesetzlichen Rückhalt gibt.
Der Einmannstil von Trump wird vorübergehen, aber die menschenverachtende Oligarchie wird bleiben.
Mexiko hat keine Angst vor der Masse von Migrantinnen und Migranten, die noch kommen wird. Wenn es notwendig ist, können wir ganz Zentralamerika aufnehmen. Hier gibt es Platz für alle!
*Leo Gabriel ist Journalist und hat 25 Jahre in Mexiko und Zentralamerika gelebt. Er ist Mitglied des Internationalen Rats des Weltsozialforums.
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